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Nicht mehr Lohn, sondern mehr Personal fordern die Pflegekräfte der Charité (hier ein Bild eines früheren Warnstreiks).

© dpa/Soeren Stache

Streik an der Charité Berlin: Pflegekräfte kämpfen für mehr Personal

Die Streikenden an der Charité wollen nicht mehr Lohn, sondern mehr Personal. Klinikleitung und Senat sind gefordert - aber auch die Bundesregierung. Das Wichtigste im Überblick.

Ab Montag 6 Uhr wollen bis zu 500 Pflegekräfte und Techniker an der Charité in den Warnstreik treten. Der Ausstand soll bis Mittwochmorgen dauern. Die Leitung der landeseigenen Universitätsklinik hat Eingriffe verschoben, Notfälle aber werden versorgt. Die in Verdi organisierten Pflegekräfte fordern mehr Personal. Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) wird sich demnächst mit Vertretern der Gewerkschaft treffen. Es ist der dritte Arbeitskampf an Charité seit 2006. Dazu kommen zahlreiche Protestmärsche der Charité-Beschäftigten durch die Innenstadt. Der aktuelle Streik aber könnte Einfluss auf die Bundespolitik haben.

Wo an der Charité wird gestreikt?

Die nach der Wende aus den Universitätskliniken beider Berliner Stadthälften hervorgegangene Charité hat drei zentrale Campus: An diesen Standorten in Steglitz, Wedding und Mitte hat Verdi, die größte Gewerkschaft der Charité, jeweils Tausende zu diesem Warnstreik aufgerufen. Am Ausstand dürften sich Montag wie auch Dienstag bis zu 500 Schwestern, Pfleger und Techniker beteiligen.

Von den 4200 Schwestern und Pflegern der Charité sind klinikweit zwar nur wenige Mitglied der Gewerkschaft. Unter den Intensiv-Pflegekräften aber ist der Organisationsgrad höher. Bei Verdi geht man davon aus, dass 25 Prozent der Charité-Betten nicht belegt werden können. Das wären 750 Krankenbetten. Schwerpunkt wird das Virchow-Klinikum in Wedding.

Was bedeutet das für Patienten?

Die Charité-Spitze hat 400 Patienten informiert, dass ihre Operationen und Therapietermine verschoben werden. Dazu dürften kaum planbare Engpässe kommen. Notfälle, die Rettungswagen in keine andere Klinik bringen können, werden aber behandelt. Das sieht eine Notdienstvereinbarung zwischen der Streik- und der Klinikleitung vor.

Die Charité ist Europas größte Universitätsklinik und das einzige staatliche Hochschulkrankenhaus der Region: Täglich werden auch Brandenburger in der Charité versorgt. Brandenburg hat erst seit Kurzem eine kleine, private Hochschulklinik. Nicht alle ausgefallenen Operationen können unmittelbar nachgeholt werden, der Charité drohen durch entgangene Krankenkassengelder folglich Ausfälle in Millionenhöhe.

Was fordern die Streikenden?

Neu ist, dass nicht für mehr Lohn, sondern für mehr Personal gestreikt wird. Verdi fordert Mindestbesetzungen auf allen Stationen. In der Normalpflege soll demnach eine Schwester nicht mehr als fünf Patienten versorgen müssen. Derzeit liegt der Personalschlüssel im Schnitt eher bei eins zu zehn. Auf den Intensivstationen soll eine Pflegekraft künftig für zwei Patienten, nicht wie derzeit für drei bis vier zuständig sein.

Personalmangel, sagen Pflegekräfte, führe zu Fehlern, die auch den Patienten schadeten. Zudem fordert Verdi, dass nachts in jeder Station mehr als eine Fachkraft im Dienst ist. Bislang hat es Nachtschichten gegeben, in denen eine Schwester mit 25 Patienten allein gewesen ist. Die Gewerkschaft will, dass die Personalquoten im Landeskrankenhausplan verankert werden, der für 50 Berliner Kliniken gilt. Die Mindestbesetzungen sollen dann bundesweit geregelt werden.

Was sagt der Charité-Vorstand?

Charité-Direktor Ulrich Frei verweist auf das bundesweite Problem des Personalmangels in der Krankenhauspflege.
Charité-Direktor Ulrich Frei verweist auf das bundesweite Problem des Personalmangels in der Krankenhauspflege.

© dpa/Max Nikelski

Man habe Verständnis für den Wunsch nach mehr Personal, sagte Ulrich Frei, der Ärztliche Direktor der Charité. Der Arbeitsdruck nehme schon wegen des steigenden Durchschnittsalters der Patienten zu. Zuletzt habe man aber trotz knapper Kasse angeboten, Mindestquoten auf den Intensivstationen einzuführen. Die hätten zwar nicht ganz dem geforderten 1-zu-2-Schlüssel entsprochen, dennoch sind Frei zufolge bis zu 60 Zusatzkräfte eingestellt worden.

