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Der Parteitag der Berliner SPD entscheidet heute über die Linie bei der Verbeamtung von Lehrern.

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Update

Streit in der Berliner Koalition: Was spricht für die Verbeamtung von Lehrern, was dagegen?

Die Berliner SPD wird auf ihrem Parteitag Ende der Woche darüber diskutieren, ob Lehrer wieder verbeamtet werden sollen. Die Fakten vorab.

Der Koalitionsvertrag ließ an dieser Stelle keinen Interpretationsspielraum: „Die Koalition spricht sich grundsätzlich für den Vorrang von Angestelltenverhältnissen vor Beamtenverhältnissen aus. Neue Beamtenverhältnisse sollen nur dort eingegangen werden, wo es aus hoheitlichen Gründen erforderlich ist.“

Zur Halbzeit der Legislatur ist diese Klarheit einer kompletten Irritation gewichen: Namhafte SPD-Vertreter plädieren für die Verbeamtung von Lehrern, obwohl sie nach vorherrschender Einschätzung keine hoheitliche Aufgabe ausüben. Dass der Streit bislang kaum offen ausgetragen wird, hat einen einzigen Grund: Die SPD-Vertreter wollen erst noch das Ergebnis ihres Parteitages am 30. März abwarten.

Falls es dort eine Mehrheit für die Verbeamtung gibt, steckt Rot-Rot-Grün in einem echten Dilemma – worauf es bereits vergangene Woche einen Vorgeschmack gab: Die Interessengemeinschaft Berliner Schulleiter hatte zu einer Diskussion mit Bildungspolitikern von Koalition und Opposition geladen – und einige Lehrer nutzten die Gelegenheit, denjenigen mit Fragen und Vorwürfen einzuheizen, die sich gegen die Verbeamtung stemmen: Linke und Grüne. Sie habe da eine Art „Pogromstimmung“ empfunden, befand im Anschluss die Bildungsexpertin der Linken, Regina Kittler.

Zunächst war die CDU die einzige Verbeamtungs-Partei

Die SPD hatte das Thema – zunächst noch zaghaft – im Herbst aufgerufen. Bis dahin war die CDU die einzige Partei in Berlin, die – seit 2011 – unermüdlich die Rückkehr zur Verbeamtung in die Debatten einspeiste, um dem Lehrermangel zu begegnen. Als sich Rot-Rot-Grün im Koalitionsvertrag 2016 erneut dagegen aussprach, war der Mangel längst zu einem ernsten Problem geworden:

Bereits 2014 hatte Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) offensiv um Quereinsteiger geworben. Im Sommer 2016 war dann jeder dritte Neulehrer ein Quereinsteiger, obwohl zuvor selbst in Österreich um gelernte Pädagogen geworben worden war.

Scheeres enthielt sich selbst dann noch eines öffentlichen Votums für die Verbeamtung, als die Quereinsteigerquote bei den Neueinstellungen im Sommer 2018 auf über 50 Prozent gestiegen war, und in den Grundschulen nur noch jeder sechste Neuzugang wusste, wie man Kinder alphabetisiert.

Wirrwarr um das Ausmaß der Abwanderung

Zu diesem Zeitpunkt nahm die interne Diskussion in der SPD an Fahrt auf, und im Dezember erklärte auch der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD): „Wir prüfen, ob die Verbeamtung helfen kann, Lehrer für Berlin zu begeistern.“

Diese „Prüfung“ verlief bisher allerdings wenig überzeugend. Wer wissen will, wie viele Lehrer Berlin wegen der Nichtverbeamtung verliert, bekommt widersprüchliche Antworten. Mal spricht Scheeres von 450 Abwanderungen, dann berichtet SPD-Fraktionschef Raed Saleh dem Beamtenbund von angeblich 600 Lehrern, die nach Brandenburg gegangen seien, und als Kittler jetzt offiziell fragte, wie viele es denn seien, die man an Brandenburg und andere Länder verloren habe – bekam sie gar keine Antwort. Ob ihre Nachfrage noch vor dem Parteitag beantwortet wird, ist unklar.

Ebenso widersprüchlich wie die Angaben zum Umfang der Verluste sind die Antworten auf die Frage nach den Kosten der  Verbeamtung. Auch hier liest jeder die Statistiken so, wie er sie lesen will, und zieht daraus die Schlüsse, die seine Anschauung jeweils belegen. Ein paar Fakten sind allerdings – relativ – unabweisbar.

Was für Angestellte spricht

Krankenstand

Angestellte Lehrer sind wesentlich seltener krank. Das belegt die Personalstatistik des Senats, die dem Tagesspiegel vorliegt. Diese eindeutige Differenz ist schon bei den 30-Jährigen vorhanden und steigt mit dem Alter: Anfangs liegen die Krankentage der Beamten um ein Drittel über denen der Angestellten, später sogar um 50 Prozent.

