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Die von Valentin Schertle (1809 – 1885) geschaffene Lithografie des Soldatenkönigs Friedrich Wilhelm I. mit einem schwarzen Bediensteten geht auf ein Gemälde des Hofmalers Antoine Pesne (1688 - 1740) zurück.

© bpk

Streit um Straßennamen: Warum heißt die Mohrenstraße Mohrenstraße?

Vor zwei Jahren berichtete Tagesspiegel-Autor Thomas Lackmann, woher der Name "Mohrenstraße" stammt. Aus aktuellem Anlass veröffentlichen wir den Beitrag erneut. So eindeutig, wie manche Aktivisten die Dinge darstellen, ist die Sache nicht.

"Morian“ und „Wappen von Brandenburg“ heißen zwei kanonenbestückte Fregatten, die am 17. September 1680 von Pillau bei Königsberg aus nach Guinea in See stechen. Bereits elf Jahre vor Gründung der Friedrichstadt bahnt sich damit die Geschichte der dortigen Mohrenstraße an. Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, will mit Europas Großmächten gleichziehen, und dazu gehört die kühne Eroberung unbekannter Welten. Für seinen Nachfolger Friedrich III. ebenso wichtig ist eine moderne schachbrettgleiche Stadtplanung für Berlin, die das krumme mittelalterliche Gassenwesen überwindet.

Dafür wird auf dem Sumpfboden der Cöllnischen Feldmark ab 1691 das Prestigeprojekt Friedrichstadt angelegt. Eine Karte, die Berlin um 1710 darstellt, führt da bereits die Mohrenstraße auf. Allerdings ist der Plan ein späterer Rekonstruktionsversuch, und es ist möglich, dass neue Straßennamen verwendet wurden, die es so früh noch gar nicht gab.

Ohnehin gibt es gleich zwei Erklärungsversuche für den Namen Mohrenstraße, gemeinsam ist ihnen nur der koloniale Hintergrund. Im Mai 1681 war es Kapitän Philipp Pietersen Blonck mit seiner „Morian“ gelungen, an der westafrikanischen Goldküste zu landen und drei Häuptlinge zum Abschluss eines Vertrages zu bewegen – nach Übergabe „einiger geringwerthiger Geschenke“, wie Augenzeugen berichten. Die Afrikaner erkennen die Oberhoheit des Kurfürsten an, verpflichten sich, nur mit dessen Untertanen Tauschgeschäfte zu treiben und genehmigen einen Militärstützpunkt. Als ein Jahr später der 27-jährige Major Otto Friedrich von der Groeben ins heutige Ghana aufbricht, um dort das noch heute existente Fort Großfriedrichsburg zu organisieren, fürchtet man, die Häuptlinge könnten den Deal vergessen haben. Ein „silbervergüldeter Becher mit einem Deckel“ samt Brief und ein Fürstenporträt soll ihre Loyalität wiederbeleben.

1. Erklärung: Die mitgebrachten Afrikaner, die man damals Mohren nannte, logierten in einem Gasthaus vor der Stadt - die dortige Straße wurde deshalb Mohrenstraße genannt

Bei Groebens Heimkehr 1683 befinden sich unter seinen Trophäen auch etliche Mohren, wie man damals sagt. Einige werden in Berlin und Potsdam als Diener oder Musiker zum exotischen Dekor feudaler Haushalte, das gilt als schick; andere stammen aus Häuptlingsfamilien und kehren binnen Jahresfrist heim. Außerdem wird berichtet, die Dorfältesten von Poqueso, wo Groebens Expedition zuerst an Land ging, seien mit ihrem Häuptling Janke gen Europa aufgebrochen, um dem Herrn Brandenburgs ihre Reverenz zu erweisen.

Der Berliner Maler Hermann Clementz (1852 – 1930) hat sich die Szene in dem Gemälde „Huldigung des Negerhäuptlings vor dem Großen Kurfürsten“ vorgestellt. Da sitzt der Souverän zwischen dem Globus und der Gemahlin mit Kind, während ein muskulöser Schwarzer sich tief verbeugt – vom Zeremonienmeister wie ein seltenes Tier präsentiert. Während ihres Aufenthalts wohnen die Besucher aus Übersee in einem Gasthaus vor der Stadt, so dass der noch unbefestigte Weg, an dem sie vier Monate logieren, bald Mohrenstraße heißt – so die erste Namenserklärung.

Bis 1717 dauert das Afrika-Unternehmen. Schon die „Morian“ hatte den Auftrag, neben der Akquise tropischer Mitbringsel den Menschenhandel auszuprobieren. Rund 30 000 Afrikaner werden in den folgenden Jahrzehnten von über 30 brandenburgischen Transporten in die Karibik deportiert. Anhand von Lade- und Preislisten lässt sich errechnen, dass 40 Prozent die Fahrt nicht überleben.