Quoten für Normalstationen aber seien nicht machbar. Dafür gebe es keine Rechtsgrundlage: Allgemeine Personalquoten müsse die Bundespolitik festlegen, die von Staat und Kassen an die Kliniken gezahlten Mittel sehen das nicht vor. Die Verdi-Forderungen belaufen sich umgerechnet auf 600 Zusatzpflegekräfte und somit auf rund 32 Millionen Euro Lohngesamtkosten im Jahr. Eine Vollzeit-Pflegekraft verdient mit Schichtzulagen rund 2800 Euro Monatsbrutto. Schwestern arbeiten wegen des Arbeitsdrucks aber oft in Teilzeit und erhalten entsprechend weniger.

Was geht das den Bund an?

Hintergrund des Intensivpflege-Angebotes ist, dass der für solche Richtlinien zuständige Gemeinsame Bundesausschuss aus Ärzte- und Krankenkassenvertretern für Sonderstationen bereits Personalvorgaben macht. In dem mächtigen Gremium fehlen aber Vertreter der Pflegeberufe, weshalb sich niemand um die Normalstationen – in denen die meisten Schwestern arbeiten – zu kümmern scheint. Vor allem die Kassen sind gegen Mindestquoten.

Kliniken werden wie folgt finanziert: Die Bundesländer bezahlen Bauten und Technik, die Krankenkassen übernehmen Personal und Medikamente. Allerdings sind gerade in Berlin die Landesmittel seit Jahren knapp. Die Kassen befürchten, Extrageld der Versicherungen würde für nötige Sanierungen statt für mehr Personal ausgegeben.

Die Bundesregierung, fordern die Streikenden, müsse Quoten also durch Gesetze festlegen. „Leider hat die von CDU und SPD eingesetzte Bund-Länder-Kommission zur Krankenhausreform die Chance verpasst, sofort entsprechende Korrekturen vorzunehmen“, sagte Kalle Kunkel von Verdi. Deshalb müsse man „die Planungskompetenzen der Länder so nutzen, dass Personalschlüssel als Qualitätsstandards etabliert werden“.

Was tut der Berliner Senat?

Gesundheitssenator Czaja hatte erklärt, „rechtssichere Personalschlüssel“ in den Krankenhausplan aufzunehmen. Czaja verweist damit auf die Gesetzeslage, demnach wären allgemeine, in allen Stationen aller Kliniken gültige Quoten nicht machbar – außer in der Intensivpflege. Auch in den Nachtschichten will Czaja mehr Personal. Kürzlich hatten 550 Intensiv-Fachkräfte an den Senator geschrieben, chronische „Unterbesetzung, Krankheitsausfälle, Überstunden“ seien Alltag.

Mit Blick auf den Krankenhausplan, den Czaja für die Berliner Kliniken erlässt, argumentieren Kassen- und Krankenhausvorstände wie folgt: Nicht jeder Patient brauche gleich viel Personal. Die Versorgung hänge auch von der verfügbaren Technik und Medizin ab. Weil die Charité eine Hochschulklinik ist, sitzt Wissenschaftssenatorin Sandra Scheeres (SPD) dem Aufsichtsrat vor. Sie sagte, eine „bessere Finanzierung der Personalausstattung durch den Bundesgesetzgeber“ sei nötig, die „Belastung der Pflegekräfte ist in allen Krankenhäusern sehr hoch. Wir brauchen möglichst schnell eine bundesweite Regelung“.

Was ist das Besondere an der Charité?

Charité-Direktor Frei hatte sich beklagt, dass sich Verdi die Klinik als Einzelhaus herausgepickt habe – obwohl es sich doch um ein Bundesproblem handele. Dabei forderte die Gewerkschaft zuletzt bei den privaten Helios-Kliniken ebenfalls mehr Personal. Allerdings hat Frei insofern recht, als die organisierten Pflegekräfte an der Charité als vergleichsweise aktiv gelten. Die Klinik ist eine Forschungsstätte und Großarbeitgeber, seit jeher wird innerhalb der Belegschaft rege debattiert.

Mehrere Gewerkschaften werben um die 16.000 Beschäftigten. Neben Pflegekräften, Technikern, Verwaltungsfachleuten arbeiten Biologen, Apotheker und 2000 Ärzte in der Klinik. Letztere vertritt der Marburger Bund, der Berliner Landeschef der Ärztegewerkschaft, Peter Bobbert, war selbst lange an der Charité: „Wir unterstützen die Bestrebungen, den Pflegestandard zu erhöhen. Dazu sind ausreichend Pflegekräfte nötig.“

Charité-Finanzchef Matthias Scheller erklärte zu den Gesamtforderungen mit Blick auf die Blockade im Bund zwar: „Dies wäre ein fünfter Schritt vor dem ersten.“ In den kommenden Tagen werden sich die Verdi-Verhandler und der Charité-Vorstand dennoch erneut treffen.

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