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Viviane Bremer

© promo

Syphilis in Berlin: Eine zweifelhafte Ehre

Berlin bleibt die Hauptstadt der Syphilis – das hat das Robert Koch Institut gerade erst wieder bestätigt. Ein Gespräch mit Expertin Viviane Bremer über die Gründe für den Anstieg und den Chamäleoncharakter der Krankheit.

Seit Jahren steigen die Infektionszahlen bei Syphilis in Deutschland, vor allem in den Stadtstaaten Bremen, Hamburg und Berlin. Die Inzidenz in Berlin (Fälle pro 100 000 Einwohner) wuchs zwischen 2016 und 2017 von 35,5 auf 37,9. Insgesamt wurde in Berlin 2017 bei 1333 Menschen Syphilis diagnostiziert, wie das Robert Koch Institut am Donnerstag mitgeteilt hat.

Frau Bremer, vor zwei Jahrzehnten wähnte man die Geschlechtskrankheit Syphilis noch weitestgehend unter Kontrolle – dank Antibiotika lässt sich die Krankheit heilen und der zunehmende Kondomgebrauch verhinderte Ansteckungen. Doch nun scheint die Syphilis zurück zu sein. Woran liegt das?

Bis 1990 ging die Zahl der Neuinfektionen stark zurück. Das lag vor allem daran, dass das HI-Virus in den 1980er-Jahren Angst und Schrecken verbreitete und die Menschen dadurch nicht nur weniger ungeschützten Sex, sondern generell auch weniger wechselnde Sexualpartner hatten. Damals kam eine Infektion mit dem HI-Virus einem oftmals raschen Todesurteil gleich. Das hat sich heute geändert. Moderne Medikamente können den Ausbruch von AIDS um Jahrzehnte verzögern. Viele Menschen nehmen HIV daher eher als eine vermeintlich chronische Krankheit wahr. Das Virus hat also scheinbar ein wenig von seinem Schrecken verloren. Und wichtiger noch: Mit einer medikamentösen Therapie lässt sich das Virus im Körper so stark reduzieren, dass ein HIV-infizierter Mensch kaum noch ansteckend ist – auch bei ungeschütztem Sex. Und das hat Folgen für den Safer Sex: Immer mehr Menschen lassen das Kondom auch mal weg. Dadurch steigt allerdings die Infektionsgefahr für andere Geschlechtskrankheiten wie Chlamydien, Gonorrhoe, also Tripper, oder eben auch Syphilis.

Berlin trägt mittlerweile den wenig schmeichelhaften Beinamen „Hauptstadt der Syphilis“, da hier viermal mehr Menschen erkranken als im Bundesdurchschnitt. Warum ist gerade Berlin so stark betroffen?
Die Syphilis ist vor allem ein Phänomen der Großstadt – neben Berlin sind als Bundesländer auch die Stadtstaaten Hamburg und Bremen vom Anstieg der Fallzahlen besonders betroffen. In Großstädten wie beispielsweise auch Köln kann ein ganz anderer Lebensstil gelebt werden, als das im ländlichen Raum möglich ist. Berlin ist bekannt für seine Clubs, das Nachtleben und die homosexuelle Community. Laut den vom Robert-Koch-Institut übermittelten Meldedaten treffen vier von fünf Syphilis-Erkrankungen Männer, die mit Männern Sex haben. Bei Frauen und heterosexuellen Partnern bleiben die Zahlen weitgehend unauffällig.

Welche Rolle spielen Drogen bei der Ansteckung mit dem Syphilis-Erreger?
Sie denken wahrscheinlich an Partydrogen, die ja vermutlich meist mit dem Ziel genommen werden, weniger gehemmt zu sein. Solche Drogen senken natürlich nicht nur die Hemmschwelle, sondern auch das Risikobewusstsein für Ansteckungen mit sexuell übertragbaren Krankheiten.

