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Streit um Stein in Tiergarten: Ein schöner Brocken

Ein Stein wurde aus Venezuelas Urwald geholt und in Berlin zu Kunst gemacht. Dann entbrannte Streit, es gab Proteste. War der Stein geschenkt, oder wurde er geraubt? Plötzlich sind Regierungsvertreter damit befasst.

Die Liebe könnte die Konflikte auf der Welt schlichten. Tut sie aber nicht, sie provoziert stattdessen Gezänk.

Die Liebe in diesem Fall ist ein Stein aus Venezuela. Er steht mitten in Berlin, am östlichen Rand des Tiergartenparks, nebenan rauscht der Verkehr über die Ebertstraße. Er steht auf einer Lichtung und ist Teil eines Kunstwerks.

In Venezuela dagegen war er Teil eines Nationalparks, in dem Ureinwohner leben, vielleicht sogar Teil von deren Kultur. Die jedenfalls hätten den Stein gern zurück. Um das klarzumachen, kamen am vergangenen Freitag etwa 50 von ihnen mit Bändern und Federn im Haar zur Botschaft der Bundesrepublik Deutschland im Zentrum von Caracas.

Auch die Nationalversammlung in Venezuela hat gerade bestätigt: Der Stein soll zurück. Er sei illegal entwendet worden.

Der deutsche Botschafter in Venezuela sagte zu, die Forderung nach Rückgabe des Steins nach Berlin zu übermitteln, und versicherte, Deutschland habe ihn als Geschenk betrachtet. Das Auswärtige Amt in Berlin wollte die Angelegenheit am Freitag nicht kommentieren. Und der Künstler bestreitet die Vorwürfe.

Vor etwa zehn Jahren hat Wolfgang Kraker von Schwarzenfeld sein Kunstwerk errichtet. „Global Stone Project“ ist dessen Titel, es besteht aus fünf sehr großen Steinen, die er aus allen Teilen der Welt nach Berlin gebracht hat.

Die Liebe ist ein fast 35 Tonnen schwerer Findling, rot wie Eisen. In die polierte Oberfläche hat der Künstler auf Englisch „Liebe“ eingraviert. In die Seiten haben Touristen ihre Namen geritzt. Der Stein, der für den Kontinent Amerika auf der Berliner Lichtung steht, wirkt ein wenig mitgenommen und etwas verloren, obwohl die anderen vier Steine in der Nähe liegen. Die anderen Steine sind ebenfalls poliert und graviert. Erwachen (Europa). Hoffnung (Afrika). Vergebung (Asien). Frieden (Australien). Weil Schwarzenfeld diese Dinge für wichtig hält zur Verbesserung von Welt und Menschlichkeit.

Die fünf Steine sollen, so stellt sich das der Künstler vor, mit ihrer spiegelglatten Fläche das Licht der Sonne am Mittsommertag in jedem Jahr reflektieren und zu den Schwestersteinen auf den fünf Kontinenten senden; Menschen und Länder miteinander verbinden. Ein verwittertes Schild am Wegrand erklärt das Werk. Ob es funktioniert, spielt keine Rolle. Dem Künstler bedeutet der Gedanke viel.

Nun könnte man natürlich sagen: Seit vor Jahren der Streit um den Liebesstein ausgebrochen ist, haben in deutschen und venezolanischen Amtsstuben, im Urwald und im Berliner Tiergarten schon so viele Menschen miteinander diskutiert, dass der Stein, was die Zusammenführung der Völker angeht, einiges geleistet hat. Wenn auch anders als beabsichtigt.

Ende 1998 fand von Schwarzenfeld den Stein in einem Nationalpark in Venezuela. Er verhandelte mit den Parkbehörden und den ansässigen Ureinwohnern, den Pemón-Indianern, die den Stein Kueka nennen. Er erhielt Genehmigungen, Unterschriften und Stempel, um den Stein mitnehmen zu dürfen.

