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Außen rot und innen teuer - So sieht es aus: das Berliner Schlaganfall-Mobil.

© Doris Spiekermann-Klaas

Stroke-Einsatz-Mobil (Stemo): Krankenhaus auf vier Rädern hilft bei Schlaganfall

Nach einem Schlaganfall muss schnell gehandelt werden – die „Goldene Stunde“ ist entscheidend. Seit 2011 ist das Stroke-Einsatz-Mobil in Berlin unterwegs. Was bringt es? Ein Gespräch mit Leiter Martin Ebinger.

Herr Ebinger, Sie haben mit Ihren Kollegen ein kleines mobiles Krankenhaus für Schlaganfallpatienten entwickelt. Wie kamen Sie auf die Idee?

Bei einem Schlaganfall zählt jede Minute. Durch die unterbrochene Blutzufuhr sterben pro Minute rund 1,9 Millionen Nervenzellen im Hirn ab. Je früher ein Schlaganfall diagnostiziert wird, desto eher kann mit der Therapie begonnen werden – und desto geringer sind die neurologischen Folgen. Deshalb haben Mediziner schon immer daran gearbeitet, die „door-to-needle-time“ – also die Zeit vom Eintreffen des Patienten im Krankenhaus bis zur ersten Therapie – zu verkürzen. Da gab es in der Vergangenheit viele Fortschritte. Wichtig ist aber auch, vor den nicht nebenwirkungsfreien Therapien bei aller gebotenen Eile auch eine sorgfältige Diagnostik durchzuführen.

Weil man vor der Therapie quasi in den Kopf des Patienten blicken muss?
Genau. Und dafür brauchen sie einen Computertomografen (CT). Früher musste der Patient also erst mit dem Rettungswagen in ein Krankenhaus gebracht werden, um ihn dort in ein CT zu schieben. Bis die Diagnose Schlaganfall sicher gestellt werden konnte, verstrich viel wertvolle Zeit. Deshalb gab es schon immer die Idee, ein CT in einen Rettungswagen zu installieren, um ein Stück Krankenhaus zum Patienten zu bringen und so schneller mit der Therapie beginnen zu können. Die Idee wurde allerdings anfangs nur müde belächelt – die ersten CT-Generationen füllten ganze Räume und wogen Tonnen. Das konnte man nicht durch die Stadt chauffieren. Mit der Zeit wurden die Geräte allerdings kleiner. In den 90er Jahren begann die Entwicklung mobiler Geräte, die innerhalb des Krankenhauses transportiert werden konnten. Im November 2008 brachte dann Klaus Fassbender vom Universitätsklinikum des Saarlandes das erste CT in einem Rettungswagen auf die Straße.

Was ist das Besondere am Stemo?
Das Stroke-Einsatz-Mobil, so der unabgekürzte Name, ist ein bisschen die eierlegende Wollmilchsau, von der alle Seiten profitieren, also die Patienten, die Ärzte und die Gesellschaft insgesamt. Neben dem CT ist der Wagen auch mit einem kleinen Labor ausgerüstet. So kann der Schlaganfall schnell diagnostiziert werden und mit der Thrombolysetherapie – kurz Lyse genannt – begonnen werden, also ein Medikament gespritzt werden, dass die Blutgerinnsel im Gehirn auflöst. Technik ist allerdings nicht alles, sie muss auch von qualifiziertem Personal bedient werden. Deshalb hat das Stemo neben einem Rettungsassistenten auch einen technischen Röntgenassistenten mit Sanitäterausbildung an Bord. Abgerundet wird das Konzept von einem in der Schlaganfallbehandlung erfahrenen Neurologen mit notfallmedizinischer Zusatzausbildung. Integriert wurde auch das telemedizinische Konzept der Brandenburger Firma Meytec – so kann sich ein Neuroradiologe aus einer Klinik per Videokonferenz direkt ins Stemo hinzuschalten.

Schlaganfall-Spezialist Martin Ebinger.
Schlaganfall-Spezialist Martin Ebinger.

© Mike Wolff

Das Stroke-Einsatz-Mobil ist nun seit Februar 2011 auf Berlins Straßen unterwegs. Profitieren Schlaganfallpatienten tatsächlich davon?
Um das herauszufinden, haben wir für die Studie „Phantom-S“ die Daten von mehr als 6000 Schlaganfallpatienten ausgewertet. Dafür haben wir für einen Zeitraum von 21 Monaten zwei Kontrollgruppen verglichen – Wochen, in denen das Stemo unterwegs war, und Wochen, in denen der Wagen nicht im Einsatz war.

