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Ein Konflikt, der einen nicht kaltlässt: Viele tausend Menschen demonstrierten am Sonntag in Berlin für die Sache der Kurden.

© imago images/Christian Ditsch

Syrien und die Folgen für Berlin: „Kurden geraten schnell ins Visier der Erdogan-Brigaden“

Der Syrienkrieg verschärft auch den Konflikt zwischen Kurden und Türken in Berlin. Linken-Politiker Hakan Taş spricht im Interview über ständige Bedrohungen.

Während in der von Kurden dominierten syrischen Region Kamischli türkische Bomben fallen, heizt sich auch die Stimmung in Berlin auf. Auseinandersetzungen zwischen Kurden und nationalistischen Türken häufen sich. Am Sonnabend ist ein Mann am Hermannplatz niedergestochen worden, die Polizei sieht den Kurdenkonflikt als Grund für den Angriff. Der kurdischstämmige Berliner Abgeordnete Hakan Taş (Linke) reist zur Zeit durch den kurdischen Teil der Türkei. Im Abgeordnetenhaus ist der 53-Jährige unter anderem für Integration zuständig. Im Interview mit dem Tagesspiegel spricht er über die Folgen des Konflikts für Berlin und seine Forderungen an den Senat.

Herr Taş, Sie sind momentan in kurdischen Städten in der Türkei unterwegs. Wie erleben Sie die Stimmung dort?
Sie ist zweigeteilt. Auf der einen Seite erlebe ich hier eine verheerende Kriegspropaganda der Erdoğan-Regierung. In den vergangenen Jahren hat es seine Partei, die AKP, geschafft, die Medienlandschaft komplett gleichzuschalten. Dementsprechend wird die Bevölkerung in allen gängigen Medien mit kriegsverherrlichenden Inhalten konfrontiert. Die Bewohner in den kurdischen Gebieten sind eindeutig gegen den Krieg. Sie lehnen den völkerrechtswidrigen Einmarsch ab und wollen nicht, dass Menschen in einem sinnlosen Krieg sterben.

Sie selbst sind kurdisch-alevitischer Abstimmung. Wie fühlen sie sich bei dieser Nachrichtenlage?
Der Krieg macht mich wütend, traurig und fassungslos. Ich bin wütend darüber, dass die AKP-Regierung die gesamte Region nach dem völkerrechtswidrigen Einmarsch in Afrin nun erneut ins Chaos stürzt. Traurig bin ich darüber, dass die Menschen nach all den Gräueltaten des IS nun erneut vor einem Genozid stehen. Fassungslos bin ich hingegen, weil die westliche Staatengemeinschaft ihre kurdischen Alliierten im Kampf gegen den Terror im Stich gelassen hat und zusieht, wie ihre Partner von gestern heute von Erdogan massakriert werden.

Sicherheitsexperten befürchten ethnische Säuberungen in den syrischen Gebieten, in denen heute Kurden leben – wie schätzen Sie die Lage vor Ort ein?
Die ethnischen Säuberungen haben bereits begonnen. In den vergangenen Tagen wurden von den Alliierten der türkischen Streitkräfte übelste Kriegsverbrechen begangen. Die Veröffentlichung entsprechender Videos ist kein Zufall. Ankara hat das Ziel möglichst viele Flüchtlinge zu produzieren. Einerseits, weil Erdoğan damit anschließend die europäischen Staaten besser erpressen kann und andererseits, weil er in Rojava eine arabische Mehrheit etablieren will. In der sogenannten „Schutzzone“ will er etwa zwei Millionen Geflüchtete aus Syrien zwangsweise ansiedeln. Diese inhumane Maßnahme hätte für die kurdischen Autonomiebestrebungen große Auswirkungen. Auf einen Schlag würde sich die kurdische Bevölkerung zu einer Minderheit in der Grenzregion entwickeln und hätte Schwierigkeiten, Forderungen nach einer Selbstverwaltung aufrecht zu erhalten.

Stehen Sie in Kontakt mit Menschen in den angegriffenen Gebieten?
Ja, ich stehe in ständigem Kontakt zu Bekannten, die sich in den verschiedenen Städten von Rojava aufhalten. Der Kontakt ist in den letzten Tagen aufgrund der Bombardements massiv eingeschränkt. Die Menschen berichten von wahllosen Angriffen aus der Luft und von der großen Sorge, in die Hände der islamistischen Extremisten zu geraten.

Der Berliner Abgeordnete und Autor Hakan Taş (Linke) ist kurdischer Abstammung.
Der Berliner Abgeordnete und Autor Hakan Taş (Linke) ist kurdischer Abstammung.

© Thilo Rückeis

Bereits am Wochenende gab es in Berlin Solidaritätsdemonstrationen von Kurden. Mehr als 3000 Menschen nahmen teil, die Stimmung war aufgeheizt, es gab mehrere Festnahmen. In Neukölln wurde ein Mann niedergestochen, die Polizei vermutet die Kurdenfrage als Hintergrund. Werden wir solche Vorfälle häufiger erleben?
Ich hoffe nicht. Ob ein Zusammenhang besteht, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Die Menschen sind in tiefer Sorge um ihre Freunde und Verwandten in der Region. Ihre Wut und ihre Frustration über diesen Krieg ist nachvollziehbar. Insgesamt sind die in der kurdischen Community organisierten Menschen aber sehr friedfertig und demokratisch eingestellt. Insofern hoffe ich, dass sie sich auf Provokationen von Nationalisten nicht einlassen.

