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Rotes Signal: Ein Gutachten fordert den Ausschluss der Bahn bei der S-Bahn-Ausschreibung.

© Jörn Hasselmann

Streit um Berliner S-Bahn: Gutachter fordern Ausschluss der Deutschen Bahn von Ausschreibung

Dürfen sich Bahn, Siemens und Stadler bei der Ausschreibung der S-Bahn zusammenschließen? Ein Gutachten der Konkurrenz sagt nein – und fordert den Ausschluss. 

Der Verband "Mofair" hat ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben, ob sich die Deutsche Bahn und zwei Fahrzeughersteller zusammenschließen dürfen, um bessere Chancen bei der Milliardenausschreibung der Berliner S-Bahn zu haben. Mofair vertritt die privaten Konkurrenzunternehmen der Bahn. Das Gutachten, das dem Tagesspiegel vorliegt, kommt zu einem klaren Ergebnis: Der Zusammenschluss ist nicht zulässig.

"Eine Teilnahme der Bietergemeinschaft und erst recht des Gemeinschaftsunternehmens am Vergabeverfahren wäre Ausdruck einer unzulässigen wettbewerbsverfälschenden Vereinbarung und damit unzulässig", heißt es in dem Dokument. Das – absolut marktbeherrschende – Trio müsse ausgeschlossen werden.

Im Juni war durch einen Bericht im Tagesspiegel bekannt geworden, dass die Deutsche Bahn, Siemens und Stadler ein gemeinsames Unternehmen gegründet haben – eine Art Dachgesellschaft für die Ausschreibung. Zuvor hatten sich die Unternehmen nur als Bietergemeinschaft zusammengetan.

Nach diesem Bericht im Tagesspiegel hatte Mofair zwei Juristen um eine Prüfung der Vorgänge gebeten, sagte Mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen. Fazit der Gutachter: "Das Gemeinschaftsunternehmen bzw. die Bietergemeinschaft sind daher nach pflichtgemäßem Ermessen vom Vergabeverfahren auszuschließen."

Als rechtlich schwierig gilt auch, dass das Gemeinschaftsunternehmen "erst deutlich nach Abschluss des Teilnahmewettbewerbs gegründet" wurde, heißt es in dem Gutachten. "Wenn das Gemeinschaftsunternehmen anstelle der Bietergemeinschaft ein Angebot abgibt, wäre dies mit zwingenden vergaberechtlichen Vorgaben nicht vereinbar."

Der französische Konzern Alstom gerät in Bedrängnis

Das Bundeskartellamt hat den Zusammenschluss bereits geprüft, hatte aber keine Einwände. Ein Freifahrtschein ist das allerdings nicht: Für die Berliner Ausschreibung ist nicht das Kartellamt zuständig, sondern Vergabekammer des Landes Berlin. Wie berichtet, hat der einzige ernst zu nehmende Konkurrent des Bahnkonsortiums – der französische Konzern Alstom bereits ein Sommer die Ausschreibung bei der Vergabekammer gerügt. Eine Entscheidung gibt es noch nicht.

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Wie berichtet, gerät Alstom durch den Zusammenschluss noch mehr in Bedrängnis. Denn eine Dachgesellschaft kann Kosten intern so verteilen, dass es für die Ausschreibung günstig ist. Und: Siemens und Stadler bauen derzeit für die S-Bahn die neuen Züge der Baureihe 483/484, die seit Januar 2021 im Fahrgastbetrieb unterwegs ist. Das Trio hat deshalb einen Riesenvorteil gegenüber der Konkurrenz: Für die Ausschreibung muss kein neues Fahrzeug mehr konstruiert werden, es kann unverändert angeboten werden. Experten schätzen den Kostenvorteil auf eine halbe Milliarde Euro.

Seit 15 Monaten läuft das Vergabeverfahren für die S-Bahn, es geht um bis zu elf Milliarden Euro. Am Dienstag endete die mehrfach verlängerte Frist zur Abgabe von Angeboten. Die Verkehrsverwaltung teilte am Nachmittag mit: "Nach Ablauf der Bieterfrist werden die eingereichten indikativen Angebote hinsichtlich Eignung, formeller Ordnungsmäßigkeit und Vollständigkeit sowie rechnerischer und fachlicher Richtigkeit geprüft."

Mindestens 1308 und bis zu 2160 Wagen werden benötigt

Bereits im Dezember sollen die Verhandlungen der Länder Berlin und Brandenburg mit den Bietern beginnen. "Daran schließt sich voraussichtlich im ersten Quartal 2022 die Aufforderung zur Abgabe verbindlicher Angebote an, wofür die Bieter dann im Anschluss sechs Monate Zeit haben. Der Zuschlag soll dann zu Ende des vierten Quartals 2022 erteilt werden." Informationen zur Identität, Anzahl der Bieter bzw. zur Anzahl der eingereichten Angebote machte die Verwaltung wegen der "vergaberechtlichen Vertraulichkeit" nicht.

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Für die elf Linien der Nord-Süd- und die Ost-West-Strecken werden mindestens 1308 und bis zu 2160 Wagen benötigt. Die neuen Fahrzeuge sollen zwischen 2027 und 2034 geliefert werden. Berlin wollte mit dieser Ausschreibung der Superlative das Monopol der Deutschen Bahn brechen. Gesucht werden Unternehmen, die zwei der drei Teilnetze betreiben und dafür die Züge bauen. Das erste Teilnetz war vor mehreren Jahren "direkt" an die Deutsche Bahn vergeben worden. 

Mofair-Geschäftsführer Matthias Stoffregen hatte bereits in der vergangenen Woche dem Tagesspiegel gesagt, das Grundproblem in Berlin sei, dass eigentlich gar keine Konkurrenz zur S-Bahn erwünscht sei. Bekanntlich hatten sich nur die Grünen intensiv für mehr Wettbewerb eingesetzt. SPD und Linkspartei hatten 2018 den Wunsch der scheidenden Verkehrssenatorin Regine Günther jedoch vereitelt, die eine Loslimitierung bei der Vergabe wollte. Das wäre eine Garantie für Wettbewerb und Konkurrenz gewesen. Bei einer Loslimitierung wären die beiden Teilnetze automatisch an zwei Unternehmen gegangen.

Die Linkspartei will die S-Bahn sogar wieder zurückkaufen 

In der letzten Woche wurden nun Gerüchte bekannt, dass SPD und Linke in den Koalitionsgesprächen durchsetzen wollen, den Auftrag irgendwie direkt an die Bahn zu vergeben. Ein Grünenpolitiker dementierte dies am Wochenende, das Thema sei in den Sondierungen noch gar nicht behandelt worden.

Die Linkspartei war sogar mit der Forderung angetreten, die S-Bahn zu rekommunalisieren, wie zuvor die Wasserbetriebe. Doch Beobachter halten es für ausgeschlossen, dass die Deutsche Bahn freiwillig ihre Tochter S-Bahn Berlin GmbH verkauft. Denn die S-Bahn verdient Geld.

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