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Das Marzahner Tagore-Gymnasium durchlebt eine Führungskrise.

© privat

Update

Streit am Tagore-Gymnasium in Berlin: Umstrittene Schulleiterin bleibt trotz Brandbriefen im Amt

Eltern, Lehrkräfte und Schüler:innen berichten von schwerwiegenden Problemen mit der Leiterin. Schon die Schulinspektion hatte ihre Arbeitsweise kritisiert.

Im Streit um die Leitung des Marzahner Tagore-Gymnasiums ist offenbar eine Entscheidung gefallen. Nach Informationen des Tagesspiegels bleibt die von Schülern und Eltern vehement kritisierte Leiterin im Amt. Die Schulgremien rechneten an diesem Montag mit weiteren Informationen, die aber ausblieben.

Nach den Sommerferien soll der Posten des Stellvertreters neu besetzt werden, woraus einige Akteure die Hoffnung auf eine Erleichterung der Situation ableiten. Die Bildungsverwaltung äußerte sich nicht. Es ist allerdings inzwischen bekannt, dass ein Mediationsverfahren sowie ein Führungskräftecoaching auf den Weg gebracht wurde, um die Lage zu verbessern.

„Dass trotz der Einschätzung von Politiker:innen des Bildungsausschusses, die an den Fähigkeiten der Schulleiterin zweifelten, nun doch an ihr festgehalten wird, ist ein Widerspruch in sich“, sagte Schulsprecher Sebastian Peine auf Anfrage. Er schlussfolgert aus den Erfahrungen, dass die Regelungen rund um die Einsetzung und Absetzung von Schulleiter:innen im Land Berlin „geprüft und an gegebenen Stellen nachgebessert werden müssen“.

Wie berichtet, hatte der Abiturjahrgang am 12. März in einem Brief ein in seinen Augen alarmierendes Missmanagement an der Spitze der Schule beklagt und Veränderungen gefordert. Am 20. März legte die Gesamtelternvertretung mit einem dreiseitigen Brandbrief nach und schrieb an alle wichtigen bildungspolitischen Akteure aus Senat und Abgeordnetenhaus, dass die Abiturienten die Lage richtig geschildert hätten.

Zudem sei selbst in der Hochphase der Pandemie die Kommunikation durch die Schulleiterin „unzureichend“ gewesen, sodass die Veröffentlichung von Informationen auf der Homepage durch die Eltern habe „erkämpft werden müssen“.

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Die Schulleiterin kommuniziere „herablassend, anklagend und den Schüler:innen sowie Elternvertreter:innen gegenüber ausfallend“. Auch Teile der Gesamtschülervertretung solidarisierten sich mit den Brandbriefen des Abiturjahrgangs und der Eltern. So stimmten 17 Klassen- und Kurssprecher:innen inhaltlich zu und forderten Besserung.

„Diese Zustände machen mich fassungslos“

Wie Schulangehörige berichten, wird eine Klärung der Vorwürfe dadurch erschwert, dass Vorkommnisse in der Vergangenheit kaum dokumentiert wurden: „Diese Zustände machen mich fassungslos“, beklagte im Mai die bildungspolitische Sprecherin der Linken, Regina Kittler. Die Abgeordnete erinnerte daran, dass die Schulleiterin bereits bei der Schulinspektion 2019 schlecht bewertet worden sei. „Die übergroße Mehrzahl der Schulleiter macht einen großartigen Job“, gab Kittler zu bedenken. Bei den anderen erwarte sie aber die „Möglichkeit, dass sie gehen müssen“.

Um die Situation an ihrem ansonsten geschätzten Gymnasium zu beschreiben, hatten sich drei Viertel der Abiturienten gegen ihre Schulleiterin gestellt und „besorgniserregende Entwicklungen“ beklagt. Sie schrieben, sie wirke „unorganisiert, unkoordiniert und überfordert“ und werde als „desinteressiert“ wahrgenommen. Sie verspäte sich häufig, wirke unvorbereitet, informiere zu wenig und „teilweise unverständlich“. Gespräche zu vereinbaren, sei kaum möglich.

