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Bürgerinitiative im Samariterkiez in Berlin-Friedrichshain mit Pollern, für die sie sich zwecks Verkehrsberuhigung eingesetzt hat.

© Doris Spiekermann-Klaas

Streit um neue Poller im Samariterkiez: Verkehrsberuhigung in Friedrichshain sorgt für Diskussionen

Neue Mauern oder Verkehr der Zukunft? Über die neuen Poller im Samariterkiez in Berlin-Friedrichshain gibt es eine kontroverse Debatte.

Von Laura Hofmann

Dann kommt er nicht weiter. Rot-weiß-gestreifte Poller versperren dem grünen Kleinlaster den Weg. Der Fahrer flucht lange, überlegt kurz, wendet dann – und brettert die Pettenkoferstraße wieder herunter. Mit mindestens Tempo 60. In einer 30er-Zone.

Eine Szene, wie sie derzeit noch häufig zu beobachten ist, im Friedrichshainer Samariterkiez. Zweieinhalb Monate nachdem dort Durchfahrtssperren in den Boden gelassen wurden. Die ersten Poller wurden am 13. August errichtet, ausgerechnet! Eine Anwohnerin soll deswegen im Verkehrsausschuss geweint haben – schließlich war das der Tag, an dem der Mauerbau begann, 58 Jahre zuvor.

„Aber das ist keine Mauer“, sagt Anwohner Indre Zetzsche. „Man muss nur aus dem Auto aussteigen, um das zu erkennen.“ Und Sebastian Nordhoff ergänzt: „Jedes Auto ist mehr Mauer.“

Der Kampf in Berlin gegen das Auto hat begonnen

Und schon ist man mittendrin in einer Debatte, die in Berlin, aber auch in der gesamten Republik seit einigen Monaten wieder intensiver geführt wird: die Debatte über das Auto. Über den Dreck, den es verursacht, den Platz, den es in den immer dichter besiedelten Innenstädten einnimmt, und die Menschen, die es verletzt oder gar tötet. Spätestens seit Berlins Verkehrssenatorin Regine Günther (Grüne) am 27. Februar dieses Jahres den bemerkenswertesten Satz ihrer bisherigen Amtszeit gesagt hat – „Wir möchten, dass die Menschen ihr Auto abschaffen“ –, stehen die Zeichen in Berlin auf „Kulturkampf gegen das Auto“. So nennt es zumindest die Opposition, in diesem Fall Oliver Friederici, der verkehrspolitische Sprecher der CDU-Fraktion.

Und da sind die rot-weißen Poller, die seit diesem Sommer im Samariterkiez und im Kreuzberger Wrangelkiez die Autofahrer zum Draußenbleiben zwingen, nur das jüngste Mittel der Kriegsführung, um in der Kampf-Rhetorik zu bleiben. Nüchtern betrachtet sind die Metallsäulen Durchfahrtssperren für Pkw, die in Friedrichshain an der Ecke Bänschstraße/Samariterstraße stehen sowie im Bereich Pettenkoferstraße/Bänschstraße. Im Kreuzungsbereich Voigtstraße/Schreinerstraße dienen sie zudem als Diagonalsperren zur Verkehrsberuhigung. Die einfache Idee, die nicht ganz neu ist, lautet: Autos und Lastwagen sollen draußen bleiben, Radfahrer, Fußgänger und Rollerfahrer dürfen durch. Innerhalb eines Jahres evaluiert das Straßen- und Grünflächenamt, ob das den Kiez spürbar entlastet. Dann entscheidet es, ob die Poller bleiben oder nicht.

Zwei Jahre haben sie für die Poller im Samariterkiez gekämpft

Irgendwann hatten sie genug. Zu viele Autos, auch schwere Lkw, rasten durch die Straßen, missachteten die Tempo-30- oder Tempo-10-Zonen und gefährdeten damit die vielen Kinder in der Nachbarschaft, sagen Zetzsche und Nordhoff. In ihrem Kiez gibt es zwei große Kitas, zwei Grundschulen und ein Gymnasium. Die 47-jährige Kommunikationsexpertin und der 42-jährige Betreiber eines Wissenschaftsverlags schlossen sich zur „Initiative Verkehrsberuhigter Samariterkiez“ zusammen, die nach eigenen Angaben aus neun Aktiven und rund 100 Unterstützern besteht. Zwei Jahre haben sie für die Poller gekämpft.

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Nordhoffs Kinder zum Beispiel gingen in die Kita in der Samariterstraße. Der Spielplatz, den sie regelmäßig besuchten, liegt gegenüber, hinter der Samariterkirche. Luftlinie vielleicht 50 Meter entfernt, doch dazwischen liegt eben die Straße. Die zu überqueren, jeden Tag mehrmals, war nicht ganz einfach. Denn der Samariterkiez liegt zwischen dem Gewerbegebiet Alter Schlachthof im Norden und der Frankfurter Allee im Süden. Wenn Auto- oder Lkw-Fahrer zu Kaufland oder ins Frischeparadies wollen, durchqueren sie das Wohngebiet als Abkürzung, so empfiehlt es auch das Navigationsgerät. Das hat Folgen: Bis zu 450 Pkw pro Stunde wurden hier vor den Sperrungen gezählt.

