zum Hauptinhalt
Die Blockaden der Aktivisten von „Extinction Rebellion“ verliefen zwar gewaltfrei, verursachten am Mittwoch aber ein Verkehrschaos in der Stadt.

©  Christoph Soeder/dpa

Tagelange Klimaproteste in Berlin: Wie radikal ist Extinction Rebellion?

Klimaschützer trotzen lächelnd der Staatsgewalt. Doch sind die wirklich so harmlos?

Es geht ganz schnell, viel zu rasch für die Polizei. Binnen Minuten strömen die Menschen auf die Brücke, klettern über Zäune, Absperrungen. Die Aktivisten von „Extinction Rebellion“ – auf Deutsch: Rebellion gegen das Aussterben – sind bunt gekleidet, tragen Fahnen und Aufnäher, darauf zu sehen ist der Kreis mit der Sanduhr darin. Ihr Logo soll die ablaufende Zeit der Menschen auf dem Planeten beschreiben.

Seit Montag versuchen die radikalen Klimaschützer, mit Blockaden Berlin lahmzulegen. Erst am Großen Stern und am Potsdamer Platz, jetzt strömen sie auf die Mühlendammbrücke, eine Hauptverkehrsader Berlins, unweit des Roten Rathauses. Für Stunden blockieren sie, friedlich, die Straße – widersetzen sich kaum den Polizisten, die sie zu Dutzenden wegtragen. Den ganzen Tag über werden weitere Orte besetzt, es sind guerillaartige Aktionen, auf die sich die Polizei kaum vorbereiten kann. Und alles geschieht mit einem Lächeln, mit Gesang oder Yoga. Es scheint auf den ersten Blick wie ein Klima-Woodstock.

Die Sprache und Symbolik der Aktivisten dagegen ist oft radikal: Sie klagen das kapitalistische Gesellschaftssystem an, reden vom Massenmord an Tieren und korrupten Politikern, die die Menschheit zerstören. Einer der Gründer der Bewegung, der Brite Roger Hallam, sagte kürzlich: „Wenn eine Gesellschaft so unmoralisch handelt, wird Demokratie irrelevant.“

CDU fragt, ob die Aktivisten extremistisch seien

Es sind Aussagen wie diese, die die Berliner CDU dazu bewegen, den Verfassungsschutz zu fragen, ob Extinction Rebellion eine extremistische Organisation sei. Berlins FDP-Fraktionschef Sebastian Czaja bezeichnete die Blockaden als „dummdreist“. In London, Paris oder Sydney wurden in den vergangenen Tagen Hunderte verhaftet. Wer also sind diese scheinbar freundlichen Revolutionäre – und sind ihre Aktionen gefährlich?

Es ist Montagabend, die wärmende Herbstsonne ist weg, am Potsdamer Platz sitzen noch Dutzende Aktivisten in der Kälte. Polizisten tragen eine Frau weg, 52 Jahre alt, Lehrerin. Auch sie war in der Sitzblockade, hatte die Kreuzung für den Autoverkehr lahmgelegt. Nie, sagt sie, sei sie bisher in Kontakt mit der Polizei gekommen, nur mal ein Knöllchen. „Aber ich muss jetzt handeln“, sagt sie. „Für die Zukunft meiner Kinder.“

Es war ein Merkmal der Protestwoche: Lehrerinnen, Bankerinnen, linksradikale Aktivisten, Familienväter, Maurer oder Philosophen, sehr Junge und sehr Alte – sie alle begehren auf gegen einen Staat, der sie, so sehen sie das, im Stich lässt. Sie nehmen dafür in Kauf, Gesetze zu brechen. Einer Frau, die am Dienstag über das Klimapaket spricht, rinnen dabei Tränen über die Wangen. Warum? „Ich habe Angst, dass die Bundesregierung unsere Zukunft vernichtet.“ Der Protest von Extinction Rebellion ist getragen von einer hohen Emotionalität, die wohl ehrlich ist – aber auch bewusst genutzt wird.

Professionelle Pressearbeit

Das Presseteam von Extinction Rebellion arbeitet hochprofessionell, es gibt Chat-Gruppen, die Journalisten über geplante Aktionen informieren. Die radikalen Klima-Rebellen handeln nicht klandestin, sie wollen die Öffentlichkeit. Deshalb haben sie eigene Fotografen und Kamerateams dabei. Aktivisten lassen sich bereitwillig interviewen und fotografieren. Die Rechnung geht so: Je mehr Menschen vom friedlichen Protest erfahren, desto mehr schließen sich an. Wer kann etwas gegen bunte Bilder von Menschen haben, die sich fürs Klima einsetzen?

Etwa 3000 Aktivisten sind wohl in der Stadt, 2000 von ihnen im Camp am Kanzleramt. Die innere Organisation gleicht einem großen Schwarm, der sich in viele kleine Untergruppen unterteilt, sogenannte Bezugsgruppen. Sie kommunizieren über Chats, mobilisieren binnen Minuten Menschen. Dienstagmittag riefen die Organisatoren per Chat auf: „Dringend!! Räumung der Mühlendammbrücke angedroht.“ 8000 Menschen sind in dieser Chat-Gruppe. Nur Minuten später kamen neue Aktivisten an.