Besonders eklatant ist dies bei den Lehrern über 60: Die Beamten fallen an 57 Kalendertagen aus, ihre angestellten Kollegen an 35 Tagen (siehe Grafik). Über alle Jahre hinweg fehlen die Beamten im Durchschnitt knapp 32 Tage im Jahr und die Angestellten 21 Tage. Ausgehend davon kann man grob abschätzen, dass die Vertretungskosten, die für einen Beamten anfallen, pro Jahr rund 2000 Euro höher sind als bei Angestellten.

So kommt man in durchschnittlich 33 Dienstjahren auf einen theoretischen Verlust von 66.000 Euro, sofern man die Erkrankten nicht durch Aushilfen, sondern durch gelernte Kräfte ersetzt. Angesichts der großen Unterschiede bei den Fehltagen müsste Senatorin Scheeres erklären, warum sie gegenüber ihren Genossen, die sie jüngst für die Verbeamtung gewinnen wollte, nur von einem „leicht höheren Krankenstand bei verbeamteten Lehrkräften“ sprach.

Kosten

„Bis zum Pensionseintritt werden verbeamtete Lehrkräfte rund 84.400 Euro mehr erhalten haben als Tarifbeschäftigte“, rechnet Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) vor. Angestellte sind somit preiswerter, zumal sie auch weniger Altersbezüge haben. Die Lehrerinitiative „Bildet Berlin!“ geht davon aus, dass Angestellte auf die ganze Lebenszeit gesehen bis zu 200.000 Euro weniger vom Land bekommen als Beamte.

Verbeamtungsgegner plädieren dafür, die von Angestellten als besonders ungerecht empfundenen Nachteile bei der sozialen Sicherung durch eine Berufsunfähigkeitsversicherung über die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder sowie durch eine vom Land finanzierte Krankentagegeldversicherung auszugleichen. Dann wären Angestellte noch immer preiswerter als Beamte, sie hätten aber mehr Sicherheit.

Sozialsysteme

Für angestellte Lehrer wird in die Renten-, gesetzliche Kranken- und Arbeitslosenversicherung eingezahlt. Die Linken warnen daher, es „schwäche“ die Solidargemeinschaft, wenn den Sozialversicherungssystemen „überdurchschnittliche Einzahler entzogen“ würden.

Arbeitsfrieden

Bei einer Verbeamtung würden schätzungsweise 6000 bis 8000 angestellte Lehrer leer ausgehen – etwa ein Drittel – weil sie nicht gesund genug sind, die Laufbahnvoraussetzungen nicht erfüllen oder die vorgeschriebene Altersgrenze überschritten haben. Diese Grenze liegt zurzeit zwar noch bei 50 Jahren, wird aber demnächst auf 45 abgesenkt. Die Ungleichbehandlung in den Lehrerzimmern würde erneut massiv zunehmen, weil nicht nur ältere und einzelne verbeamtete Zuzügler den attraktiveren Status hätten, sondern viel mehr Kollegen.

Schädlich für den Arbeitsfrieden wäre zudem die abermalige Vergrößerung der sozialen Kluft zwischen den Lehrern und den Erziehern und Sozialarbeitern, mit denen sie zusammenarbeiten: Beide Berufsgruppen können nicht verbeamtet werden. Grüne, Linke, Jusos und GEW sehen darin ein wichtiges Argument für die Beibehaltung des Angestelltenstatus.

Unklare Verbeamtungseffekte

Wie groß der Effekt der Wiederverbeamtung sein würde, ist schwer zu sagen, weil die Konkurrenz bundesweit groß ist. Auch Länder, die verbeamten, müssen Quereinsteiger einstellen, allerdings prozentual weniger. Ein Blick nach Sachsen hilft auch kaum weiter, denn das Land verbeamtet seine Lehrer erst seit 1. Februar, so dass noch nicht gesagt werden kann, wie erfolgreich der Schritt ist. Klar ist nur, dass bereits 5500 Anträge auf Verbeamtung gestellt wurden – von Lehrern, die sowieso da waren.

Auf die Frage, ob es bereits spürbar weniger Abwanderungen oder spürbar mehr Zuwanderungen von Lehrern gebe, hat die Bildungsbehörde „noch keine belastbaren Zahlen“. Immerhin gebe es aber mehr Lehrer, die im Rahmen des „Lehreraustauschverfahrens“ aus anderen Bundesländern nach Sachsen wechseln wollen:

Die Zahl der Versetzungsanträge stieg von rund 20 auf 124. Offene Stellen an der Peripherie Sachsens zu besetzen, bleibt trotz Verbeamtung schwierig. Referendaren wird daher eine Zulage von bis zu 1000 Euro gewährt. Das könnte man aber auch im Angestelltenstatus tun.

Was für Beamte spricht

"Es ist fahrlässig abzuwarten, ob 600 Lehrer abwandern", sagt der Lehrer Andreas Gramm, der sich bei der Initiative "Bildet Berlin!" engagiert.
"Es ist fahrlässig abzuwarten, ob 600 Lehrer abwandern", sagt der Lehrer Andreas Gramm, der sich bei der Initiative "Bildet Berlin!" engagiert.

