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Update

Stille Community: Wie Vietnamesen in Berlin leben

Der Brand im Dong Xuan Center ist in weiten Teilen der Stadt zu sehen. Unsere Autoren waren vor knapp drei Jahren vor Ort. Lesen Sie die Reportage über das Mini-Hanoi hier noch einmal nach.

Es riecht nach Pho Ga. Hühnersuppe. Und Plastik. Plastikblumen, Plastikspielzeug, Plastikfingernägel. Ein kleiner Roboter im Regal tanzt den Gangnam Style. Mitten in Lichtenberg haben vietnamesische Händler im Dong Xuan Center eine Art Mini-Hanoi geschaffen. Voller Kitsch und Klischees und voller authentischer Spuren vietnamesischer Kultur. 20 000 Menschen mit vietnamesischen Wurzeln leben und arbeiten in Berlin. In den Markthallen in der Herzbergstraße haben sie ein Stück Heimat in der Fremde gefunden. Und die Lichtenberger einen exotischen Ausflugspunkt zwischen Plattenbauten. Doch das bunte Treiben täuscht über die bewegte Geschichte einer Community hinweg, die kaum weiter auffällt und nun auch um ihre kulturelle Identität kämpft.

In den langen Gängen der Markthalle sitzen einige Händler und rauchen. Unaufgeregt, mit wenig Interesse an Öffentlichkeit. „Der Chef kommt morgen wieder“. So endet fast jedes Gespräch freundlich, aber bestimmt. Auf Laufkundschaft sind sie nicht angewiesen. Das Geld wird im Großhandel gemacht. Was hier verkauft wird, landet in den unzähligen kleinen Läden und Restaurants quer über die Stadt verteilt. Reis im 50-KiloSack. Neue Tische fürs Nagelstudio, Hemden im Zehnerpack, vietnamesische Zeitschriften und CDs von Musikern, die in Deutschland wohl nie ihren Durchbruch feiern werden. Die vietnamesische Community ist divers.

Der Vietnamkrieg hat Gräben hinterlassen - auch in Berlin

„Das ist historisch gewachsen“, sagt die Berliner Integrationsbeauftragte Monika Lüke. „Der Vietnamkrieg hat tiefe Gräben hinterlassen.“ Noch immer sind sie nicht überwunden. Als 1975 Nord- und Süd-Vietnam zur Sozialistischen Republik Vietnam vereinigt wurden, rekrutierte vor allem die DDR Vertragsarbeiter, die auch in Berlin in Fabriken schufteten. Vietnam brauchte Devisen, die DDR billige Arbeiter. Bis zur Wende wuchs ihre Zahl auf 60 000 bundesweit. Eine Integration der Arbeiter war niemals vorgesehen. Kaum Sprachkurse, keine Ausbildung. Auch im Dong Xuan Center merkt man die Spätfolgen davon noch deutlich. Viele der Älteren sprechen nur gebrochen Deutsch. Nach Westdeutschland und West-Berlin flüchteten hingegen jene Südvietnamesen, die von den siegreichen Kommunisten aus dem Norden dann Repressalien befürchten mussten. Als Asylbewerber anerkannt, bekamen sie Sprachförderung und Arbeitserlaubnis. Eine Studie zur vietnamesischen Diaspora in Berlin im Auftrag des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit kam deshalb zu dem Schluss, diese Zuwanderer hätten sich „überwiegend reibungslos integriert“. Sie machen in Berlin etwa 25 Prozent der Vietnamesen aus. Der Rest hatte nach dem Zusammenbruch der DDR lange keinen Aufenthaltsstatus, viele landeten so beim Zigarettenschmuggel, der noch heute zu Unrecht das Bild der Community prägt.

Der illegale Zigarettenhandel geht seit Jahren zurück

Kriminaloberrat Mario Hein arbeitet im zuständigen Dezernat beim LKA für illegalen Zigarettenhandel. In den vergangenen vier Jahren hätten sich die Taten, bei denen Vietnamesen als Tatverdächtige registriert wurden, halbiert, erzählt er. Ein Teil der Vietnamesen verdiene immer noch Geld damit. Doch die Tendenz gehe dahin, „sich in legalen Geschäftsfeldern zu betätigen“, sagt Hein.