Was ergeben Ihre Recherchen?
Die Zeit vom Notruf bis zur ersten Therapie verkürzte sich in den Einsatzzeiten des Stemos um 25 Minuten. Und auch der Anteil der Patienten, die rechtzeitig mit einer Lysetherapie behandelt werden konnten, stieg von 21 auf 33 Prozent. So schnell wie mit dem Stemo können Schlaganfallpatienten im Krankenhaus nicht behandelt werden. Dadurch konnte die Zahl der Patienten, die innerhalb der ersten Stunde, der sogenannten „golden hour“, versorgt werden, von einem auf immerhin zehn Prozent gesteigert werden.

Zurzeit ist in Berlin nur ein Stemo im Einsatz. Genügt das für eine 3,5-Millionen-Metropole?
Wenn man schon einen Schlaganfall bekommen sollte, dann am besten in Berlin. Im Allgemeinen ist die Schlaganfallversorgung in der Hauptstadt sehr gut. Und mit dem Stemo kann sie noch besser werden. Zurzeit deckt das Fahrzeug ein Einzugsgebiet von etwa einer Million Berlinern ab. Wenn man es ernst meint mit einer flächendeckenden Regelversorgung in Berlin, dann müssten vom Senat also zwei zusätzliche Stemos angeschafft werden. Ein Stemo kostet rund 900 000 Euro Unterhalt jedes Jahr, wobei in diesen Kosten der Anschaffungspreis schon enthalten ist. Ethisch betrachtet ist das sowieso gut investiertes Geld, aber auch gesundheitsökonomisch, wenn man bedenkt, dass schwerwiegende Behinderungen – und entsprechende Kosten für das Gesundheitssystem – vermieden oder zumindest reduziert werden können.

In Berlin gibt es ein engmaschiges Netz von 14 Stroke-Units, also auf die Behandlung von Schlaganfällen spezialisierten Rettungsstellen. Aber wie gut kann das Stemo im ländlichen Raum funktionieren?
Nicht überall ist die Versorgungsstruktur so gut wie in Berlin. In weniger dicht besiedelten Regionen haben wir vor allem das Problem, dass es mitunter zu wenig Neurologen gibt. Die Kollegen werden also auch im Krankenhaus dringend benötigt. Eine mögliche Lösung, an der wir gerade arbeiten, wäre die Telemedizin. Bei einem Rettungseinsatz würde der Arzt dann vom Krankenhaus per Video zugeschaltet, um Notfallsanitäter vor Ort anzuleiten. Allerdings gibt es inhaltliche wie auch rechtliche Bedenken.

Das Stemo nutzt allerdings nichts, wenn ein Schlaganfall nicht als solcher erkannt wird. Wie findet das Gefährt zum Patienten?
Dazu haben wir mit der Leitstelle der Berliner Feuerwehr, einem entscheidenden Kooperationspartner, der die Einsätze von Rettungsfahrzeugen in der Hauptstadt leitet, einen Algorithmus für den Notruf 112 entwickelt. Der Leitfaden hilft den Telefonisten in der Leitstelle, die Symptome eines Schlaganfalls, also beispielsweise das plötzliche, schlagartige Auftreten von Symptomen oder einseitige Lähmungen, richtig einzuordnen. Übrigens ist dafür auch die Eigendiagnose des Betroffenen oder der hilfeleistenden Person wichtig – denn viele Menschen liegen gar nicht so falsch mit ihrem Verdacht.

Martin Ebinger ist Ärztlicher Stützpunktleiter des Stemos und Oberarzt der Neurologie der Charité in Mitte. Ausführliche Artikel über den Schlaganfall und viele weitere neurologische Erkrankungen finden Sie in der jetzt erschienenen siebten Ausgabe des Magazins „Tagesspiegel Gesund“ mit dem Themenschwerpunkt Neurologie. Das Heft kostet 6,50 Euro und ist erhältlich im Tagesspiegel-Shop unter Telefon (030) 29 02 15 20 oder im Internet unter www.tagesspiegel.de/shop

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