© Susanne Vieth-Entus

Berlins Konkurrenzfähigkeit

Seitdem Sachsen wieder verbeamtet, ist Berlin das einzige Bundesland ohne Beamtenstatus für Lehrer. Je größer der bundesweite Mangel, desto besser die Angebote an wechselwillige Pädagogen. Jeder Lehrer und jeder Schulleiter in Berlin kennt etliche Lehrer, die längst in Potsdam, Hamburg oder Hannover unterrichten.

„Ich will sie nicht verlieren“, lautet das Stoßgebet der Schulleiter, wenn wieder einmal hoffnungsvolle fertig ausgebildete Referendare ihrer Schule den Rücken kehren. „Inzwischen verlassen uns sogar die Quereinsteiger, die wir selbst ausgebildet haben“, berichten frustrierte Lehrer.

Neben den höheren Altersbezügen und der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall gibt es noch weitere Beamtenprivilegien wie opulente Zuzahlungen bei mehreren Kindern, mehr Geld für hinterbliebene Ehepartner sowie Zuzahlungen zur privaten Krankenversicherung.

Das alles wird diskutiert, seitdem Berlin 2004 aus der Verbeamtung der Lehrer ausstieg. Damals gab es auch die ersten, die mit Weggang drohten, und sie organisierten sich in der Initiative „Verbeamtung jetzt!“. An ihre Stelle trat 2014 die Initiative „Bildet Berlin!“, die nicht mehr für eine  Verbeamtung, aber für eine finanzielle Gleichstellung eintrat, weil man auf die Rückkehr zur Verbeamtung kaum noch zu hoffen wagte.

„Bildet Berlin!“ mit seinem Vorsitzenden Florian Bublys ist aber schnell aufgewacht, als die SPD-Bildungsexpertin Maja Lasic die Diskussion über die Verbeamtung wieder hoffähig machte. Neuerdings hat Bublys noch Unterstützung bekommen: Eine Lehrergruppe der Sternberg-Schule sammelt Unterschriften von Lehrern, die drohen, die Stadt zu verlassen, wenn die Verbeamtung nicht kommt. An diesem Montag sollen rund 650 Unterschriften übergeben werden.

Weniger laufende Ausgaben

Dadurch dass Berlin aus der Verbeamtung ausgestiegen ist, muss es für die Lehrer in zwei Altersversorgungssysteme einzahlen: Einerseits in die Pensionen der ausscheidenden Beamten, andererseits gibt es die laufenden Beiträge in die Rentenkasse über die Angestelltengehälter.

Da für die – inzwischen schon rund 17.000 – angestellten Lehrer zudem Arbeitslosen- und Krankenkassenbeiträge bezahlt werden müssen, kostet ein Angestellter pro Jahr rund 80.000 Euro, der Beamte aber zunächst nur rund 60.000 Euro, da für die Pensionen keine Rücklagen gebildet werden.

Drei ehemalige Brandenburgische Ministerialbeamte, Reiner Fahlbusch, Andreas Vollbracht und Sönke Harm Pörksen – allesamt früher einmal Berliner Gewerkschafter –, haben sich auf ihrer eigens dafür installierten Homepage in diese Materie hineinvertieft, weil sie sich da besonders gut auskennen: Sie waren dabei, als Brandenburg vor einigen Jahren zur Verbeamtung der Lehrer wechselte. Sie rechnen vor, dass – geht man vom Beginn des Verbeamtungsstopps im Land Berlin im Jahre 2004 aus – der letzte Beamte 2037 ausscheidet.

Von da an sind noch rund weitere 20 Jahre Pensionen zu zahlen: Dann erst werde der Haushalt durch den Wegfall der hohen Pensionen entlastet und Berlin müsste nur noch in ein Alterssystem für Lehrer einzahlen. „Es wird nach unseren Berechnungen mehr als weitere 150 Jahre dauern, bis die Mehrbelastungen, die bis Mitte des Jahrhunderts in einer Dimension von über zehn Milliarden Euro entstanden sind, durch nachfolgende Entlastungen kompensiert sind“, rechnen die drei Experten aus.

Wenn Berlin sich – mittels Verbeamtung – die laufenden hohen Belastungen in die Sozialversicherungssysteme sparen würde, könne Berlin seinen Haushalt „um einen hohen einstelligen Milliardenbetrag entlasten und beispielsweise Schulden tilgen“.

Kein Unterrichtsausfall durch Streiks

Gerade hat Berlin wieder erlebt, was es bedeutet, dass angestellte Lehrer streiken dürfen: An mehreren Tagen fiel während der Tarifverhandlungen Unterricht aus. Zwar steht am Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg das Streikrecht für Beamte zur Verhandlung an. Es kann aber nach GEW-Einschätzung noch viele Jahre dauern, bis das Konsequenzen für Deutschland hätte.

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