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Beliebte Gartenblumen: Margeriten.

© Marion Nickig/dpa-tmn

Tag der offenen Hofgärten in Berlin: Zu Besuch im Böhmischen Dorf in Neukölln

Sonne, 25 Grad, raus ins Grüne. Am Wochenende öffnen mehr als 120 Gärten. Ein ganz besonderer ist im Böhmischen Dorf zu finden. Ein Besuch am Gartenzaun.

An das Gartentor gelehnt wartet Brigitta Polinna, eingerahmt von der Hecke, vor ihrem Haus. „Die Klingel ist ein bisschen versteckt“, sagt sie. Da sei sie lieber rausgekommen. Hinter ihr eröffnet sich ihr Reich, das bei verschlossener Tür nicht zu erahnen ist.

Polinna lebt seit 44 Jahren im historischen Viertel des Böhmischen Dorfs. Aus ihrem Leben – es begann ums Eck in der Richardstraße und wie lange es genau währt, behält sie für sich – ist das Haus in der Neuköllner Kirchgasse nicht wegzudenken: Bei ihren Tanten Lotte und Mieze, die zuvor hier lebten, war Polinna als Kind ein und ausgegangen. „Als Kinder kannten wir hier jeden Winkel.“

Und das Viertel blickt auf eine bewegte Geschichte zurück: Im Jahr 1737 errichteten geflüchtete böhmische Familien die Siedlung Böhmisch-Rixdorf, die als Kulturdenkmal Böhmisches Dorf fortbesteht. Das „Museum im Böhmischen Dorf“, das Brigitta Polinna mit anderen Bewohnern seit 13 Jahren ehrenamtlich betreibt, gibt einen Einblick in diese Geschichte.

Es liegt von Polinnas Wohnidylle nur wenige Schritte über die gepflasterte Kirchgasse, im alten Schulgebäude der Böhmen. Davor wacht mit geschwellter Brust der Soldatenkönig: Ein Denkmal erinnert daran, dass Friedrich Wilhelm I. einst die 350 Böhmen aufgenommen hatte, weil sie nach der Rekatholisierung in der Heimat wegen ihres Glaubens verfolgt wurden.

Schloss Polinneum

Bauliche und soziale Strukturen der Siedlung sind bis heute erhalten, ebenso wie die drei evangelischen Kirchengemeinden. Auch Straßennamen erinnern an Nachfahren der ersten Siedler, wie Maresch, Schudoma, Niemetz. Zum Teil leben die Familien bis heute im Böhmischen Dorf und dessen Umfeld.

So weit kann Polinna ihre Familiengeschichte nicht zurückverfolgen. Klar ist, dass die Urgroßeltern das Haus in der Kirchgasse im Jahr 1910 kauften. Brigitta Polinna hat eine Schwarz-Weiß-Fotografie von den alten Zeiten. 1936, um genau zu sein. Da stehen die Ur-Ahnen am Brunnen zwischen Wohnhaus und der alten Scheune. Im Vordergrund pickt ein Huhn etwas von den sonnenbeschienenen Pflastersteinen.

Brigitta Pollina (r.) und Mitarbeiterin Susanne Lehmann am Wilhelm–Denkmal in der Kirchgasse.
Brigitta Pollina (r.) und Mitarbeiterin Susanne Lehmann am Wilhelm–Denkmal in der Kirchgasse.

© Sven Darmer/Davids

An eben dieser Stelle hängt das Bild jetzt an der Wand: Wohnhaus und Scheune sind heute durch einen Wintergarten verbunden. Durch den verwunschenen Garten geht es hinein. Als Polinna 1974 von ihrer Studentenbude in der Richardstraße mit ihrem Mann hier einzog, mussten sie umfangreich sanieren.

„Da war das eine Bruchbude. Kein Wasser, kein Klo, die Scheune war völlig durchgefault.“ Jetzt ist über der verglasten Tür zum Wintergarten ein Schild angebracht: „Polinneum“. „Kennen Sie das Traumschloss Achillion von Kaiserin Sisi?“, fragt Polinna. „Ich habe eben ein Schloss Polinneum.“ Es ist wahrhaftig ein Traum.