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Der Anwalt der Schulleiterin, Jens Brückner, hatte dem Tagesspiegel daraufhin mitgeteilt, dass „die Vorwürfe in sich zusammenfallen werden, weil sie unbegründet sind“. Eine zitierfähige Stellungnahme zu den Vorwürfen erhielt der Tagesspiegel auf Anfrage allerdings bisher nicht. Dem Vernehmen nach wird aber betont, dass die Leiterin sehr wohl bemüht sei, "Prozesse zu strukturieren und zu koordinieren und zu einer höheren Transparenz beizutragen". Sie sei auch dem Wunsch der Schülervertretung nach einem Jour fixe nachgekommen.

Der Stellvertreter wurde mit dem Lehrerpreis ausgezeichnet

Sie habe es aber nicht leicht, weil der langjährige stellvertretende Schulleiter, Joachim Triebe, extrem beliebt gewesen sei: Die Schule hatte angeblich damit gerechnet, dass er die Leitung übernimmt. Die Stelle sei dann aber einfach mit der jetzigen Leiterin besetzt worden, die nach Problemen an ihrer Vorgängerschule habe mit einer neuen Stelle versorgt werden müssen. Als ihr beliebter Stellvertreter Triebe kürzlich pensioniert wurde und die Probleme mit der Pandemie sich hinzogen, spitzte sich die Lage zu. Gleichzeitig wurde Triebe aufgrund der Nominierung durch seine Schüler mit dem diesjährigen Deutschen Lehrerpreis ausgezeichnet.

Kritik auch von der früheren Schülersprecherin

Die Kritik an der Leiterin verstummte nach den Brandbriefen und den ersten Gesprächsangeboten nicht. Elternvertreter sagten dem Tagesspiegel, dass „die Eltern nach wie vor zu ihrem Brief stehen“. Mit diesem Brandbrief hätten sie sich „nicht nur solidarisch mit den Schüler:innen gezeigt, sondern auch die eigenen Erfahrungen aus der Elternschaft aufgezeigt“.

Zudem meldete sich Peines Vorgängerin zu Wort und berichtet, dass die Schulleitungsprobleme nicht neu seien. Schon im Schuljahr 2018/19 sei das Verhältnis zwischen der Leiterin und dem damaligen zwölften Jahrgang sowie weiteren Klassenstufen„schlecht“ gewesen.

„Sollte sich die Senatsverwaltung für einen Verbleib der Schulleiterin entscheiden, bleiben die Elternvertreter:innen weiterhin daran, bestehende Missstände aufzuzeigen und zu dagegen vorzugehen“, kündigte eine Elternvertretung an. Sie sähen sich „als aktive Prozessbegleiter während der Rückkehr zu einer konstruktiven und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Schulleiterin“.

Probleme sind seit 2019 bekannt

Dass die Schulleiterin nach Ansicht von Fachleuten ihren Aufgaben nicht gerecht wird, ist seit erwähnter Schulinspektion von 2019 bekannt. Im Inspektionsbericht hieß es, dass in der Zusammenarbeit von Schulleiterin und Kollegium „Hindernisse“ bestehen, „die die Arbeitsprozesse in der Schulentwicklung hemmen“. Durch fehlende Koordinierung blieben Arbeitsprozesse „über längere Zeiträume ergebnislos“.

Zudem sei die Schulleiterin „im Alltag wenig präsent und weder für Mitarbeitende noch für die Schülerschaft spontan ansprechbar“. In der Folge könnten aktuelle Anliegen nicht geklärt oder Entscheidungen getroffen werden – selbst „in Konfliktfällen“.

Darüber hinaus würden gesetzte Termine von der Schulleiterin „nicht verlässlich“ eingehalten. Dem Vernehmen nach bestreitet sie auch diese Vorwürfe.

