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Nicht immer werden 1,50 Meter Mindestabstand eingehalten - wie hier am Landwehrkanal.

© imago images/snapshot

Tadel für den Berliner Senat: Verfassungsgericht setzt Bußgeld für Verstöße gegen Mindestabstand aus

Eine Grundregel der Corona-Eindämmungsverordnung ist zu schwammig formuliert. Deshalb darf sie keine finanziellen Folgen für die Bürger haben.

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Bei Verstößen gegen die Corona-Eindämmungsverordnung können in Berlin zum Teil keine Bußgelder mehr verhängt werden. Der Verfassungsgerichtshof setzte die entsprechende Bußgeldverordnung des Senats in Teilen außer Kraft.

Betroffen ist die bislang zentralste Vorgabe zum Schutz der Bürger vor einer Ausbreitung der Corona-Pandemie – das Gebot, physisch soziale Kontakte auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren und dabei einen Mindestabstand von 1,50 Metern einzuhalten. Die Abstandsregel selbst beanstandeten die Richter allerdings nicht.

Das Berliner Verfassungsgerichtshof machte handwerkliche Fehler des Senats im ersten Paragrafen der Eindämmungsverordnung aus, in dem „grundsätzliche Pflichten“ der Bürger festgehalten sind. Mehrere Formulierungen – „physisch soziale Kontakte“, „absolut nötiges Minimum“ und „soweit die Umstände dies zulassen“ – seien zu unbestimmt, heißt es in dem Dienstag veröffentlichten Beschluss des höchsten Berliner Gerichts (VerfGH 81 A/20 vom 20. Mai).

Nach dem Bestimmtheitsgrundsatz muss für Bürger einsichtig sein, welche Rechtsfolgen sich aus ihrem Verhalten ergeben. Doch die Berliner Verfassungsrichter, die ihren Beschluss mit acht Stimmen zu einer Stimmen fassten, stellten fest, dass die Bürger aus der Berliner Verordnung nicht klar erkennen könnten, welche Handlung bußgeldbewehrt sei. Dies könne gerade rechtstreue Bürger veranlassen, sich in ihren Grundrechten noch weiter zu beschränken, als es erforderlich wäre, um keine Ordnungswidrigkeit zu begehen.

Zudem kritisierten die Verfassungsrichter, dass der Bußgeldkatalog, der Zahlungen von bis zu 25.000 Euro bei Verstößen vorsieht, trotz zwischenzeitlich vom Senat beschlossener Lockerungen nicht angepasst und entschärft wurde. Der Bußgeldkatalog berücksichtige nicht „die substantiellen Veränderungen“. Von 59 im Bußgeldkatalog aufgeführten Tatbeständen entsprechen selbst bei großzügiger Auslegung nur noch neun Tatbestände den Regelungen der aktuellen Eindämmungsverordnung.

Richter hatten schon früher größere Klarheit angemahnt

Bei Verstößen gegen die Gebot zu weniger sozialem Kontakt und zu einem Mindestabstand können nun zunächst keine Bußgelder mehr erhoben werden. Bislang waren dafür Zahlungen in Höhe von 25 bis 500 Euro vorgesehen. Der Verfassungsgerichtshof hat die Wirksamkeit dieses Teils der Verordnung nun vorläufig ausgesetzt, bis im Hauptsacheverfahren darüber entschieden ist. Ein Berliner Rechtsanwalt hatte eine entsprechende einstweilige Anordnung beantragt.

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Die vom Kläger geforderte Aussetzung der Eindämmungsregeln etwa bei Versammlungen, Veranstaltungen, Hygieneregeln, Krankenhäusern und Quarantäneregeln lehnten die Verfassungsrichter aber ab. Andere Bußgelder, etwa bei Verstößen gegen Hygieneregeln oder Obergrenzen bei Versammlungen, gelten daher weiter.

Der FDP-Abgeordnete Marcel Luthe, der mit seiner Beschwerde gegen die Eindämmungsverordnung vor dem Verfassungsgericht noch gescheitert war, sprach von einer "fehlenden Normenklarheit der selbstgebastelten Verordnungen" des Senats. Der Verfassungsgerichtshof komme zum "zutreffenden Ergebnis, dass die Regelungen schlicht unklar sind". Damit fördere der Senat "seit Wochen allein Unsicherheit, statt gerade in dieser Lage für Rechtssicherheit zu sorgen".

Die Verfassungsrichter bemängelten auch, dass dem Senat die fehlende Bestimmtheit der Regeln aus ihren früheren Entscheidungen bekannt gewesen sei. Das Gericht empfahl dem Senat eine neue Bußgeldvorschrift zu erlassen, die die Zweifel beseitigt und Bürgern „die notwendige Orientierung über die Sanktionierung von Verstößen bietet“. Damit ließe sich „sehr kurzfristig“ der Gefahr begegnen, dass die Bürger „ohne Verfolgungsdruck“ dazu neigen könnten, sich nicht mehr an die Abstandsregeln zu halten – mit steigenden Infektionszahlen als Folge.

Senat will Fehler am Donnerstag beheben

Der Senat will darüber am Donnerstag in einer Sondersitzung beraten. Dem Vernehmen nach könnte sich Rot-Rot-Grün darauf verständigen, veränderte Formulierungen in der Eindämmungsverordnung zu beschließen, um die handwerklichen Fehler zu beheben. An den bisherigen Kontakteinschränkungen will der Senat festhalten.

Am Donnerstag wird der Senat erste Lockerungen beschließen. Ab dem 6. Juni werden wohl Fitnessstudios, Tanz-, Ballett- und Sportschulen ebenso wieder öffnen wie Spezialmärkte, Mensen, Kinos und Freiluftkinos. Schankgaststätten sollen demnach erst ab 20. Juni wieder Gäste empfangen.

Der Senat plant außerdem schrittweise Versammlungen und religiöse Veranstaltungen im Außen- und Innenbereich mit unbegrenzter Teilnehmerzahl zuzulassen. Das soll analog auch für private und kulturelle Veranstaltungen gelten.

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