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Busse stehen im Ankunftszentrum Reinickendorf.

© picture alliance/dpa/Annette Riedl

Streit um Weiterverteilung nach Köln: Initiativen kritisieren Berlins Umgang mit gehörlosen Flüchtlingen – der Senat widerspricht

Gehörlose Flüchtlinge aus der Ukraine sollen nach Köln ziehen. Die Gruppe will zusammen in Berlin bleiben. Ein Gespräch am Mittwoch brachte keine Klärung.

Von Sabine Beikler

Seit Anfang März sind 250 gehörlose Flüchtlinge aus der Ukraine in Berlin, darunter Kinder und kranke Menschen. Die Gruppe will zusammenbleiben. Das hat das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) den Flüchtlingen auch versprochen. Nun machen der Flüchtlingsrat und der Berliner Gehörlosenverband dem Senat schwere Vorwürfe im Umgang mit der Gruppe. Die Menschen würden unter Druck gesetzt die Stadt zu verlassen.

Das Land aber müsse den besonderen Bedarf der Gehörlosen respektieren und müsse auf eine Verteilung in andere Bundesländer verzichten, fordern Flüchtlingsrat, Verband und mehrere Initiativen. Ein Gespräch an diesem Mittwoch brachte keine Klärung.

"Es ist inakzeptabel, wie die Geflüchteten unter Druck gesetzt werden", sagte Clara Belz, Flüchtlingsbeauftragte des Gehörlosenverbands Berlin. Die Gruppe sei in hohem Maße aufeinander angewiesen, da sie sich nur untereinander in russischer Gebärdensprache verständigen könne. Durch die intensive Unterstützung aus der Berliner Gehörlosen-Community hätten die zum Teil schwer traumatisierten Menschen ein Stück Sicherheit und Vertrauen zurückgewinnen können.

"Das wurde durch den respektlosen Umgang des Senats völlig zerstört", sagte Belz. In Berlin habe die Gruppe schnell Anschluss gefunden. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) habe ihnen zugesichert, dass sie in Berlin bleiben könnten. Dennoch hätten die Menschen am 31. März überraschend die Aufforderung erhalten, Berlin binnen drei Tagen zu verlassen.

"Weil sie dem nicht nachkamen, wurden sie in eine Unterkunft am Stadtrand mit Vollverpflegung ohne Kochmöglichkeiten gebracht und ihnen wurde die Sozialhilfe gekürzt", schreiben die Initiativen.

18 Personen sind jetzt in Köln untergebracht

Am 31. März seien Mitarbeiter:innen des LAF zu der Gruppe gekommen und hätten ihnen offenbar ohne Dolmetscher verkündet, dass die Hostels gekündigt seien. Busse seien vorgefahren, um sie nach Köln zu bringen. Die Geflüchteten hätten keinerlei Zusagen gekriegt, was sie in Köln erwarte, und ob sie in Nordrhein-Westfalen in andere Kommunen weiterverteilt würden. Sie sollten in Köln vorerst in einem Hotel untergebracht werden.

Als sich die Geflüchteten weigerten, in die Bussen einzusteigen und gegen die Verteilung zu demonstrieren, seien sie unter Druck gesetzt worden.

Die Integrationsverwaltung teilt mit, dass das Anfang März rund 250 gehörlose Menschen aus der Ukraine im Ankunftszentrum in Reinickendorf untergebracht worden seien. 80 Personen seien in den ersten beiden Märzwochen nach vorheriger Abstimmung nach Dresden und Zwickau weitergefahren. 166 Gehörlose seien ab dem 5. März in zwei angemieteten Hotels untergebracht worden. Als der Vertrag mit dem Hotel endete, hätten LAF-Mitarbeiter:innen über den Gehörlosenverband Berlin den 166 Geflüchteten das Angebot unterbreitet, dass sie "gemeinsam und direkt" mit Bussen nach Köln gefahren werden könnten.

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Das LAF habe sich "mit viel persönlichem Einsatz", so die Verwaltung, darum gekümmert, dass die Gehörlosen in Köln gemeinsam untergebracht worden wären. In der Domstadt gebe es ein Gehörlosenzentrum, Kitas, Schulen für Gehörlose und einen Studiengang für Gehörlose. Einen Eilantrag einer Familie, eine Weiterleitung von Berlin in eine andere Stadt zu stoppen, habe das Verwaltungsgericht am 31. März als unbegründet zurückgewiesen.

Am 1. April hätten LAF-Mitarbeiter:innen erneut die Gruppe aufgesucht, ihnen Fotos von der Kölner Einrichtung gezeigt und ihnen zugesichert, dass sie als Gruppe nicht voneinander getrennt werden würden. 18 Menschen hätten dann dieses Angebot angenommen und seien nach Köln gefahren. Ein anderer Teil der Gruppe sei privat untergebracht worden. Für die restlichen 86 Personen habe man eine LAF-Aufnahmeeinrichtung in Pankow gefunden.

Die medizinische Versorgung sei dort gesichert. Das Pankower Sozialamt habe einem Teil der Gruppe auch Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz bis zum 18. April gewährt.

Gespräch verlief ergebnislos

Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) habe sich "persönlich bei der Caritas Köln, dem Betreiber des Kölner Gehörlosenzentrums, über die aktuelle Situation der gehörlosen Menschen informiert", betont die Verwaltung in einer Erklärung. Die Gruppe lebe in einem Kölner Hotel und werde dort betreut. Das Angebot, alle Menschen aus der Gruppe dort aufzunehmen, habe zwei Wochen bestanden.

Jetzt sei diese Option nicht mehr gegeben. An diesem Mittwoch sei die Gruppe über das weitere Verfahren informiert worden. Eine ukrainische Gebärdendolmetscherin habe kurzfristig abgesagt, da sie an Corona erkrankt sei. Nach Tagesspiegel-Informationen wurde den Gehörlosen erklärt, dass es Sozialleistungen über den 18. April nur dann gebe, wenn sie sich registrieren lassen würden.

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Eine "Extra-Regelung" wird es dem Vernehmen nach für die gehörlosen Ukrainer:innen nicht geben. Der Senat hat sich auf Kriterien verständigt, wonach Geflüchtete in Berlin bleiben können: Das sind Familienangehörige in Berlin, ein Arbeitsvertrag oder ein Mietvertrag in Berlin oder eine Reiseunfähigkeit aufgrund von Krankheit oder bei Hochschwangeren. Jeder dritte im Ankunftszentrum in Tegel Registrierte könne aufgrund dieser Kriterien in Berlin bleiben.

Der Senat hat sich dagegen entschieden, Menschen mit Behinderung pauschal aus der bundesweiten Verteilung herauszunehmen. Betroffene könnten auch die Kapazitäten anderer Bundesländer zur Unterbringung und adäquaten Betreuung nutzen, betont die Verwaltung. Wie es mit den gehörlosen Ukrainer:innen weitergeht, ist unklar. Nun werde "weiter überlegt", hieß es aus Senatskreisen.

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