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Die Mieter der Koloniestraße protestierten am Dienstag gegen ihre drastischen Mieterhöhungen.

© Matthias Coers

Update

Streit um Wohnkosten in Berlin: Plötzlich 100 Prozent mehr Miete

Familien wehren sich: Wohnen in Wedding soll doppelt so teuer werden wie bislang. Gleichzeitig verhandelt der BGH zum Thema Miete.

Sie beziehen Hartz IV, sind erwerbsunfähig oder haben aus anderen Gründen wenig Geld. Deswegen sind sie einst in die unsanierten Häuser der Koloniestraße im Wedding gezogen: Familie Ramadan, Familie Ali, Thomas Bethge und rund 150 weitere Mietparteien. Doch nun müssen sie ihren Kiez verlassen, befürchtet die Initiative Mieterstadt. Statt sechs Euro kalt sollen sie laut Initiative ab Dezember zwölf Euro zahlen, die so genannte Kostenmiete im sozialen Wohnungsbau.

Die Kostenmiete ist das Erbe von Thilo Sarrazin, der als Finanzsenator den Automatismus der alten Wohnungsbauförderung kappte, dem Land eine Menge Geld ersparte, aber gleichzeitig die betroffenen Wohnungseigentümer und ihre Mieter finanziell auf kalten Entzug setzte. Im Fall der Häuser an der Koloniestraße meldete der Eigentümer Insolvenz an, die Häuser wurden verkauft, nach Angaben von Mieterstadt für ein Drittel ihres ursprünglichen Buchwertes.

Jahrelanger Rechtsstreit mit dem Eigentümer

Doch dieser ursprüngliche Wert, 32 Millionen Euro, werde weiterhin als Grundlage zur Berechnung der Kostenmiete herangezogen. Ein schönes Geschäft für den neuen Eigentümer – wenn es denn zustande kommt. Laut Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sind die Mieterhöhungen nichtig, weil die betroffenen Häuser nach Insolvenz und Verkauf nicht mehr als öffentlich geförderte Wohnraum gelten. Auf dem normalen Wohnungsmarkt seien wegen der geltenden Gesetzeslage maximal 90 Cent Mieterhöhung möglich. Das sehen die neuen Eigentümer, vertreten durch die Claus Hausverwaltung, offenbar anders, äußern wollen sie sich nicht. Sebastian Jung von Mieterstadt rechnet mit einem jahrelangen Rechtsstreit mit dem Eigentümer.

Aktivisten fordern ein Verbot der "fiktiven Kostenmiete"

Erreichen möchten die Aktivisten von Mieterstadt, dass das neue Wohnraumversorgungsgesetz, das am 12. November im Parlament verabschiedet werden soll, geändert wird. Darin müsse ein „Verbot der fiktiven Kostenmiete“ verankert werden, fordert Jung. Er bekommt Rückendeckung von Grünen und Linken. „Der Senat muss endlich eine gesetzliche Klarstellung der Kostenmiete schaffen“, sagt Katrin Schmidberger, mietenpolitische Sprecherin der Grünen. „Es gibt keine Renditegarantie für Vermieter von Sozialwohnungen.“

Wohnungen sind ein Grundrecht und dürfen nicht komplett dem freien Spiel der Märkte ausgesetzt werden.

schreibt NutzerIn Andi_Baerlin

Die Koloniestraßen-Häuser seien ein Spezialfall. In anderen Fällen gebe es weiterhin die Gefahr, dass ein Vermieter plötzlich eine überhöhte Kostenmiete verlange, die sich als rechtens erweise. Bisher scheuen viele Vermieter eine drastische Mieterhöhung, weil sie automatisch zu Mieterprotesten führt. Rund 28 000 Sozialwohnungen sind stadtweit betroffen.

Geplante Mieterförderung wäre keine Lösung

Das neue Wohnraumgesetz sieht vor, Mieter in teuren Sozialwohnungen abhängig von ihrem Einkommen zu unterstützen. Zahlen sie mehr als 30 Prozent ihres Nettogehalts für die Kaltmiete, bekommen sie einen Mietzuschuss, allerdings maximal 2,50 Euro pro Quadratmeter. Für die betroffenen Mieter in der Koloniestraße wäre das keine Lösung. Sie müssten ihren Kiez verlassen. Eine „Entmietung“ der Häuser sei auch das Motiv der Eigentümer, glaubt Mieterstadt.

Bundesgerichtshof verhandelt über Kappungsgrenze

Der Bundesgerichtshof prüft am Mittwoch einen Streit zwischen Vermieter und Mieter um eine Mieterhöhung - ebenfalls in Wedding. In dem Prozess geht es um eine Verordnung des Landes Berlin, die den Preisanstieg in laufenden Mietverhältnissen begrenzen soll. Das Urteil könnte Auswirkungen auf andere Bundesländer haben, die die sogenannte Kappungsgrenze ebenfalls zugunsten der Mieter abgesenkt haben. Ein Termin für den Gerichtsentscheid steht noch nicht fest. (Az.: VIII ZR 217/14).

Der Vermieter wollte die Miete für eine Wohnung um 45 Euro monatlich erhöhen. Sein Mieter wollte aber nur einen Teil davon zahlen und berief sich auf die Verordnung des Senats zur Kappungsgrenze. Danach darf die Monatsmiete in einem laufenden Mietverhältnis in der Hauptstadt innerhalb von drei Jahren höchstens um 15 Prozent steigen.

Der BGH muss prüfen, ob der Senat beim Erlass der Verordnung Fehler gemacht hat. Elf Bundesländer haben die sonst übliche Kappungsgrenze von 20 Prozent für ausgewählte Städte auf 15 Prozent gesenkt. (mit dpa)

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