Anstatt immer nur über Ziele zu reden sollten wir endlich über Maßnahmen reden. Das ist im Grunde das Einzige, das gegen den Klimawandel hilft. [...] Was soll wann und in welcher Reihenfolge passieren, das ist die eigentliche Kernfrage.

schreibt NutzerIn gophi

Die gute Organisation ist kein Zufall. Die Aktivisten von Extinction Rebellion hatten in Workshops in ganz Deutschland Wochen, teils Monate für die laufende Aktionswoche trainiert. Etwa wie sie sich friedlich von der Polizei wegtragen lassen, was sie brauchen, um eine Nacht in der Kälte zu überstehen, und wie sie sich emotional gegenseitig unterstützen.

In England werden etwa drei Prozent der Aktivisten auch bezahlt, in Deutschland gibt es nach Aussage einer Sprecherin ebenfalls bereits „Solidaritätsstrukturen“. Das ist ungewöhnlich für eine so junge Protestbewegung. Erst vor knapp einem Jahr wurde Extinction Rebellion in England gegründet. Alles ist gut organisiert, folgt einem Plan.

Klima-Kuss. Eine Fahne, zwei Aktivisten und viel Zärtlichkeit.
Klima-Kuss. Eine Fahne, zwei Aktivisten und viel Zärtlichkeit.

© Stefan Weger

Die Bewegung hat sich sehr schnell eine Art eigenes Regelwerk und ideologisches Grundfundament gegeben. Vor Kurzem erschien die deutsche Übersetzung des Handbuchs von Extinction Rebellion. Es heißt „Wann wenn nicht wir“. Es enthält sehr konkrete Anweisungen zum zivilen Ungehorsam, Merklisten für Protestaktionen und Hinweise zu lautloser Kommunikation. Man konnte auf Berlins Straßen in den vergangenen Tagen beobachten, wie konkret diese Anweisungen umgesetzt wurden: Die Kommunikation untereinander folgte strikten Regeln.

So konkret das Handbuch auf die friedlichen Formen von Protest eingeht, so schwammig bleibt das Ziel von Extinction Rebellion – bislang – in einem größeren Kontext. Was klar ist: Die Gesellschaft soll laut der Aktivisten bis 2025 CO2 -neutral werden, die Regierung soll den „Klimanotstand“ ausrufen und es sollen „Bürgerversammlungen“ einberufen werden, die rechtlich bindende Maßnahmen gegen die Klimakrise erarbeiten sollen.

Ist Extinction Rebellion antidemokratisch?

Kritik gibt es am ideologischen Fundament der Bewegung. Denn das friedliche Vorgehen von Extinction Rebellion hat, glaubt man deren Gründer Roger Hallam, wenig mit Nettigkeit zu tun. Hallam beschreibt seinen Plan so: Wenn die Menschen auf den Straßen Partys feierten, stecke „die Obrigkeit“ in einem Dilemma – irgendwann müsse sie sich für Repression entscheiden. Hallam schreibt: „Die Arroganz der Obrigkeit verleitet sie zur Überreaktion, und die Bevölkerung – idealerweise ein bis drei Prozent – wird aufstehen und das Regime stürzten.“ Hallam will nicht weniger als einen gesellschaftlichen Umsturz. Es sind Aussagen wie diese, die dazu verleiten, die Gruppe als antidemokratisch einzuordnen.

Auf Berlins Straßen war von den radikal-umstürzlerischen Worten des Gründers allerdings nur wenig zu spüren. Fragte man Aktivisten, kannten viele Hallam nicht einmal oder hatten seine Thesen nicht gelesen. Eine junge Aktivistin aus Hamburg, bunt bemalt, sagte: „Ich halte das für Unfug, was er sagt – aber wir sind eine junge Bewegung, wir müssen uns noch finden.“

Tatsächlich ist die Gruppe momentan noch widersprüchlich, teilweise schwer einzuordnen. Sie ist offen für alle, das ist eine bewusste Entscheidung – und ein Risiko. Kopfschütteln löste in Berlin etwa die „Red Rebel Brigade“ aus, blutrot bemalte Frauen, die eintönig singend durch Berlin zogen. Eine Sprecherin im schwarzen Nonnenkostüm verlas: „Wir warnen vor dem Massensterben, wenn wir uns nicht aus dem toxischen System befreien.“ 

Bitte lächeln. Eine Aktivistin wird von der Polizei aufgefordert, zu gehen.
Bitte lächeln. Eine Aktivistin wird von der Polizei aufgefordert, zu gehen.

© Stefan Weger

Das war selbst einigen Demonstranten zu viel. Rechtsextreme und Menschen aus der Reichsbürgerszene versuchten in den vergangenen Tagen, sich an Aktionen zu beteiligen, wurden aber abgedrängt. Radikal linke Gruppen distanzierten sich in den vergangen Tagen von Extinction Rebellion, die aus ihrer Sicht zu zahm mit der Polizei umgingen.

Am Dienstag, als der Potsdamer Platz nach mehr als 24 Stunden geräumt war, bedankten sich Aktivisten bei den Polizisten: „Ihr wart super!“, riefen sie. Die Beamten lächelten erschöpft, sie waren seit Stunden im Einsatz, körperlich am Ende. Freundlichkeit kann eine Waffe sein.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false