Im Januar 1999 verließ der Venezuela per Schiff. Kurz zuvor war Hugo Chávez erstmals zum Präsidenten des Landes gewählt worden, der erste Präsident mit indigenen Wurzeln. 2003 ließ er die Verfassung ändern, so dass darin die Rechte der Ureinwohner festgeschrieben wurden. 2003 kündigte er außerdem an, den Stein zurückhaben zu wollen. 2012 hofft er, bei den Präsidentschaftswahlen im Oktober erneut gewählt zu werden. Will er den Stein jetzt ins Land zurückholen, um Stimmen zu gewinnen?

„Alle, die tatsächlich im Land protestieren, sind Anhänger des Präsidenten Hugo Chávez“, sagt Bruno Illius. Er ist Mitte 50, ein Ethnologe, der zu vermitteln versucht. Illius hat mit den Pemón gelebt, seit 1993 beschäftigt er sich mit ihrer Kultur. Er ist niemand, der leicht etwas glaubt, was er nicht mit eigenen Augen gesehen hat. Deswegen recherchierte er im Frühjahr 2011 bei einer Reise nach Venezuela selbst. Er hat mit Pemón gesprochen und erfuhr, dass damals einige von ihnen bezahlt worden seien, um Kueka-Proteste der Ureinwohner anzuzetteln.

„Das Unrecht ist“, sagt Illius, „dass die Pemón nicht offiziell gefragt wurden.“ Er sagt aber auch: „Der Stein hat nichts mit der Mythologie oder Religion der Pemón zu tun.“ Was Kern der Vorwürfe ist. Aber so genau scheint das alles keiner mehr wissen zu wollen. Der Stein ist zum Symbol für das Mitspracherecht der venezolanischen Ureinwohner geworden.

Schwarzenfeld meditiert auf dem Stein, bis er sicher ist: Der will mit

Schon vor einem Jahr köchelte der Konflikt höher, schon damals äußerten sich Regierungsvertreter hüben und drüben. Schon damals saßen Wolfgang Kraker von Schwarzenfeld und Bruno Illius in dieser Sache zusammen. An einem Tag im Sommer beispielsweise in einem Berliner Café. Schwarzenfeld ist ein sehr großer und sehr schlanker alter Herr von Ende 70. Er spricht energisch und kann sich aufregen. Es geht um sein Lebenswerk. Immer schon treibt ihn eine Frage um: Warum gibt es Kriege auf der Welt, warum nur töten Menschen einander – oder sich selbst? Der Tod begleitet ihn zeitlebens, Geschwister starben, der Vater brachte sich um. Wolfgang von Schwarzenfeld selbst entkam dem Tod nur knapp.

Als junger Mann, ausgebildet als Keramiker und Kellner, wurde ihm die oberbayerische Heimat zu langweilig. Mit 20 segelte er auf einem Katamaran allein nach Amerika, 1957 beschloss er, den Atlantik mit einem Trimaran zu überqueren. Er erlitt Schiffbruch, trieb 16 Tage lang im Meer. In völliger Erschöpfung sah er plötzlich sich selbst, als schwebte er über dem eigenen Körper. Um ihn herum waren viele Menschen. Da wusste er: „Du bist nicht allein.“ Niemand auf der Welt ist allein. Am 16. Tag rettete ihn ein amerikanischer Frachter.

Der Stein des Anstoßes in Bildern

Der Stein in Venezuela war der erste, den Schwarzenfeld für sein Projekt fand, auf der Hochebene der Gran Sabana. Er wurde von einem Wächter des Nationalparks in Venezuela ausgesucht, erst dann gab man den Ureinwohnern Bescheid. Schwarzenfeld bedauert heute, dass es nicht anders herum geschah. Aber was soll er denn tun? Nachträglich darum bitten, den Stein zu verschenken, vielleicht, formuliert in der Sprache und Rhetorik der Pemón?