Obwohl angeblich aus allen drei Schulgruppen – Schüler:innen, Eltern und Lehrkräften - Probleme mit der 2016 eingesetzten Schulleiterin gemeldet wurden, wurden die daraus resultierenden Beschwerden nicht bei der Schulaufsicht aktenkundig: Als der CDU-Abgeordnete Dirk Stettner im April wissen wollte, seit wann es Beschwerden gebe, lautete die Antwort von Bildungsstaatssekretärin Beate Stoffers (SPD), es seien erst seit November 2020 „Einzelbeschwerden“ an die Schulaufsicht herangetragen worden.

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Unterlagen zu Beschwerden aus vergangenen Schuljahren lägen bei der Schulaufsicht nicht vor. Die damals zuständige Schulrätin ist nicht mehr auf dem Posten. Auf Stettners Frage, was der Senat zu tun gedenke, um die Situation an der Schule zu beruhigen, schrieb Stoffers, dass die Leiterin durch die inzwischen neu aufgestellte Schulaufsicht „regelmäßig beraten“ werde.

Sie wolle jetzt auch der „wiederholt ausgesprochenen“ Empfehlung nachkommen, sich extern Unterstützung durch die landeseigenen Berater von "ProSchul" zu holen. Erste Schritte sollen inzwischen umgesetzt sein. So ist zu hören, Elternbriefe würden jetzt „regelmäßig versendet“. Zudem sei das Beschwerde- und Konfliktmanagement auf mehrere Personen verteilt worden.

"Es ist klar, dass die Berliner Schule Elternarbeit wertschätzt und dementsprechend offen, transparent und respektvoll kommuniziert. Sollte dies nicht gelingen, gibt es Unterstützungssysteme, die wir einsetzen", beschrieb Bildungs-Staatssekretärin Beate Stoffers (SPD) am Sonntag gegenüber dem Tagesspiegel die generelle Agenda.

Wer den Posten einmal hat, hat wenig zu befürchten

Falls die Leiterin bleibt, wo sie ist, wäre das nicht ungewöhnlich. Generell gilt im öffentlichen Dienst: Wer einmal einen bestimmten Posten erklommen hat, hat wenig zu befürchten. Die Hürden für eine Abberufung sind so hoch, dass der öffentliche Arbeitgeber sie kaum nehmen kann – erst recht nicht mit einem Anwalt wie Jens Brückner, der seit über 30 Jahren auf solche Fälle spezialisiert ist und auch den ehemaligen Leiter der Staatlichen Ballettschule vertritt.

Zwar werden ab und an Schulleiter:innen an andere Schulen oder auf vergleichbar dotierte Posten im Bildungsbereich versetzt – das aber ist ohne das Einverständnis der betroffenen Person kaum möglich. Um sich gegen allzu böse Überraschungen abzusichern, hat das Land Berlin eine zweijährige Probezeit für Schulleitungen festgeschrieben.

Aber auch das hat sich nur bedingt als wirksam erwiesen: Sofern die Schulräte es versäumen, Fehlverhalten akribisch festzuhalten, gelingt es nicht, die Betroffenen nach der Probezeit von ihren Posten zu holen. Auch dafür gibt es prominente Beispiele, die sich rechtzeitig Hilfe bei erfahrenen Anwälten holten.

Dennoch wurde nach Auskunft der Bildungsverwaltung die Rechtslage in der Vergangenheit nicht geändert, was bedeutet, dass schwache Schulleiter weiterhin „von ihren Schulen ertragen werden müssen“, wie ein Elternvertreter anmerkt.

Und die Lage dürfte noch schwieriger werden, denn infolge des Lehrermangels fehlen vielerorts gute Bewerber:innen. Erst kürzlich wurde eine Leitungsstelle mit einer Lehrkraft besetzt, die wenige Jahre zuvor in Tempelhof spektakulär innerhalb der Probezeit als Schulleiterin gescheitert war. Der zuständige Schulrat hatte offenbar keine Wahl: Es gab keine geeigneteren Kandidat:innen.

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