Fleißig seien Vietnamesen und ehrgeizig, bemerkt der Kriminaloberrat noch. Ebenfalls Klischees, die vielen Asiaten nachgesagt werden. Auch deswegen steckt die Community in einem Dilemma. Will sie doch einerseits möglichst unbehelligt in Deutschland leben, andererseits die eigene Kultur pflegen, ohne im eurozentristischen Asienbild unterzugehen. Möglichst unauffällig sein, möglichst wenig Lärm machen. Auch dieses Verhalten, das den Vietnamesen allzu oft zugeschrieben wird, hat wohl ebenfalls historische und für Deutschland unrühmliche Gründe: „Gerade in den 90er Jahren gab es viel Rassismus“, meint Lüke. Eine Erfahrung die nach der Wende viele Zuwanderer hätten machen müssen und die sie ihren Kindern gerne ersparen wollten – durch Zurückhaltung.

Kinder soll wieder Vietnamesisch lernen

Doch gerade die Kinder sind bereits bestens integriert. So gut, dass sie die Sprache ihrer Mütter gar nicht mehr beherrschen. Am Barnim-Gymnasium in Lichtenberg soll es deshalb im nächsten Jahr Vietnamesisch als Wahlpflichtfach geben. „Wir wollen sukzessive Vietnamesisch auf den Weg bringen“, erzählt Schulleiter Detlef Schmidt-Ihnen. „Nicht nur die Sprache, auch die Kultur.“ Eine Arbeitsgruppe gebe es schon, momentan werde ein Lehrplan entwickelt. 245 von 1080 seiner Schüler haben vietnamesische Wurzeln. Vorbild soll die Reinickendorfer Bettina-von-Arnim-Sekundarschule sein. Dort gibt es Chinesisch als Kulturfach. Andere Sekundarschulen haben bereits angekündigt, nachzuziehen und Vietnamesisch als Arbeitsgemeinschaft anzubieten. Die Vietnamesische Botschaft unterstützt den Kurs, wünscht sich das Fach aber eigentlich als zweite Fremdsprache. „So weit ist es noch nicht“, sagt Schmidt-Ihnen. Das alte Lied vom „fleißigen Asiaten“ kann auch er singen. Die Schüler seien alle im oberen Leistungsbereich.

Sozialarbeiter kämpfen um finanzielle Mittel

Sozialarbeiter Phan Huy Thao vom Integrationsverein „Reistrommel“ ist da kritischer. Es gehe bergab mit dem Bildungsstand in der Community, erzählt er. Statt der ehemaligen Vertragsarbeiter kämen nun vor allem Leute vom Land, die vor der Armut und der schlechten Bildung aus den Dörfern in ihrer Heimat flüchteten und über Eheschließungen nach Deutschland kämen. Es gibt also viel zu tun für die Integrationsvereine. „Aber eine große Herausforderung besteht darin, ausreichende finanzielle Mittel zu finden“, sagt Lüke. Wer nicht auffällt, geht unter? Im Büro der Integrationsbeauftragten machen Vietnamesen jedenfalls nur einen Bruchteil der Arbeit aus.

Im Dong Xuan Center müssen zunächst die Berliner Besucher lernen, sich zu integrieren. „Wir waren einfach neugierig“, sagt eine Frau in Jogginghose. „Schon verrückt alles hier.“ Doch die Umgewöhnung wird ihr leicht gemacht. Neben dem Lebensmittelladen voller Garnelen, exotischer Früchte und Reisschnaps steht auch eine Imbissbude. Die vietnamesische Besitzerin wirbt mit „Original Thüringer Bratwurst“.

Der Text erschien ursprünglich am 16.09. 2013. Alle aktuellen Entwicklungen über den Brand im Dong Xuan Center können Sie, liebe Leserinnen und Leser, hier lesen.

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