In Herne, Nordrhein-Westfalen, sollen Kurden eine Moschee der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion (DITIB) angegriffen haben, in der zuvor für den Krieg gebetet worden war. Sind solche Angriffe auch in Berlin zu erwarten?
Die DITIB-Moscheen werden direkt aus Ankara gelenkt. Ankara hatte sie dazu aufgefordert, das Freitagsgebet in der vergangenen Woche den Soldaten zu widmen, die sich im Einsatz befinden. Darüber hinaus wurden kriegsverherrlichende Inhalte gepredigt. Das ist aus meiner Sicht inakzeptabel. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Menschen in Berliner DITIB-Moscheen für völkerrechtswidrige Kriege von Erdogan beten. Eine Moscheevereinigung, die sich dermaßen für die Kriegspropaganda eines Diktators instrumentalisieren lässt, darf es in Berlin und in Deutschland nicht geben. Dennoch darf es nicht zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommen. Wir leben in einem demokratischen Land und derartige Auseinandersetzungen müssen politisch geführt werden.

In Berlin leben Kurden und Türken auf engem Raum, als Nachbarn. Wie hat sich die Stimmung zwischen ihnen in den vergangenen Jahren entwickelt?
Leider genießt Erdoğan unter vielen türkischstämmigen Menschen hierzulande hohes Ansehen – auch aufgrund der verfehlten deutschen Integrationspolitik. Insofern ist die Stimmung kontinuierlich gereizt, da sich der türkische Nationalismus ausbreiten konnte.

Woran machen sie das fest?
Die Erdoğan-Administration beschäftigt mehr als 6000 Agenten in Deutschland und hat die Motorrad-Gang „Osmanen Germania“ in Deutschland aufgebaut. Sie sollte den Nationalismus unter den hier lebenden türkischstämmigen Menschen schüren, gegen kurdische und sonstige Oppositionelle hetzen und diese – wenn nötig – zum Schweigen bringen.

Die Osmanen wurden im Juli 2018 von CSU-Innenminister Horst Seehofer verboten. Wie schätzen sie das Gewaltpotenzial türkischer Nationalisten hierzulande ein?
Unterstützt von der türkischen Regierung haben sich Nationalisten ein schlagfertiges Netzwerk aufgebaut. Neben dem türkischen Geheimdienst spielen auch Unternehmensvereinigungen als Geldgeber eine wichtige Rolle.

Kurden demonstrierten in Berlin gegen die türkischen Angriffe. Es wurde Pyrotechnik gezündet, die Polizei nahm mehrere Menschen fest.
Kurden demonstrierten in Berlin gegen die türkischen Angriffe. Es wurde Pyrotechnik gezündet, die Polizei nahm mehrere Menschen fest.

© imago/snapshot/Boillot

Sie selbst hatten Ende 2017 vermutet, dass der türkische Geheimdienst hinter einem Angriff auf Sie in Kreuzberg steckt.
Ich wurde etwa an dem Tag attackiert, an dem ich öffentlich bekundet hatte, als Prozessbeobachter eines wichtigen Oppositionspolitikers in die Türkei zu fliegen. Das Gewaltpotenzial ist angesichts der Kriegsstimmung enorm hoch. Immer wieder wurden in koordinierten Aktionen Erdoğan-Oppositionelle in Deutschland zur Zielscheibe von Gewalttaten.

In Berlin gibt es eine starke kurdische Community: 20 Prozent haben bei den vergangenen türkischen Wahlen für die pro-kurdische HDP gestimmt. Wie sicher können sich Berliner Kurden fühlen?

Insgesamt leben die Kurden in Berlin und in Deutschland relativ sicher. Das ändert sich allerdings, wenn sie politisch aktiv werden und sich hierzulande öffentlich gegen die AKP-Diktatur stark machen. Dann können sie schnell ins Visier gewaltbereiter Erdoğan-Brigaden geraten.

Was kann der Berliner Senat tun, um das Sicherheitsgefühl der Kurden hierzulande zu verbessern?
Der Berliner Senat sollte Solidarität mit den Menschen in Rojava bekunden und sich um Städtepartnerschaften mit Städten in Kurdistan bemühen. Diese Partnerschaften sind für die Menschen vor Ort enorm wichtig. Neben den Städten in Nordsyrien sind auch Partnerschaften mit Städten im Osten der Türkei denkbar, die derzeit von Zwangsverwaltern der AKP regiert werden. Wir haben es nicht mit einem Krieg der Kurden gegen die Türken zu tun. Vielmehr handelt es sich um einen völkerrechtswidrigen Einmarsch mit schlimmsten Menschenrechtsvergehen. Da reicht es aus, auf der Seite der Menschlichkeit zu stehen. Die türkische Regierung führt einen grausamen Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung.

Sie fordern Zeichen der Solidarität mit den Kurden. Reicht das?
Es ist außerdem wichtig, dass der Berliner Senat endlich Klarheit im Umgang mit den Flaggen von Rojava und ihren Streitkräften schafft. Die Menschen müssen die Sicherheit spüren, dass sie nicht verfolgt werden, wenn sie ihre legitime Solidarität mit der kurdischen Armee, der YPG, auf Demonstrationen zum Ausdruck bringen.

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