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Nach der Besetzung dieses leer stehenden Hauses in der Habersaathstraße durften wohnungslose Menschen dort offiziell einziehen.

© Bernd Friedel/Imago

Streit um Plattenbau-Abriss in Berlin-Mitte: Bezirksbürgermeister spricht sich für Erhalt von Obdachlosen-Wohnprojekt aus

50 ehemals Obdachlose sollten bis Montag ihre Wohnungen in der Habersaathstraße verlassen – mit kontroverser Begründung. Der Bezirk Mitte hält am Projekt fest.

In Berlin-Mitte steht ein Wohnprojekt für 50 ehemals obdachlose Menschen vor dem möglichen Aus: Die Eigentümergesellschaft des Plattenbaus an der Habersaathstraße 40 habe ihnen den „Rausschmiss“ zum nächsten Montag schriftlich angekündigt, teilten Aktivisten der Initiative „Leerstand-Hab-Ich-Saath“, die sich für den Erhalt der Immobilie einsetzt, am Donnerstag mit. Stattdessen sollten Geflüchtete aus der Ukraine die Wohnungen für einige Wochen zwischennutzen.

Eigentümerin des ehemaligen Schwesternwohnheims der Charité ist die „Arcadia Estates“, die den DDR-Häuserriegel mit den Hausnummern 40-48 abreißen und das Grundstück mit hochwertigem Wohnraum bebauen will. Darüber streitet sich die Gesellschaft seit Jahren mit dem Bezirk, der sich für preisgünstige Mietwohnungen einsetzt. Die Immobilie befindet sich gegenüber des Hauptquartiers des Bundesnachrichtendienstes in bester Zentrumslage.

Der Bezirk Mitte stellt sich auf die Seite von "Leerstand-Hab-ich-Saath", zumindest in Bezug auf das aktuelle Schreiben der Eigentümergesellschaft. Das Gebäude könne nicht für die Unterbringung von Ukraine-Geflüchteten genutzt werden, teilt die Pressestelle am Donnerstag mit. „Demnach dürfen ausschließlich Personen in Berlin bleiben, die eine verlässliche Unterkunftsperspektive für mindestens sechs Monate nachweisen können.“

Ein längerer Aufenthalt in kommerziellen und vom Land Berlin finanzierten Beherbergungsbetrieben erfülle diese Voraussetzung nicht. Am Freitag will sich Bezirksbürgermeister von Dassel mit der Initiative und dem Träger zu Gesprächen treffen.

„Wir bleiben drin und werden das Schreiben ignorieren“

Im Schreiben der Hausverwaltung „David & Kahlfeld GmbH“ ist zunächst von Lob und Dank für das Projekt die Rede, das Anfang des Jahres mit Unterstützung des Bezirksbürgermeisters Stephan von Dassel (Grüne) nach einer Besetzung der leerstehenden Wohnungen zustande kam: „Wir wollen uns an dieser Stelle für Ihren Einsatz bei der Obdachlosen-Winterhilfe bedanken und bitten Sie, alle Vorkehrungen für den zeitnahen Auszug zu treffen.“

Am Montag um 10 Uhr sollen die Schlüssel übergeben werden, doch so einfach dürfte die Angelegenheit wohl nicht zu beenden sein.

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„Wir bleiben drin und werden das Schreiben ignorieren“, sagt die Aktivistin Valentina Hauser dem Tagesspiegel. Das Schreiben sei an Unverschämtheit kaum zu übertreffen.

Der Eigentümer gebe sich als guter Samariter, spiele aber marginalisierte Gruppen gegeneinander aus. Statt Obdachloser sollten nun Geflüchtete untergebracht werden: „Warum ist uns völlig klar, damit ist für die Arcadia Estate mehr Geld zu machen.“ Durch die Unterbringung Geflüchteter seien auch Mieteinnahmen zu erwarten, vom Obdachlosenprojekt hingegen ausschließlich die Betriebskosten.

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Valentina Hauser widerspricht dem Eindruck, das Wohnprojekt sei nur für die Winterzeit angelegt und ende regulär am 30. April. Bis zum möglichen Abriss wolle man bleiben, dahinter stehe auch der Bezirk. Die Bewohner:innen seien froh, endlich eine Bleibe in den 50 Eineinhalb-Zimmer-Wohnungen gefunden zu haben.

Ein Abriss des Plattenbauriegels ist noch keine beschlossene Sache. Das ehemalige Schwesternwohnheim der Charité wurde während des Ausverkaufs landeseigener Immobilien in der Ära von Finanzsenator Thilo Sarrazin verkauft und mehrfach weiterveräußert.

Möbliert, aber unbewohnt. Zimmer in einer der Wohnungen vor dem Einzug der Obdachlosen.
Möbliert, aber unbewohnt. Zimmer in einer der Wohnungen vor dem Einzug der Obdachlosen.

© Christoph Soeder/dpa

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Für Theresa Keilhacker, Präsidentin der Berliner Architektenkammer, ist die Anlage ein Fall für die Rekommunalisierung, wie sie dem Tagesspiegel im Januar sagte. Über 80 der möblierten Wohnungen hätten jahrelang leer gestanden. Erst die Besetzer machten Ende des Jahres mit der Installation von Brandmeldern und Feuerlöschern darauf aufmerksam, dass die Wohnungen intakt und beziehbar waren.

Das Bezirksamt setzt sich nun dafür ein, das Projekt des Trägers "Neue Chance" fortzusetzen. Man stehe weiter zu der Zusage, die Betriebskosten für den genutzten Wohnraum zu übernehmen. Ein Auszug erscheine erst notwendig, falls das Gebäude wirklich abgerissen werde.

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