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"Tag der offenen Gesellschaft": Liebe Alle, setzt Euch doch!

Mit Nachbarn, Freunden und Fremden zusammen essen, trinken, diskutieren, an langen Tafeln mitten auf der Straße: Beim „Tag der offenen Gesellschaft“ am Sonnabend wird die Vielfalt gefeiert.

Der Gedanke liegt so nahe, dass er fast nicht greifbar ist. Beim Skatspielen im traditionellen Promi-Lokal „Diener“ in Charlottenburg schafften es André Wilkens und seine drei Mitstreiter trotzdem. Warum nicht mal das Positive sehen? Warum nicht mal die offene Gesellschaft feiern, deren Vorzüge wir jeden Tag genießen können.

„Es ist doch so“, sagt der 54-jährige Politologe , der in der DDR aufgewachsen ist, „die Rechten stellen sich auf den Marktplatz, sind sichtbar und erwecken den Eindruck, sie seien viele.“ Sind sie aber nicht. „Die anderen sind viele!“, sagt er. Und die wollen ihrerseits Gesicht zeigen am „Tag der offenen Gesellschaft“ am 16. Juni. „Das ist unser Feiertag“, sagt Wilkens. Für Demokratie, Offenheit, Gastfreundschaft, Vielfalt und Freiheit – so schreibt es sich der Aktionstag auf die Fahne.

Bereits zum zweiten Mal findet er statt, und wieder heißt es: „Tische und Stühle raus und schön eindecken“. Und bereits beim Auftakt im vergangenen Jahr war das Interesse riesig: Über Freundeskreise und Mund-zu-Mundpropaganda verbreitete sich die Idee quasi viral. Mehr als 20.000 Leute im ganzen Land nahmen spontan teil, organisierten Tafeln für Nachbarn, Freunde und Fremde. Jeder brachte etwas zum Essen und Trinken mit, man diskutierte im kleinen Kreis oder in großer Runde über Themen, die sich gerade so ergaben.

Und siehe da, nachhaltige Effekte blieben nicht aus. Ist man erst einmal ins Gespräch gekommen mit den Nachbarn, an denen man sonst allenfalls mit einem stummen Gruß vorbeigeht, sind die Wege weit geöffnet für neue Unternehmungen. Die einen verabredeten sich zum Sport, die anderen fanden große politische Themen, die sie bei gemeinsamen Kneipenabenden gern ausdiskutieren wollten. Lösungsorientiert natürlich. Der Hashtag der Initiative ist schon Teil des Programms: #Dafür.

Inspirierendes Kartenspiel

Wer mitmacht, stellt sich in aller Regel der Frage: „Was für eine Gesellschaft wollen wir eigentlich sein? Und was können wir für diese Gesellschaft tun?“ Klar ist es wichtig, kritisch zu sein, Dinge auch mal auseinander zu nehmen. Aber das ist ja Mainstream, denn das machen sowieso alle ständig. Warum nicht mal einen anderen Ansatz wagen? „Wir hatten einfach keine Lust mehr, immer nur gegen alles zu sein“, sagt André Wilkens.

An der weitreichenden Skatrunde nahmen auch der Soziologe und Zukunftsforscher Harald Welzer, der Think-Tank-Gründer Alexander Carius und Werbe-Experte Stefan Wegner teil. Gemeinsam stellten sie sich der leider originellen Frage: „Wofür wollen wir eigentlich sein?“ Der Debattenband „Die offene Gesellschaft und ihre Freunde“ gehört auch zu den Früchten des offenbar inspirierenden Kartenspiels.

Zunächst wurde die einfache Idee geboren, sich erst einmal richtig kennenzulernen. Partner mit starken Netzwerken waren rasch gefunden. In Berlin sind neben vielen anderen der Club SO36, das Gorki Theater und das Deutsche Theater dabei. In Köln beteiligt sich etwa das Bauturm-Theater, in Stuttgart das Schauspiel, in Bochum die GLS-Bank.

Ein gewaltiger Schneeball-Effekt setzte ein. „Macht doch mit“, dieser Aufforderung folgten gleich am Anfang etwa 5000 Freunde. Inzwischen gibt es eine kleine Geschäftsstelle und eine Webseite, auf der Interessenten sich anmelden und Unterstützung finden können. Den offenen Ansatz finden auch Stiftungen gut. Unter anderem die Bosch-, Allianz- und Bertelsmann-Stiftungen unterstützen den positiven Sog, auch das Familienministerium hilft.

Gesellschaftliche Schwerpunkte aufdecken

Gastfreundschaft, Großzügigkeit, Vielfalt und Freiheit sollen zelebriert werden. Dabei geht es aber durchaus auch darum, gesellschaftliche Schwachpunkte aufzudecken und neu zu denken. Beim Thema Integration etwa geht es keineswegs nur um Flüchtlinge und Migranten. Der Integration bedürfen aus Sicht der Initiatoren auch große Unternehmen wie VW oder die Deutsche Bank.

„Eliten, die erst betrügen und dann große Prämien einstreichen, entsprechen nicht unserem Gemeinwesen, sind also nicht integriert“, erklärt Wilkens. Das Thema Ungleichheit ist ein Thema wie auch das Thema Religion. Allein im letzten Jahr gab es mehr als 1000 Diskussionsveranstaltungen in Clubs und Theatern.

Die Initiatoren wollen am 16. Juni zwei große Tafeln organisieren, eine auf dem Pariser Platz – vorausgesetzt, dass alle Genehmigungen eingeholt werden können. Und eine weitere auf dem Tempelhofer Feld, wo es auch Musik geben soll. Diese Tafel war schon beim Auftakt 2017 ein großer Erfolg. Unterstützer der Aktion kommen aus den unterschiedlichsten Bereichen.

Fernsehmoderator Eckart von Hirschhausen gehört dazu, die Diakonie Deutschland, die Drogeriekette dm und der Bundesverband der Anzeigenblätter. Auf der Webseite erklärt Schauspielerin Katja Riemann in einem kurzen Spot, weshalb sie ebenfalls Anhängerin der Idee ist. Das große neue Thema Einsamkeit spielt ebenfalls eine Rolle.

„Die Leute überrennen uns, weil sie tatsächlich mitwirken, etwas anders machen wollen“, sagt Wilkens. Viele Menschen fühlten sich schon gar nicht mehr repräsentiert durch politische Parteien, die sich der Wahrnehmung nach gegenseitig nur zerfleischen. Sie seien gegen die Verrohung des politischen Diskurses.
Vor allem aber, sagt Wilkens, habe er ein großes Bedürfnis nach analoger Kommunikation ausgemacht. „Die Menschen wollen sich in die Augen sehen, wenn sie miteinander sprechen, wollen Gemeinschaft live erfahren.“
Als bekennender Demokrat Gesicht zu zeigen, ist im Grunde einfach und wird am 16. Juni noch einfacher gemacht. Einfach einen Tisch nach draußen stellen. Einfach auf der Webseite anmelden und eventuell Unterstützung anfordern, einfach Zettel im Haus aushängen und die Nachbarn auffordern, sich mit Nüsschen und Getränken dazu zu setzen. Die Themen kommen dann ganz von allein – ganz einfach. www.die-offene-gesellschaft.de

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