„Ich bin ein Vollpfosten“

Im Sommer 2017 hat die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) von Friedrichshain-Kreuzberg den Baustadtrat Florian Schmidt (Grüne) aufgefordert, ein Konzept zur Verkehrsberuhigung zu entwickeln, der Antrag kam von der SPD-Fraktion. Peggy Hochstätter wohnt seit 15 Jahren in der Bänschstraße. Über das Thema Schulwegsicherheit kam sie in die Politik, seit 2011 sitzt sie für die Sozialdemokraten in der BVV, da waren ihre Kinder noch drei und sechs Jahre alt. Als sie an einem Spätnachmittag im Oktober durch den Kiez führt, in dem trotz Feierabendzeit wenige Autos unterwegs sind, kommt, beinahe wie bestellt, ein älterer Herr im Blaumann vorbei und sagt: „Is’ auf jeden Fall ruhiger geworden im Kiez, oder?“

Doch das sehen nicht alle so. Zwar hat Sebastian Nordhoff in der Samariterstraße nach Aufstellen der Poller nur noch die Hälfte der Autos gezählt. Andere Anwohner, darunter eine Initiative, die sich „Verkehr und Vernunft“ nennt, beklagen dagegen mehr Verkehr, weil Fahrer im Kiez herumirrten, verwirrt wegen der geänderten Straßenführung. Oder sogar in Einbahnstraßen gedrängt würden, weil es geradeaus nicht weitergeht. Ein weiteres Problem: In den Umfahrungsstraßen habe der Verkehr ebenfalls zugenommen. „Ich bin ein Vollpfosten“, steht auf gelben Stickern, die auf die Poller geklebt wurden. Und: „Für einen Kiez ohne Grenzen“.

Autos haben im bundesweiten Vergleich in Berlin eine geringe Bedeutung

Einer, der sich politisch der Poller-Gegner angenommen hat, ist der Kreuzberger CDU-Abgeordnete Kurt Wansner. Er spricht von einer „Pollerorgie“, die Stadtrat Florian Schmidt veranstalte, und sagt, er sorge sich um die Sicherheit der Anwohner. Denn auch Feuerwehr und Krankenwagen können die Absperrungen nicht einfach so überwinden, müssen die Poller zunächst abschrauben. 25 Sekunden dauere das laut Nordhoff und Zetzsche. Wansner spricht von zehn Minuten.

Dass es Widerstand gibt, wo das Auto zurückgedrängt wird, sei normal, sagt Andreas Knie, der am Wissenschaftszentrum Berlin zu Mobilität und gesellschaftlichem Wandel forscht. Von den Verkehrsversuchen in der Bergmannstraße, Maaßenstraße oder im Graefekiez wisse man aber auch: „Von der überwiegenden Mehrheit, ungefähr 75 Prozent der Anwohner, wird Verkehrsberuhigung akzeptiert und gewünscht.“ Auch wenn die Umsetzung nicht immer gut gelinge.

Knie ist niemand, der das Auto aus der Innenstadt verbannen möchte, er sagt aber: „Wir müssen die Zahl der Autos in Berlin mindestens auf die Hälfte reduzieren.“ Zwar haben Pkw im bundesweiten Vergleich und in Relation zur Bevölkerung in Berlin eine geringe Bedeutung. Doch in absoluten Zahlen gibt es immer mehr von ihnen: Im April dieses Jahres waren in der Hauptstadt 1,2 Millionen Autos zugelassen – 8000 mehr als 2018. Verkehrswende sieht anders aus.

Die Verkehrspolitik in Berlin liegt hinter anderen Metropolen zurück

Um das zu ändern, können auch Poller helfen, sagt Knie. „Denn das Verkehrsverhalten hängt extrem von den Angeboten ab: Steht das Auto nicht direkt vor der Tür, nutze ich es eher nicht.“ Um den individuellen Autoverkehr nachhaltig zu reduzieren, müsste der Senat jedoch das Parken teurer machen, die Gebühren in Berlin seien „ein Witz“. Die Gebühren waren allerdings bislang bundesweit gedeckelt, in Zukunft sollen die Kommunen diese selbst bestimmen dürfen.

Als Vorbild nennt Andreas Knie Wien, wo Anwohner für eine Parkvignette immerhin 130 Euro im Jahr zahlen. Überhaupt liege Berlin, was Verkehrspolitik angehe, weit hinter anderen Metropolen zurück, ja sogar „hinterm Mond“.

„Die alten weißen Männer können gerne noch Auto fahren“

Im Samariterkiez trifft die kleine Gruppe am frühen Abend auf eine Nachbarin. Die Mutter von zwei Kindern erzählt, wie ihre Ältere einmal im Kiez von einem Auto angefahren wurde, direkt um die Ecke der Kita. Seit die Poller da sind, fühle sie sich sicherer. „Unsere Töchter wollen draußen spielen, für sie sind die Straßen ihr erweitertes Kinderzimmer“, sagt sie.

Andreas Knie spitzt die Sache noch zu: „Die alten weißen Männer können gerne noch Auto fahren“, sagt er. „Sie müssen aber erdulden, dass die jüngeren Leute sich darüber beklagen und sagen: Warum muss der vor meiner Tür fahren und rumstehen und meinen Kindern den Platz wegnehmen?“

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