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Viele Eltern meiden Schulen in Wohnortnähe.

© dpa

Studie vorgestellt: An Brennpunkt-Grundschulen bleiben nur Migranten zurück

Eltern, die auf Bildung Wert legen, vermeiden oft die Anmeldung an Schulen in Wohnortnähe. Forscher sehen die Problemschulen selbst in der Pflicht – und warnen vor Quoten.

In Berlins Brennpunktbezirken stehen die Einzugsbereiche der Grundschulen nur noch auf dem Papier: Eltern treten die Flucht an, um eine vermeintlich bessere Schule für ihr Kind zu bekommen. So verschärft sich die Trennung von Kindern nach ihrer ethnischen und sozialen Herkunft. Um bis zu 500 Prozent weicht etwa in Kreuzberg die Migrantenquote einer Schule von der Quote im Einzugsgebiet ab. Dies ist das Ergebnis einer Analyse von Schul- und Einwohnerdaten von über 100 Berliner Grundschulen, die am Mittwoch vorgestellt wurde.

Untersucht wurde das Wahlverhalten der Eltern in Neukölln, Mitte, Friedrichshain-Kreuzberg und Charlottenburg-Wilmersdorf. Dabei kam heraus, dass mehr als 20 Prozent der Grundschulen einen Zuwandereranteil haben, der mehr als doppelt so hoch ist wie der Zuwandereranteil der Altersgruppe im dazugehörigen Schulbezirk: Deutsche Eltern melden ihr Kind woanders an. Am Beispiel Neukölln lässt sich zeigen, was dies bedeutet: Unter den 30 untersuchten Grundschulen sind zehn, an denen der Ausländeranteil zwei- bis dreimal so hoch ist wie im Wohnumfeld. Ähnlich ist die Situation in Friedrichshain-Kreuzberg und auch in Mitte. Die dort eingeführte Sprengellösung, die eine bessere Verteilung der Kinder befördern sollte, habe dieses Ziel nicht erreicht, sagt Gunilla Finke vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, der die Untersuchung veranlasst hatte.

Wie viel Prozent der Eltern sich nicht mit der Schule im Einzugsbereich zufrieden geben, konnte die Bildungsverwaltung am Mittwoch nicht sagen. Tatsache ist, dass rund zehn Prozent der Kinder eine freie Schule besuchen. Weitere gehen den „Einzugsschulen“ verloren, weil sie an Europaschulen oder andere Schulen mit besonderen Angeboten wie Französisch oder Musikbetonung wechseln. Das allein erkläre aber nicht die feststellbare Entmischung („Segregation“) in den Brennpunktschulen, machte Finke deutlich. Eine Hauptrolle spiele eher, dass Schulen mit hohem Ausländeranteil bewusst gemieden würden, „da die meisten Eltern diese mit mangelnden Lernmöglichkeiten und einem problembelasteten Umfeld assoziieren“. Das liege nicht zuletzt daran, dass nationale und internationale Schulleistungstests immer wieder das schlechte Abschneiden von Kindern mit Migrationshintergrund nachwiesen.

Finke findet aber, dass den Schulen dabei oft Unrecht geschieht. Sie appelliert an die Eltern, sich nicht von „Pauschalurteilen“ leiten zu lassen, sondern sich die konkreten Lernbedingungen an einer Schule anzusehen. Stattdessen würden Eltern dazu tendieren, sich vor allem nach dem Zuwandereranteil zu richten. Als Beleg führte Finke eine Auswertung von 900 000 Zugriffen auf Online-Schulporträts in Berlin und Sachsen an: Demnach war der Zuwandereranteil die am häufigsten nachgefragte Information.

Die Schulen könnten dennoch viel dazu beitragen, das Vertrauen der Eltern zu gewinnen. Der Autor der Studie, Simon Lange, nennt drei Dinge: Elternarbeit schon vor der Einschulung, Vernetzung mit außerschulischen Partnern und zielgerichtete Lehrerfortbildung, um Defizite bei der Sprachbildung und der individuellen Förderung abzubauen.

Keine Verbesserung der Lage versprechen sich Finke und Lange von einer erzwungenen Mischung mit Hilfe von Sozial- oder Migrantenquoten. Auch Aktionen wie das früher in den USA praktizierte „Bussing“ führten nicht weiter. Das hätten alle Erfahrungen gezeigt.

Finke wies zudem darauf hin, dass die Quote der Schulwechsler wohl noch größer wäre, wenn die Eltern ihre Rechte kennen würden: 57 Prozent der Eltern mit türkischem Hintergrund wüssten gar nicht, dass sie überhaupt eine Wahlmöglichkeit haben. Bei den Eltern ohne Migrationshintergrund sind es 43 Prozent.

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