Ein Garten wie eine Filmkulisse

Hinter der Scheune öffnet sich ein weitläufiger Garten, der als Filmkulisse dienen könnte: Ein japanischer Kirschbaum am einen Ende, ein weißer Pavillon am anderen, dazwischen Blumenbeete, die Polinna „meine Barockbeete“ nennt. Kunstvoll geschnittene Hecken. „Das macht hier einer der Anwohner“, sagt Polinna.

Ihre Leidenschaft für historische Gartenmöbel fügt sich ein ins malerische Bild. Polinna ist ehrlich: „Wenn ich hier vorbeilaufen müsste und es wohnte jemand anderes hier, das könnte ich nicht ertragen.“ Doch sie teilt ihr Idyll gern. Polinna hat viele Gäste und richtet gern Feiern aus. Sie ist Mitinitiatorin des Tags der offenen Gärten – „Die verborgenen Hofgärten im Böhmischen Dorf“.

Gemeinsam mit anderen Mitgliedern der Evangelischen Brüdergemeinde, die am anderen Ende der Kirchgasse ihren Betsaal hat, hat sie 2005 außerdem das „Museum im Böhmischen Dorf“ eröffnet. Die Idee gab es schon länger und als in dem alten Schulgebäude zwei Räume frei wurden, war es so weit.

Das Haus in der Nummer 5 zählt zu den am besten erhaltenen historischen Gebäuden des Dorfs. 1753 errichtet, diente es als Schule und einst auch als Betsaal. 1909 wurde es Wohngebäude. Donnerstags sowie jeden ersten und dritten Sonntag im Monat ist Museumstag – heute hat Susanne Lehmann die Museumstüren geöffnet.

Sie und Polinna und die anderen ehrenamtlichen Museumsbetreiber erzählen die Siedlungsgeschichte, von Traditionen, Glauben, Handwerkskunst, Pädagogik, Leben und Arbeiten, mit Ausstellungsstücken aber auch mit persönlichen Erzählungen. Obwohl es mit den zwei übersichtlichen Räumen ein sehr kleines Museum ist, bleiben die meisten Besucher für mehr als nur einen kurzen Blick. „Manche Leute halten sich zwei, drei Stunden hier auf“, sagt Lehmann.

Die Ausstellungsstücke, vom bestickten Tuch bis zu Mitbringseln aus Missionsgebieten, stammen zum größten Teil von Mitgliedern der Herrnhuter Brüdergemeinde und aus der Gemeinde selbst. An der Wand ein Foto eines Bläserchors. „Den gibt es heute noch“, sagt Polinna. Sie zeigt auf ein Nudelholz. „Das älteste Exponat das wir haben.“ Das Jüngste ist wohl ein mini-kleiner Herrnhuter Stern.

Die Erklärung liefert Polinna: Unter Neuköllner Jugendlichen gibt es einen Wettstreit, wer das kleinste Exemplar nach der berühmten geometrischen Bauart falten kann. Gewänder wie die Kirchentrachten der Herrnhuter zählen zu den Lieblingsstücken von Polinna.

Und die zarten Taufhauben, die im hinteren Raum ausgestellt sind. „Die waren ganz schwarz als wir die bekamen“, sagt sie. „Die hab ich erstmal in den Kochtopp gesteckt.“ Die aufgenähten Seidenblüten hat sie ersetzt – hier spielte ihr ihre andere Leidenschaft in die Hände: In der Richardstraße betreibt sie seit 1981 eine Puppenklinik. „Dadurch komme ich leicht an solche Dinge ran.“

Jetzt muss sie aber gehen: Brigitta Polinna hat noch andere Termine. All ihre Umtriebe scheinen dieser Frau mit Seelenruhe von der Hand zu gehen. So trägt sie ihren Teil dazu bei, dass das Böhmische Dorf lebendig bleibt.

Die verborgenen Hofgärten im Böhmischen Dorf, am Samstag, 26. Mai, von 12 bis 18 Uhr und Sonntag, 27. Mai, von 13 bis 18 Uhr, zwischen Kirchgasse und Richardstraße in Neukölln, Eintritt 3 Euro.

Museum im Böhmischen Dorf, Kirchgasse 5 in Neukölln, geöffnet Donnerstag von 14 bis 17 Uhr und jeden 1. Und 3. Sonntag im Monat von 12 bis 14 Uhr. www.museumimboehmischendorf.de

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