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Noch wächst das Unkraut, hoppeln die Hasen, in zehn Jahren sollen vom Bahnhof Wernerwerk wieder Züge fahren. zu sehen.

© Paul Zinken/dpa

Stillgelegte S-Bahntrasse: In zehn Jahren soll die Siemensbahn wieder rollen

Am Freitag unterzeichneten Berlins Regierender Bürgermeister Müller und Bahn-Infrastrukturchef Pofalla eine Finanzierungsvereinbarung. Ab 2021 kommen die ersten Bagger.

Der Regierende sitzt im Dreck. Unkraut drückt sich aus den Betonritzen, Staub liegt in der Luft, das Dach ist morsch, aber Michael Müller ist happy an diesem Freitagmittag. Hallöchen aus der Ruine des S-Bahnhofs Wernerwerk!

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Die letzte S-Bahn hielt hier oben am Bahnsteig 1980. Da stand noch die Berliner Mauer, der Regierende hieß Dietrich Stobbe, Hertha BSC hatte fulminante Europapokal-Abende (Halbfinale!) hinter sich und Falco sollte bald in der Eissporthalle an der Jafféstraße singen, aber dazu gleich mehr.

„Das ist heute ein wichtiger Termin für Berlin, ein Schritt in die Zukunft“, hatte der Regierende eben noch gesagt, unten im stickigen Zelt unterm löchrigen S-Bahnhof. „Es geht heute um ein neues Kapitel der Berliner Industriegeschichte.“

Kurz danach sitzt Michael Müller oben an diesem Tisch mit dem weißem Deckchen auf dem S-Bahnsteig und grinst breiter als der Herr neben ihm. Der heißt Ronald Pofalla und ist Infrastrukturchef der Bahn. Beide unterzeichnen das Papier, das den Titel „Finanzierung Planungsleistung Siemensbahn“ trägt. Heißt: Die machen ernst mit dem Wiederaufbau der Siemensbahn. Den ersten 2,3-Millionen-Betrag für die Planung zahlt das Land. Danach: Eis für alle! Müller schielt lieber zur Salz-Brezel.

1929 wurde die Siemensbahn eröffnet

Die Siemensbahn in Zahlen, bitteschön: 4 Kilometer, 3 S-Bahnhöfe, 2 neue Brücken, 1 Anschluss an den S-Bahnring. Die Züge brachten einst die Arbeiter über die Spree zu den Siemensfabriken. Und ab 2029 – 100 Jahre nach Inbetriebnahme – sollen hier wieder Züge vom Hauptbahnhof nach Siemensstadt rollen, vielleicht auch zwei Jahre früher. Siemens investiert 600 Millionen in sein neues Viertel: den Siemens-Campus. Forschung, Wohnung, Pipapo. Dafür wollen sie aber einen flotten S-Bahnanschluss zum Hauptbahnhof und weiter zum BER.

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Die Zeitreise beginnt an diesem Tag aber nicht im Jahr 1929, als die Strecke eröffnet worden ist, sondern zwei Stunden vor Müllers Unterschrift eine Station weiter – am verwilderten S-Bahnhof Siemensstadt. Die Berlin-Zentrale von Siemens mit dem tollen 15-Tonnen-Kunstwerk von Daniel Libeskind steht ums Eck, der S-Bahnhof bricht bald erschöpft zusammen.

90.000 Menschen haben früher bei Siemens gerackert

„Wir können heute noch mal den Berliner Schrabbel-Charme sehen. Denn wenn wir anfangen, bleibt hier nicht mehr viel stehen“, sagt Berlins Bahnchef Alexander Kaczmarek und schließt die olle Kneipe unterm S-Bahnhof auf. „Kindl“-Bierdeckel liegen im Staub, Unkraut wächst durchs Fenster, an der Wand hängt ein Falco-Poster von 1986 – „live in der Eissporthalle“. Die ist schon lange abgerissen. Ist also ein paar Tage her, dass hier Pils aus dem Hahn floss.

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90.000 Leute haben hier früher bei Siemens gerackert, draußen im Berliner Industrieviertel, das zu Spandau gehört. „Die Züge fuhren über den Ring nach Prenzlauer Berg und weiter nach Süden, alles alte Arbeiterkieze“, erzählt Kaczmarek und witzelt: „Da wohnen ja heute die Schwaben.“

Nach dem S-Bahn-Streik 1980 war Schluss

In den 70ern ist er als Kind selbst noch mit der Siemensbahn gefahren, aber da war schon nichts mehr los in den Zügen, Siemens hatte sich nach dem Krieg rar gemacht in Berlin, die S-Bahn gehörte längst der DDR-Reichsbahn und war im Westen Berlins verpönt. Nach dem S-Bahn-Streik 1980 war Schluss, die Siemensbahn legte sich für ein Nickerchen 40 Jahre schlafen. Jetzt erwacht sie und mit ihr der Kiez.

[Wird die S-Bahnstrecke weiter nach Hakenfelde verlängert? Was die Bahn sagt, was der Senat plant, was aus dem S-Bahnhof Gartenfeld wird - steht im nächsten Spandau-Newsletter Leute.tagesspiegel.de]

Die Siemensbahn bleibt erst mal ein Eisenbahn-Idyll mit Urwald, einer dieser lost Places, bis vielleicht 2021 die ersten Bagger kommen. Die 800 Meter Stahl-Viadukte sollen gerettet werden - „sieht aus wie die Hochbahn in New York“, sagt Kaczmarek. Da hoppelt ein Häschen durchs Gebüsch, vielleicht war es auch eine Ratte. Dauert halt noch, bis hier die neue Siemensstadt 2.0 entsteht.

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