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Bernd Becking, Chef der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der Bundesagentur für Arbeit.

© Doris Spiekermann-Klaas

Strukturwandel der Arbeitswelt: 2020 weniger neue Jobs in Berlin erwartet

Zwar dürften auch in diesem Jahr zusätzliche Stellen in Berlin entstehen. Trotzdem wird die Lage auf dem Arbeitsmarkt schwieriger – für alle.

Seit Jahren sinkt die Arbeitslosenquote – in Berlin sogar stärker als im Bundesdurchschnitt. Und nirgendwo entstehen so schnell so viele neue sozialversicherungspflichtige Jobs wie in Berlin. Und doch ist man bei der hiesigen Regionaldirektion der Bundesagentur für Arbeit (BA) nicht mehr so optimistisch wie noch vor einem Jahr, was die Gesamtlage angeht. Das liegt daran, dass Unternehmen insgesamt etwas vorsichtiger werden beim Stellenaufbau. Schwerer aber wiegt wohl, dass sich zeigt, dass die neuen Jobs in der Regel nicht von denen ausgeübt werden können, die gerade ihren Job verloren haben. Berlin steckt mitten im Strukturwandel der Arbeitswelt.

„Wer heute seine Arbeit verliert, kann nicht davon ausgehen, sofort wieder in Arbeit zu kommen“, erklärte Bernd Becking, der Chef der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg der BA, am Montag in einem Gespräch mit Journalisten zum Rück- und Ausblick auf den Arbeitsmarkt der Region. Mehrfach nannte er als Beispiel die Entlassung der rund 900 Beschäftigten im Werk des Zigarettenherstellers Philip Morris in Neukölln zum Jahreswechsel. Dort sei der Anteil an ungelernten Hilfsarbeitern relativ hoch gewesen. Diese Gruppe habe es besonders schwer auf dem Arbeitsmarkt.

Durch Tesla und den BER ist ab November mit neuen Stellen zu rechnen

Hoffnungslos sei die Lage aber nicht. So säßen Leute der BA unter anderem mit in den Planungsrunden für das geplante Werk des Autobauers Tesla in Grünheide östlich von Berlin, um „die Bedarfe an Arbeitskräften abzugleichen“, wie Becking sagte. Zudem sei man im Gespräch mit den Flughäfen. Denn auch bei diesem großen Arbeitgeber in der Region sei mit dem Umzug zum Flughafen BER ab November mit neuen Stellen zu rechnen, weil mutmaßlich nicht alle Beschäftigten aus Tegel den Standortwechsel mitmachen (können).

Noch schlägt keines der Ereignisse bei den genannten Unternehmen sich auf die Statistiken der BA nieder, in denen sich der seit zehn Jahren fast ununterbrochene Wirtschaftsaufschwung spiegelt. So zählte Berlin im Oktober 2019 rund 1.564.600 sozialversicherungspflichtig Beschäftigte, das waren 53.500 oder 3,7 Prozent mehr als im Vorjahresvergleich. Anders als in anderen Bundesländern hielt dieser Trend auch in der zweiten Jahreshälfte an: In Brandenburg legte die Zahl der Jobs nur um 0,7 Prozent zu. Im fernen Saarland ging sie sogar zurück.

Für das neue Jahr werde „nur noch“ 29.000 zusätzliche Jobs erwartet

Für das neue Jahr verweist der Chef der BA-Regionaldirektion auf eine Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg. Dort geht man für das Land Berlin für 2020 „nur noch“ von 29.000 zusätzlichen sozialversicherungspflichtigen Jobs aus, das entspräche einem Plus von 1,9 Prozent (nach 3,7 in 2019).

Im historischen Vergleich scheint die Lage auf dem lokalen Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer also so gut wie seit Jahrzehnten nicht. Lag die Quote vor zehn Jahren noch bei 14 Prozent, waren im Dezember nur noch 7,8 Prozent der Personen im erwerbsfähigen Alter ohne Arbeit. Bundesweit beträgt die Quote gleichwohl 4,9 Prozent. Von Zuständen der Vollbeschäftigung wie in anderen deutschen Bundesländern ist die Hauptstadt also nach wie vor weit entfernt.

Auf der Positivseite sieht man bei der BA, dass die Nachfrage an Fachkräften weiter hoch ist und auch die Integration Geflüchteter in den Arbeitsmarkt zunehmend gut gelingt. Kurzarbeit gibt es praktisch nicht – nur 268 Personen sind in Berlin aktuell von diesem speziellen Instrument betroffen. Auch die Personenzahl, die auf die sogenannte Grundsicherung (Hart IV) angewiesen ist, sinkt stetig von 450.000 im Jahr 2007 auf aktuell nur noch 345.000. Knapp elf Prozent davon haben einen Flüchtlingsstatus.

Die Gruppe der sogenannten „Aufstocker“ schrumpft

Besonders oft diskutiert wird die Zahl der „Aufstocker“, also jener Personen, deren Einkommen nicht ausreicht, um sich den Unterhalt zu sichern. Sie erhalten vom Jobcenter ergänzende Leistungen. Doch auch diese Gruppe schrumpft: 120.000 Personen waren es 2015 – im vergangenen Jahr nur noch rund 99.000. Knapp die Hälfte (40.000) davon hatten einen Mini- oder Teilzeit-Job. 11.000 Personen waren trotz Vollzeitbeschäftigung auf Hilfe angewiesen. Negativ entwickelt sich die Zahl der Langzeitarbeitslosen: Sie stieg um zehn Prozent.

Ein anderer Trend auf dem lokalen Arbeitsmarkt ist die Teilzeit: 34 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer arbeiten weniger als die üblichen 35 bis 40 Stunden pro Woche. Der Trend wird aktuell von den Männern bestimmt“, erklärte Becking. Ihr Anteil lag zuletzt bei ebenfalls 34 Prozent, zwei Prozentpunkte mehr als 2015.

„Die Arbeitswelt verändert sich rasant, genau wie die Anforderungen an Qualifikationen, Weiterbildung wird deshalb immer wichtiger“, sagte der BA-Chef und warb für die neuen Fördermöglichkeiten zur Qualifizierung. So könne seine Agentur unter Umständen bis zu 100 Prozent der Weiterbildungskosten bei Angestellten tragen und bis zu 75 Prozent des Arbeitsentgeltes, was vor allen den kleinsten Firmen mit weniger als zehn Angestellten ein Anreiz bieten soll, ihr Personal dafür freizustellen.

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