Gibt es einen Zusammenhang von Syphilis und anderen Geschlechtskrankheiten wie beispielsweise HIV?
Ja, und zwar in beide Richtungen. Einerseits ist ein Syphilis-Geschwür hochansteckend. Bei einer unbehandelten HIV-Infektion können sich die Viren in diesem Geschwür stark vermehren und von dort aus auf Sexualpartner übertragen. Andererseits schwächt eine Syphilis-Infektion das Immunsystem und die Schleimhautbarriere. HI-Viren haben es dann leichter, in den Körper zu gelangen – das Infektionsrisiko steigt. Unbehandelt erhöhen beide Krankheiten die Wahrscheinlichkeit, an der jeweils anderen zu erkranken. Syphilis gilt als Chamäleon der sexuell übertragbaren Krankheiten, weil sie so vielfältige Symptome aufweist.

Wie erkennt man, ob man an einer Syphilis erkrankt ist?
Die Syphilis verläuft in drei Phasen. In der ersten, dem Primärstadium, treten Symptome etwa drei Wochen nach der Infektion auf. Dort, wo der Erreger übertragen wurde – je nach Sexualpraktik kann das im Mund, Anus, Penis oder der Scheide sein –, bildet sich ein schmerzloses und nässendes Geschwür. Nach drei Wochen heilt dieses Geschwür auch ohne Behandlung wieder ab. Das heißt jedoch nicht, dass der Betroffene geheilt ist – der Erreger bleibt im Körper.

Wie geht es dann weiter?
Etwa acht Wochen nach der Infektion zeigen sich die Symptome des Sekundärstadiums: Oft bildet sich ein Hautausschlag mit kleinen roten Flecken an dafür ungewöhnlichen Körperstellen, den Händen oder Füßen. Nach etwa vier Monaten heilt auch dieses Phänomen ab. Im Spätstadium, dem sogenannten Tertiärstadium, das nach einem bis mehreren Jahren erreicht wird, befallen die Bakterien dann Organe wie Leber, Herz oder das Gehirn. Ist Letzteres infiziert, drohen psychische Erkrankungen und koordinative Ausfälle. Wird die Syphilis rechtzeitig erkannt, lässt sie sich gut mit Penicillin heilen. Organschäden können jedoch irreparabel sein.

Eine Möglichkeit, eine Syphilis-Infektion frühzeitig zu entdecken, sind Tests. Wer sollte sich regelmäßig testen lassen?

Menschen, die viele wechselnde Sexualpartner oder ungeschützten Sex haben, sollten sich, wenn möglich, jedes halbe Jahr testen lassen.

Laut RKI wird die Syphilis oft erst spät diagnostiziert, gleichzeitig verzeichnet Ihr Institut seit Jahren immer mehr Neuinfektionen. Trotzdem zahlen Krankenkassen einen Syphilis-Test nur, wenn der mutmaßlich Betroffene unter Syphilis-typischen Symptomen leidet. Ist das nicht kontraproduktiv?

Verantwortlich für die Entscheidung, ob ein Diagnoseverfahren von den Krankenkassen übernommen wird, ist der Gemeinsame Bundesausschuss, ein Gremium von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen. Dass die Kosten eines Syphilistests nicht übernommen werden, ist kontraproduktiv. Studien aus dem Ausland zeigen, dass eine frühzeitige Erkennung und Behandlung das Risiko, das Bakterium weiterzugeben, verringern.

Am besten wäre es natürlich, eine Infektion gar nicht erst zuzulassen – also wieder mehr Menschen zum Safer Sex zu bewegen. Wie könnte das gelingen?
Vor allem über Aufklärungsarbeit, die an die Eigenverantwortung der Menschen appelliert. Jeder sollte sich selbst fragen, ob er die Gefahren, die von sexuell übertragbaren Krankheiten ausgehen, auf sich nehmen will. Meiner Meinung nach gehört zu einem sich selbst gegenüber verantwortungsbewussten Verhalten auch ein selbstbewusster Umgang mit der eigenen Sexualität. Wer also zu seiner eigenen Sexualität steht, der geht oft auch verantwortungsvoller mit sich und seinen Partnern um.

Das Gespräch führte Frieder Piazena. Viviane Bremer ist Leiterin des Fachbereichs HIV/AIDS und andere sexuell oder durch Blut übertragbare Infektionen am Robert-Koch-Institut (RKI) in Berlin. Ihr Fachbereich beschäftigt sich vor allem mit der Verbreitung dieser Infektionskrankheiten.

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