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Für Alleinerziehende ist die aktuelle Situation eine Herausforderung.

© Photo: Christian Charisius/dpa

Studentin, alleinerziehend, ratlos: Wie eine junge Frau in Berlin die Zeit ohne Kita erlebt

Zwischen Online-Seminaren, Uni-Prüfungen und Kinderbetreuung. Eine alleinerziehende Mutter berichtet von Ratlosigkeit und alltäglichen Hürden während der Coronakrise. 

Meine Tochter wird in wenigen Wochen zwei Jahre alt. Ich ziehe sie allein groß. Das ist nicht immer einfach. Jetzt wird es fast unmöglich. Denn nächste Woche startet mein Studium wieder mit Online-Seminaren, Hausarbeiten und Prüfungen. Tagsüber schläft mein Kind zwei Stunden, aber wie beschäftige ich es in der restlichen Zeit?

Die Corona-Krise ist für alle beängstigend. Ich nehme die Situation sehr ernst, halte mich seit fünf Wochen pflichtbewusst an die Kontaktbegrenzungen. Wir haben die Zeit bis jetzt gut rumbekommen. Morgens machen wir ausgedehnte Spaziergänge, mittags bauen wir Boote und Häuser aus Pappkartons. Aber langsam wird es kniffelig.

Weiß zum ersten Mal nicht mehr, wie ich mir selbst helfen kann

Natürlich gibt es Familien, für die das alles noch schwieriger ist. Mir zerrinnt nicht gleich meine ganze Existenz. Trotzdem bin ich ratlos. Ich habe meinen Job aufgegeben und all mein Erspartes investiert, um seit vergangenem Herbst einen Master zu machen und danach besser für meine Tochter sorgen zu können. 

Ich war so glücklich, dass ich mein erstes Semester erfolgreich hinbekommen habe. Jetzt weiß ich zum ersten Mal nicht mehr, wie ich mir selbst helfen kann.

Meine Eltern gehören zur Risikogruppe und ich will sie nicht gefährden

Eigentlich hatte ich jeden einzelnen Tag meines Sommersemesters durchgeplant. Denn das habe ich als Alleinerziehende gelernt: Mit guter Organisation und guten Freunden schaffe ich das.

Tagsüber geht meine Tochter normalerweise mit viel Freude in die wundervolle Kita gegenüber. Wenn ich nachmittags Uni habe, kümmern sich ein Freund und eine Freundin um sie. 

Trifft Kitaschließzeit auf Prüfungswoche – so habe ich das in den letzten Monaten geregelt – reisen meine Eltern aus Süddeutschland an und schlafen auf der Couch im Wohnzimmer. Nun gehören sie zur Risikogruppe und ich kann und will ihr Leben nicht gefährden.

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Außerdem habe ich eine ältere Frau in der Nachbarschaft gefunden, die sich an ein bis zwei Tagen die Woche um die Kleine kümmert und auch spontan einspringen kann. Aber auch sie ist Ü60 und damit besonders gefährdet. Seit Tagen knabbere ich nun an diesem Dilemma herum: Soll ich die Kinderbetreuung auf diese Nachbarin abwälzen und auf alle sonstigen Kontakte verzichten, um sie zu schützen? 

Kann ich mir das finanziell leisten, schafft diese Frau so viele Tage und wie verkraftet es meine Tochter, wenn sie gar keine anderen Kinder mehr sieht? Wird sie vergessen, wer ihre Freunde waren, meine Freunde? Sie braucht auch Bezugspersonen außer mir.

Soll ich mein Studium hinwerfen?

Was soll ich tun: Mein Studium hinwerfen? Nach hinten kann ich es nicht schieben, mein Erspartes reicht nicht für ein weiteres Semester. Jeden Tag andere Freundinnen und Freunde beanspruchen, womöglich mit Vorerkrankung? Ist das nicht gegen die Kontaktsperre? Neue Gruppen gründen und privat zahlen?

Nach der Pressekonferenz der Kanzlerin am Mittwoch hatte ich Sorge. Kitas wurden in einem Nebensatz erwähnt, später sprach Bundesfamilienministerin Franziska Giffey davon, dass nur Kinder von berufstätigen Alleinerziehenden notbetreut werden sollen.

Ich hoffe, mein Fall fällt unter „in herausfordernden Situationen“

Bin ich als Studierende auch gemeint? Ich war so erleichtert, als ich jetzt gehört habe, dass die Kita-Notbetreuung in Berlin ab Ende April auf Alleinerziehende ausgeweitet werden soll. Ich hoffe, mein Fall fällt unter „in herausfordernden Situationen“. Wenn bald auch künftige Schulanfänger betreut werden, müsste meine Kita nicht eigens wegen meiner Tochter aufmachen. Mir würde es schon helfen, wenn ich sie halbtags oder alle paar Tage dorthin bringen könnte.

Angeblich ist es ja eine Ermessensfrage der Betreuungseinrichtungen, ob Menschen wie ich schon jetzt einen Anspruch auf Unterstützung haben. Das finde ich schwierig. Dann habe ich vielleicht Glück, aber meine Kommilitonin nicht.
Aufgezeichnet von Julia Prosinger

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