2. Erklärung: Der neue Soldatenkönig, der den alten Sklavenhandel und Kolonialprojekte beendete, holte sich afrikanische Musiker, die er liebte wie seine langen Kerls

Wirtschaftlich lohnt sich das Projekt bei nur drei Dutzend Seglern kaum. Ökonomische Vernunft bremst die Brandenburgisch-Afrikanische-Amerikanische Kompanie aus: Nachdem sich der Sohn des 1688 gestorbenen Großen Kurfürsten 1701 als Friedrich I. zum König in Preußen gekrönt hat, spendiert er seinen Etat lieber dem Militär. Sein Thronfolger schließlich, Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I., verkauft seine afrikanischen Forts 1717 an die Niederländisch-Westindische-Kompanie. Im Vertrag verpflichten sich die Holländer auch, dem König „12 Negerknaben zu stellen, von denen sechs mit goldenen Ketten geschmückt sein sollten“. Sie werden ins preußische Heer gesteckt, vorzugsweise als Musiker – Keimzelle eines eigenen schwarzen Musikkorps, für die in Potsdam 1724 eine „Hoboistenschule“ gegründet wird. Die ausgebildeten Musiker wurden in einer Berliner Kaserne einquartiert, die in der heutigen Mohrenstraße lag – dies die zweite Namenserklärung.

Für den Soldatenkönig waren die schwarzen Musiker Prestigeobjekte wie seine Langen Kerls, was besondere Uniformen erforderte: „Blau, unten gantz weit und rundumb mit Falten, die Ermel, Aufschläge und Fordertheile am Rocke sind mit güldenen Schleifen besetzet, dazwischen silbern gepremet, welche an beiden Enden silberne Frantzen haben.“ Als Kopfbedeckung wählte man einen Turban, ethnologisch nicht ganz korrekt, dafür exotisch. Auch der Name war pure Erfindung: Janitscharen. So hießen einige Truppen im Osmanischen Reich.

Der Sarotti-Mohr wiederum entstand als Hommage an den alten Firmensitz in der Mohrenstraße

Die Mohrenstraße weist aber neben der kolonialen Tradition noch ganz andere auf, dort ging es auch fortschrittlich zu – und lecker. Im Haus Nr. 49, zwischen Charlotten- und Friedrichstraße, gab es das feine Lokal „Englisches Haus“: Hier traf sich ab 1789 der Montagsklub zur Diskussion über Wissenschaft, Künste und den Universalismus der Aufklärung, auch die Militärische Gesellschaft, ein Forum preußischer Offiziere, sowie Carl Friedrich Zelters erster deutscher Männerchor, die Berliner Liedertafel. Das moderne Viertel profilierte sich, wie heute, als Adresse gehobenen Konsums: Seit 1999 befindet sich schräg gegenüber von Nr. 49, an der Ecke Charlottenstraße/Gendarmenmarkt, der Chocolatier Fassbender & Rausch. Heinrich Rausch, auf den sich der Schoko-Laden zurückführt, stellte ab 1863 in der Mohrenstraße 10 Pralinen her, 1868 gefolgt von dem Pralinenmeister Hugo Hoffmann, der wiederum 1894 die Marke Sarotti anmeldete. Der Sarotti-Mohr als Emblem und Hommage an den Firmensitz Mohrenstraße wurde 1918 erfunden.

Das Sarotti-Haus Nr. 10 lag zwischen Friedrichstraße und Kanonierstraße (heute: Glinkastraße), nahe dem Zietenplatz. Ende der 1860er Jahre war die östliche Mohrenstraße bis zum Hausvogteiplatz verlängert worden, das Westende wurde in DDR-Zeiten bis zur Wilhelmstraße gezogen, um den Zietenplatz zu tilgen. 2008 erhielt der Platz des friderizianischen Generals von Zieten seinen Namen zurück. Links und rechts davon verläuft weiterhin unbeirrt die Mohrenstraße, um deren Namen ein Kulturkampf entbrannt ist. Bekämpft wird von der Internationalen Liga für Menschenrechte aber nicht der General, sondern der als rassistisch empfundene Mohren-Name. Alternative Vorschläge kursieren. 2009 ließ die Naturfreundejugend einen rosa Agitprop-Hasen auftreten: Per Umlaut-Pünktchen wurde sie zur Möhrenstraße umgetauft.

Tatsächlich ist das griechische „moros“ mit „einfältig“ oder „gottlos“ zu übersetzen, während das lateinische „mauros“ schwarz bedeutet oder auch afrikanisch, erst benutzt für Äthiopier, später auch für die Nachbarvölker. Die Mohrenstraße und ihr 18. Jahrhundert erzählen davon, dass Geschichte in Schwarz-Weiß kaum zu haben ist.

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