Bilder auf Schwarzenfelds Internetseite illustrieren, wie einige Pemón ihm helfen, den Stein auszugraben. Den Dorfoberen zeigt er eine Schenkungsurkunde und eine Genehmigung der Umweltbehörde. „Wir schenken ihn Dir, wenn er mitwill“, sagen die Pemón. Schwarzenfeld meditiert auf dem Stein, bis er sicher ist: Der will mit. Auf dem Weg zum Hafen gerät er mit dem Tieflader in eine Straßensperre. Indios und Umweltschützer protestieren gegen den Bau einer Überlandleitung. Dann, so meint Schwarzenfeld, richtet sich der Zorn auf einmal gegen ihn und die Entführung des plötzlich vermeintlich heiligen Steines. Haben die Umweltschützer den Indios das zugeflüstert? Wollten sie über den Umweg Kueka der Regierung etwas abpressen?

Die Regierung jedenfalls ließ Schwarzenfeld, obwohl er offizielle Dokumente vorweisen konnte, bis Januar 1999 nicht ausreisen. Heute steht auf Schwarzenfelds Homepage, dass die Pémon vielleicht nicht durchschauen würden, wie sie für Zwecke und Interessen instrumentalisiert würden.

Schwarzenfeld hängt an dem Werk, das er der Stadt Berlin geschenkt hat

In Berlin hat sich eine Gruppe junger Menschen zusammengefunden, die rund um Kueka großes Unrecht witterten und im Internet unter dem Slogan „Kueka will zurück“ aktiv wurden. Sie wollen jenen helfen, von denen sie glauben, dass man ihnen ein entwendetes Kulturgut zurückgeben solle. Ein Treffen mit der Gruppe im Sommer 2011: Susanne, Bettina und Holger sind alle drei um die 30. Einer von ihnen kennt einen bei der Botschaft, der rief vor ein paar Jahren an und erzählte die Geschichte vom Stein. Erst empörten sie sich, dann informierten sie sich. Bei einer Veranstaltung des Künstlers im Sommer 2010 im Tiergarten haben sie Protestflyer verteilt, was die Lage eskalieren ließ. Sie waren auch bei einem Vortrag von Schwarzenfeld, weil sie Fragen hatten. Er sei, sagen sie, unfreundlich gewesen. Abwehrend. Nicht kooperativ.

Sie nahmen Kontakt auf zur Universität in Caracas, übersetzten ein Video der venezolanischen Filmstudentin Blanca Vanessa Nunez und stellten es online. Der Film erzählt die Legende um Kueka: Ein Mann und eine Frau lebten in unterschiedlichen Dörfern. Sie verliebten sich, aber das durften sie nicht. Ein Zauberer entdeckte sie zusammen und verwandelte sie in Steine – einer von denen ist Kueka –, die alsbald von den Pemón verehrt wurden. „Die Steine sind ihnen so heilig, dass sie die nicht mal anfassen“, sagt Susanne.

Die Regisseurin Nunez sagt, nicht alle Menschen in der Gemeinde hätten von der Legende um den Stein gewusst. Die Älteren allerdings schon. „Ich glaube an diese Menschen“, sagt sie. „Sie haben schon so viele Kämpfe um ihre Ländereien verloren.“ Jetzt nicht auch noch den um ihren Stein.

Pedro Calzadilla ist seit 2011 Kultusminister von Venezuela. Von seinem Vorgänger hat er auch die Bemühungen um Kueka geerbt. Bei einem Besuch in Berlin sagt er: „Es ist kompliziert.“ Gebe Schwarzenfeld den Stein her, würde sein Land den Transport zahlen. Das ist seine Bitte.

Holger, Bettina und Susanne glauben, dass es nur gerecht wäre, den Pemón ihren Stein zurückzugeben. Aber wäre es gerecht, ihn dem Künstler zu nehmen?

Schwarzenfeld hängt an dem Werk, das er der Stadt Berlin geschenkt hat. Trotzdem macht es ihn unglücklich, dass die Pemón, deren Einverständnis er zu haben glaubte, gekränkt sind. Wenn sie es tatsächlich sind. Der Streit um den Stein, glaubt Schwarzenfeld, bringe ihn der Antwort auf die Frage seines Lebens ein Stück näher. Vielleicht gibt es keinen echten Frieden, weil die Menschen einander einfach nicht zur Ruhe kommen lassen.

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