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Einsatzkräfte der Berliner Feuerwehr.

© Britta Pedersen/dpa

SUV-Unfall in Berlin Mitte: Polizei hörte Zeugin mehrere Tage nicht an

Sie hatte den Unfall an der Invalidenstraße am Freitag gesehen und wollte der Polizei den Hergang schildern. Doch die schickte die Zeugin zunächst nach Hause.

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Es war ein kurzer Moment. Sie stand auf dem Pappelplatz in Mitte, mit dem Rücken zur Invalidenstraße und hörte ein Auto beschleunigen. Es war kein Aufheulen, sondern nur das typische Geräusch eines starken Motors. Was sie danach am Freitagabend erlebt hat, wollte die Frau gern der Polizei schildern.

Schließlich hatten Polizei und Staatsanwaltschaft am Montagabend sogar einen Zeugenaufruf veröffentlicht. Wer den Unfall am Freitagabend in der Invalidenstraße beobachtet hat, bei dem vier Menschen getötet wurden, möge sich melden – bei den Verkehrsermittlern der Direktion 3 am anderen Ende der Invalidenstraße in Moabit "oder bei jeder anderen Polizeidienststelle". Seit Dienstag können im Internet unter be.hinweisportal.de Videos hochgeladen werden. "Der genaue Unfallhergang ist weiterhin unklar", heißt es da.

Bereits am Sonntag, zwei Tage nach dem Unfall, ging die Zeugin also zum nächsten Polizeiabschnitt in der Nähe. Doch die Beamten hätten ihr gesagt, sie seien nicht zuständig. Ihre Kontaktdaten seien aufgenommen worden, die Polizei werde sich bei ihr melden, wurde ihr erklärt. Doch auch am Dienstag meldete sich niemand - sondern erst, als sie selbst bei der „Ermittlungsgruppe Invalidenstraße“ anrief.

Was die Zeugin an diesem Freitagabend an der Kreuzung Invalidenstraße und Ackerstraße erlebt hat, nimmt mit. Als sie den Motor hörte, blickte sie nach rechts, sah nur noch einen großen schwarzen Klotz, den Porsche-SUV, der gegen den Ampelmast fuhr und "hochgeflogen ist". Das Auto sei beim Aufprall in die Höhe gegangen, habe sich überschlagen – mehrmals, wie andere Zeugen bestätigen.

Der Wagen riss mehrere Menschen mit sich

Es war der Moment, als der SUV in eine Menschengruppe gerast ist. Am Steuer saß ein 42-jähriger Düsseldorfer, neben ihm seine 67 Jahre alte Mutter, auf der Rückbank seine sechs Jahre alte Tochter. Der Wagen, so berichten es Zeugen, hat mehrere Menschen und den Bauzaun beim Überschlagen mit sich gerissen, bis er auf einer Brache zum Stehen kamen.

Eine 64-jährige Frau, ihr drei Jahre alter Enkelsohn, und zwei Männer, ein Spanier, 28, und eine Brite, 29, der in Berlin lebte, starben. Danach: Stille, mehrere Sekunden lang. Erst dann trauten sich erste Augenzeugen, dann weitere, den Opfern zu Hilfe zu eilen. "Dann war ein furchtbarer Schrei zu hören", berichtet die Augenzeugin. Die Mutter des bei dem Unfall gestorbenen Dreijährigen und ihr weiteres Kind mussten alles mit ansehen.

Seit Dienstag regelt eine behelfsmäßige Ampel den Verkehr an der Unfallstelle. Umgefahrene Poller wurden ersetzt. Immer wieder legten Menschen Blumen nieder. Inzwischen haben sich die Hinweise verdichtet, wonach der Fahrer des SUV einen epileptischen Anfall gehabt haben soll. Noch kurz vor der Fahrt soll er auch ein Medikament genommen haben. Das soll die Beifahrerin, die Mutter des Unfallfahrers, der Polizei gesagt haben.

Patienten mit regelmäßigen Anfällen haben ein Fahrverbot

Epilepsie ist eine der häufigsten neurologischen Krankheiten. Bis zu zehn Prozent der Menschen haben einen epileptischen Anfall im Leben. Dabei kommt es zu einer plötzlichen überschießenden Entladung von Nervenzellen im Gehirn, was dazu führen kann, dass man die Kontrolle über seinen Körper verliert oder begonnene Handlungen ohne Bewusstsein fortführt.

"Patienten mit regelmäßig auftretenden Anfällen haben eine fehlende Fahreignung", sagt Susanne Knake, Leiterin des Epilepsiezentrums Hessen. "Bis das Fahrverbot wieder aufgehoben wird, muss der Patient ein Jahr lang anfallfrei sein." Bei Berufskraftfahrern sind es fünf Jahre ohne Medikation. 

Nach dieser anfallfreien Zeit werde das relative Unfallrisiko als vertretbar und sogar als niedriger eingestuft, als etwa das Fahren junger Männer unter 25 Jahren. "Das ist eine strikte Richtlinie, die nicht im Ermessen des Arztes liegt", sagt Knake. Auch andere neurologische und nicht-neurologische Erkrankungen können zu Einschränkungen der Fahreignung führen.

Eine Epilepsie ist nicht meldepflichtig, der Führerschein wird nicht entzogen. "Gemäß einer kürzlich von der Universität Frankfurt durchgeführten Umfrage geht man davon aus, dass etwa 15 Prozent der Patienten wohl doch fahren, obwohl sie es nicht dürfen", sagt Knake.

Wenn sich ein Patient nicht an das Fahrverbot halte, bestehe bei einem Unfall womöglich kein Versicherungsschutz. "Da liegt dann eben eindeutig keine Fahreignung vor. Wir raten unseren Patienten daher, das Auto für den Zeitraum abzumelden", sagt Knake.

Ob bei dem Fahrer ein epileptischer Anfall Unfallursache gewesen sei, könne in einem Elektroenzephalogramm (EEG) im Nachhinein nicht unbedingt zweifelsfrei festgestellt werden. "Nur in 20 Prozent der Fälle lässt sich eine Epilepsie-Entladung bei Patienten im ersten Routine-EEG erkennen", sagt Knake. 

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