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Erinnerung in Messing. Für die Familie Habel gibt es drei Steine in der Heinrich-Heine-Straße.

© S. Pfllum

Holocaust-Gedenken in Berlin: Wie aus Stolpersteinen eine Freundschaft wuchs

Ein Berliner recherchiert die Geschichte einer jüdischen Familie zur NS-Zeit. Er initiierte Stolpersteine für sie. "Warum machst du das?", fragen die britischen Nachfahren.

An einem frühen Samstagnachmittag im März blitzt, gerade frisch verlegt, der Stolperstein für Samuel Bermann vor dem Häuserkomplex Heinrich-Heine-Straße 58-62 in der Sonne. Fünf Rosen und ein Windlicht rahmen die Daten ein, die an den Uhrmacher erinnern, der nach der Deportation 1942 in Riga von den Nazis ermordet wurde. Ob er sich in seinen dunkelsten Stunden vorstellen konnte, dass mehr als 75 Jahre später seine Nachfahren dort, wo er einst wohnte, an ihn denken würden?

Stolpersteine können zu Brücken werden. Das zeigt die Geschichte von Samuel Bermanns Enkeln Danny und Alex Habel und Sebastian Pflum. Sie begann vor vier Jahren, als Pflum recherchierte, wer aus seinem Kiez in Mitte deportiert und später ermordet wurde. Durch Zufall stieß er auf Verwandte von Klara Habel, die in der Marienstraße 27 wohnte und als junges Mädchen abtransportiert und erschossen wurde.

"Warum machst du das?"

Für Alex und Danny Habel war es zunächst schwer zu verstehen, dass ein junger Deutscher im Alter von Mitte 30 einen Stolperstein für ihre Tante initiierte. „Warum machst du das?“, fragten sie ihn. „Du gehörst doch gar nicht zur Tätergeneration.“ Zur Verlegung des Steins reisten 2014 Familienmitglieder aus aller Welt an, nicht nur aus England, auch aus Israel und Thailand.

Es war der Beginn einer ungewöhnlichen Freundschaft, der Besuche und Gegenbesuche folgten und die mittlerweile drei Generationen umfasst. Gemeinsam recherchierten sie die Schicksale weiterer Familienmitglieder, darunter auch das von Großvater Samuel Habel. Bis zu seiner endgültigen Deportation hatte man ihn zur Zwangsarbeit ins Zuchthaus gesteckt, auch nach der Entlassung immer wieder verhaftet.

Als Danny Habel zum ersten Mal im Jahr 2005 in Berlin war, hat er den Aufenthalt als sehr stressig empfunden. Er ging zum Alexanderplatz und stellte sich vor, wie es sich dort in den 30er Jahren angefühlt haben mag, verfolgt und in Todesgefahr. Seine Mutter Gretel konnte noch rechtzeitig aus Berlin entkommen, weil sie ein Visum für England bekam, um zu ihrem Verlobten Jacob zu reisen, der bereits seit 1939 dort lebte.

Die Großmutter mütterlicherseits, Chawa Bermann, konnte 1943 der Gestapo knapp entfliehen. Sie riss sich den gelben Stern von der Jacke und ging über Nacht zu Fuß nach Petershagen, wo sie im Wochenendhaus einer ehemaligen Arbeitskollegin unterkam. Felicitas Narloch, die damals ein Teenager war, gehörte zu den wenigen, die ihr halfen, im Versteck zu überleben. Nach dem Krieg ging sie nach England, sieben Jahre, bevor Danny Habel auf die Welt kam. In seiner Jugend sei über diese Dinge in der Familie nicht gesprochen worden, erinnert er sich.

Es entwickelte sich ein freundschaftliches Verhältnis

Erst spät begriffen die Familienmitglieder das ganze Ausmaß der Geschehnisse. Bei späteren Aufenthalten fühlte sich Danny Habel besser. Seit 2014 hatte sich ein freundschaftliches Verhältnis entwickelt mit Sebastian Pflum, der die Geschichte der Familie zunächst nur für die Stolpersteine recherchiert hatte.

Für Danny Habel fühlt es sich trotzdem noch seltsam an, wenn er durch die Hackeschen Höfe geht und sich vorstellt, wie seine Großeltern da lang gegangen sind. „Es hätte meine Heimat sein können und konnte es gleichzeitig niemals sein“, beschreibt er die ambivalenten Gefühle, mit denen er kämpft. Am Tag der Verlegung des Stolpersteins für den Großvater, gedenkt die Familie mit neuen Steinen auch der Verwandten Dora Habel, Jean Habel und Gershon Habel in der Torstraße 83.

Seine Eltern hat er immer als „sehr deutsch“ empfunden, ihre Sprache, ihre Kultur: „Sie fühlten deutsch.“ In England kenne die Aktion mit den Stolpersteinen kein Mensch. Aber sie sei gut, um zu verhindern, dass Menschen vergessen werden. Danny Habels neun Jahre älterer Bruder Alex begann erst nach der Pensionierung, sich intensiv mit der Familiengeschichte zu befassen und sie zu recherchieren. Er erinnert daran, dass Heinrich Heine, einer der größten deutschen Dichter und auch ein Jude, vorausgesagt hatte, dass man dort, wo man Bücher verbrennt, am Ende auch Menschen verbrennt.

Auch der britische Botschafter Sir Sebastian Wood nahm teil am Gedenken in der Heinrich-Heine-Straße. Geplant haben die Brüder die Zeremonie am früheren Wohnort des Großvaters mit Sebastian Pflum, der, wie Danny Habel sagt, durch die vielen Besuche „inzwischen ein Teil der Familie geworden ist.“

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