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Wolf Biermann und Robert Havemann (beide im Hintergrund) waren befreundet. Mit dessen Sohn, Florian, streitet Biermann nun.

© IMAGO

Tag der offenen Tür in Berliner Stasi-Gedenkstätte: Streit um Auftritt von Wolf Biermann

Am Sonntag soll Wolf Biermann in der Gedenkstätte Hohenschönhausen auftreten. Dem Schriftsteller Florian Havemann passt das nicht.

Es ist nicht nur ein Tag der offenen Tür in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, in der früheren Untersuchungshaftanstalt der Staatssicherheit. Diesmal soll der Liedermacher und Lyriker Wolf Biermann auftreten: Für das Konzert zeichnen denn auch bedeutungsschwer die Bundesstiftung Aufarbeitung und die Stiftung Berliner Mauer mitverantwortlich.

Biermann, „einer der radikalsten Kritiker der SED-Diktatur“, wie es in der Einladung heißt, ist an diesem Sonntag ab 14 Uhr „erstmals live“ an einem der bekanntesten Tatorte des Regimes zu sehen. Marianne Birthler, die frühere Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, wird auf dem Podium mit Biermann sprechen. Es geht um Erinnern, Gedenken und Geschichtspolitik mit einem Heroen der Opposition und Bürgerbewegung in der DDR, der jahrelang mit einem Auftrittsverbot belegt war und 1976 bei einem Auftritt in Köln ausgebürgert wurde.

Birthler war im vergangenen Jahr als Vertrauensperson an die Gedenkstätte geholt worden, nachdem Direktor Hubertus Knabe wegen Belästigungsvorwürfen gegen seinen Stellvertreter gehen musste. Frühere Insassen und SED-Opfer hätten sie gefragt, ob Biermann nicht in der Gedenkstätte singen könne. Denn viele, berichtet Birthler, hätten sich auch im Stasi-Knast an seinen Liedern aufgerichtet und leise gesummt: „Du lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit.“

Nicht allen gefällt der Biermann-Auftritt. Florian Havemann, der Berliner Schriftsteller, Maler, Lebenskünstler und frühere Brandenburger Landesverfassungsrichter, ist empört, schließlich hat er drei Monate im Stasi-Knast gesessen – nicht Biermann. Ein neues Kapitel in der jahrzehntelangen Fehde zwischen den beiden: Der eine, Havemann, 67 Jahre alt, protestiert jetzt gegen den Auftritt des anderen, Biermann, 82 Jahre alt.

Havemann war Opfer der Stasi

Das hat einen Grund: Biermann schrieb in seiner 2016 erschienen Autobiografie: „Florian Havemann floh 1971 – so schätzen wir es ein – auf dubiosen MfS-Wegen in den Westen.“ Was meinte Biermann damit? Wollte er andeuten, dass Havemann mit der Staatssicherheit zusammengearbeitet hat? Der Ullstein-Verlag ließ die Anfrage dazu unbeantwortet.

Havemann selbst berichtet, er sei mehrfach von der Stasi-Unterlagen-Behörde überprüft worden, auch weil er im Stiftungsrat der Stiftung für ehemalige politische Häftlinge der DDR saß. Das Ergebnis: Havemann war Opfer der Stasi, kein Täter, es habe keine Zusammenarbeit gegeben. Umso mehr stört Havemann, dass Biermann in der Gedenkstätte auftritt. Genau jener Mann, der Havemann eine Nähe zur Stasi andichtet. Und genau dort, wo Havemann von der Stasi eingesperrt war.

Havemann und Biermann verbindet eine lange persönliche und familiäre Geschichte. Biermann war mit Havemanns Vater, dem DDR-Regimekritiker Robert Havemann, befreundet. Havemann senior war wie Biermann das Sinnbild eines aufrechten Linken, des Dissidenten, der gegen die SED-Machthaber den „wahren“ Sozialismus hochhielt.

Florian Havemann floh 1971 in den Westen

1968, mit 16 Jahren, wurde Florian Havemann verhaftet, weil er Flugblätter mit einem Biermann-Gedicht gegen die Niederschlagung des Prager Frühlings verteilte. Wegen „staatsfeindlicher Hetze“ saß er drei Monate in Hohenschönhausen, später im Jugendgefängnis Lukas ein. 1971 gelang ihm die Flucht in den Westen.

Florian Havemann musste sich nach dieser Flucht von Biermann Kritik gefallen lassen. Der Liedermacher schickte Florian das Lied „Enfant perdu“ hinterher: „Wer abhaut aus dem Osten, der ist auf unsere Kosten von sich selber abgehauen.“ Der Vorwurf: Florian Havemann habe den Sozialismus verraten.

Später im Westen wird Havemann, der für seinen Lebensunterhalt auch putzen gehen muss, am Heldenbild seines Vaters Robert kratzen. Er gehörte wie der Schriftsteller und Regisseur Thomas Brasch zu jenen 68ern aus der DDR, die sich gegen ihre sozialistischen Väter auflehnten und denen es hinter der Mauer zu eng wurde. Für Florian Havemann war der Zirkel der intellektuellen Oppositionellen um seinen Vater nur ein Schnaps trinkender Debattierklub.

Mehr als 10.000 Menschen waren in Hohenschönhausen inhaftiert

Der Tag der offenen Tür, der um 10 Uhr mit Führungen und Zeitzeugengesprächen beginnt, ist nun ein weiteres Kapitel in dieser Geschichte zwischen Havemann und Biermann. Havemann will nicht vor Gericht ziehen und Biermann die Aussage im Buch über die dubiosen MfS-Wege untersagen lassen. Aber um eines hat er den amtierenden Leiter der Gedenkstätte, Jörg Arndt, gebeten: Am besten eine Absage des Konzerts, zumindest müsse sich die Gedenkstätte von Biermanns Aussage über ihn distanzieren.

Havemann findet, dass in Hohenschönhausen, wo von 1951 bis 1989 mehr als 10.000 Menschen inhaftiert waren, auch seinem Schicksal, seiner Haft gedacht wird. „Es kann nicht angehen, wenn einer der Häftlinge völlig zu Unrecht einer Verbindung mit der Staatssicherheit beschuldigt wird und der, der dies tut, dann noch bei uns auftreten darf“, sagt Havemann. „Ich betrachte die Gedenkstätte auch als meine Gedenkstätte.“

Die Gedenkstätte hingegen will sich nicht in den Konflikt hineinziehen lassen. Der Leiter hat Havemann um Verständnis gebeten, „dass die Gedenkstätte nicht Teil dieses Konflikts ist und sein kann“. Biermann sei als Musiker eingeladen worden und sei auch ohne Haftgeschichte ein wichtiger Zeitzeuge der SED-Diktatur. Havemann sagt: „Die Konflikte, die von der Stasi in die Gesellschaft gebracht worden sind, wirken immer noch fort.“

Gedenkstätte Hohenschönhausen, Genslerstraße 66, Tag der offenen Tür, heutiger Sonntag, 10 bis 17 Uhr

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