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Der Bezirk Steglitz-Zehlendorf und seine sieben Ortsteile. Hätten Sie alle zusammenbekommen?

© Gitta Pieper-Meyer

Steglitz-Zehlendorf: Wie geht's dir, Bezirk?

Sieben Thesen zum Stand der Dinge in Steglitz-Zehlendorf - als Start einer Debatte. Was meinen Sie? Was läuft gut im Bezirk, was muss verbessert werden?

Die meisten Berlinerinnen und Berliner denken bei Steglitz-Zehlendorf wohl an Einkaufen in der Schloßstraße, das Strandbad Wannsee und den Schlachtensee, die Pfaueninsel und Spaziergänge durch den Grunewald. Zum Südwesten gehören aber auch marode Schulgebäude, Mauscheleien im CDU-Kreisverband und heftige Debatten um Spiegelwand und Treitschkestraße. Wie geht es Steglitz-Zehlendorf im Bundestagswahljahr? Eine Bestandsaufnahme in sieben Thesen, die eine Debatte im Bezirk in Gang bringen sollen.

Marode Schulen und Schlaglöcher: Steglitz-Zehlendorf sollte sich schämen, es ist doch ein reicher Bezirk!

Ein Blick auf die Villen in Dahlem, Lichterfelde-West und auf Schwanenwerder beweist es: Nicht ganz wenigen Leuten in Steglitz-Zehlendorf geht es finanziell richtig gut. Die 304.086 Menschen, die im Bezirk Ende 2016 lebten, erwirtschaften das höchste durchschnittliche Nettoeinkommen je Haushalt in Berlin - 2050 Euro pro Monat. Zum Vergleich: In Neukölln sind es 1550 Euro, in Stuttgart allerdings 3350 Euro. Doch sagt der persönliche Reichtum der Bürger fast nichts über den Haushalt eines Berliner Bezirks aus. Denn alle Steuern Berliner Bürger gehen entweder an das Land Berlin oder die Bundesregierung. Die Bezirke sind offiziell Verwaltungseinheiten des Landes und werden aus dem Landeshaushalt finanziert. Eigene Einnahmen haben die Bezirke nur wenige. Wer zum Beispiel eine Geldbuße entrichten muss, weil er mit seinem nicht angeleinten Hund am Schlachtensee unterwegs war, trägt zu den Einnahmen des Bezirks bei. Für 2018 erwartet das Bezirksamt Einnahmen durch solche Fehltritte in Höhe von 2,5 Millionen Euro, durch Geldbußen und -strafen sowie die Verwarnungsgelder für Falschparker. Doch das Gros der 585 Millionen Euro für den Bezirkshaushalt 2018 wird vom Abgeordnetenhaus bewilligt. Fazit: Manche Steglitz-Zehlendorfer sind reich, die Bezirkskasse profitiert davon allerdings nicht.

Die Bezirkspolitiker haben schlecht gewirtschaftet und die Schulen verkommen lassen

Das sei nicht so, sagt Bezirksbürgermeisterin Cerstin Richter-Kotowski (CDU), der Bezirk habe so gut es ging in seine Schulen investiert. Es sei jedoch stetig zu wenig Geld vom Senat für die bauliche Unterhaltung geflossen. Baustadträtin Maren Schellenberg von den Grünen, die mit der CDU eine Zählgemeinschaft in der Bezirksverordnetenversammlung bilden, stimmt zu: „Die finanzielle Decke war und ist immer noch einfach zu kurz.“ Sie ist aber auch selbstkritisch, vielleicht hätte man in der Vergangenheit das Baugeld nicht so sehr auf einzelne Projekte konzentrieren sollen, sagt Schellenberg.

Dem Bezirk fehlen die Visionen

Ideenreichtum beweist der Fraktionsvorsitzende der AfD in der Bezirksverordnetenversammlung, Peer Döhnert: „2050 ist Steglitz-Zehlendorf ein freier Verwaltungsbezirk mit voller Autonomie im fusionierten Bundesland Brandenburg-Preußen.“ Kay Ehrhardt, Fraktionsvorsitzender der FDP, sieht in zwanzig Jahren einen „wachsenden Bezirk mit mehr jungen Familien“, eine „digitale Verwaltung“ und eine „andere Nahversorgung, einen anderen Nahverkehr“ für eine älter werdende Bevölkerung. „Es wäre fantastisch, wenn 2030 die Gebäude in einem funktionstüchtigen Zustand wären“ - und damit meint Jugendstadträtin Carolina Böhm (SPD) alle öffentlichen Gebäude, von den Schulen bis zu den Rathäusern. Für Torsten Hippe, Fraktionschef der CDU, bedarf es „keiner großen Änderungen, wo vieles gut ist“. Es stehe für die CDU-Fraktion im Vordergrund, die „erarbeiteten Vorteile in unserer schönen Naturlage“ zu erhalten und „sicherlich punktuell auch zu verbessern“.

„An der Gesamtkonzeption des Bezirks wäre aus meiner Sicht nicht großartig etwas zu ändern“, sekundiert die Bezirksbürgermeisterin ihrem Parteikollegen. Wichtig sei ihr, „dass Wohnen, Leben, Arbeiten in den Kiezen weiterhin stattfindet“ und diese besondere Mischung erhalten bleibe. Die Baustadträtin von den Grünen fasst es so zusammen: „Wir haben keinen großen Veränderungsdruck, wir haben nur einen Verbesserungsdruck.“ Die Mobilität im Bezirk sollte nachhaltiger, das Radroutennetz ausgebaut und der Bezirk besser an den inneren S-Bahn-Ring angebunden werden.

Wo keine Visionen in Sicht sind: für die Nachnutzungen der Museen Dahlem und des Alliiertenmuseums, für die Ordnungsamt-App, für den Schutz von Mietern, für die Weiterentwicklung des Gewerbegebiets Goerzallee und die Ansiedlung von Kultur- und Kreativwirtschaft im Bezirk. Zukunftsorte und -projekte sind: das Gründerzentrum Fubic an der Fabeckstraße, Lichterfelde-Süd, der zweite Ausgang am S-Bahnhof Zehlendorf und das erste Berliner Familienbüro.

Die Menschen im Bezirk werden älter, doch beim Umgang damit, sieht der Bezirk alt aus

Bei Konzepten zum Umgang mit dem demografischen Wandel sieht Maren Schellenberg noch Luft nach oben: „Vielleicht fehlen uns da wirklich Visionen.“ Laut dem vom Bezirksamt publizierten „Bericht zur Situation älterer Menschen in Steglitz-Zehlendorf“ aus dem Jahr 2010 wird sich die Anzahl der Bürgerinnen und Bürger über 80 Jahre bis 2030 verdoppelt haben. Ein Umstand, auf den auch die Seniorenvertretung seit Jahren immer wieder hinweist. Statt als Vertreter der Menschen ab 65 Jahre mit Fachleuten über Konzepten und Modellprojekten zu brüten, müssen die Seniorenvertreter jedoch um mehr öffentliche Toiletten und einen Internetzugang in ihrem Büro kämpfen. Zur Seniorenpolitik sagt der Liberale Kay Ehrhardt: „Hier passiert leider nichts.“ Was dann doch nicht ganz stimmt, denn 2015 eröffnete die Charité am Campus Benjamin Franklin eine der ersten Kliniken für Geriatrie an einem Universitätskrankenhaus. Von einer zweiten Stroke Unit für Schlaganfallpatienten in der Region Wannsee ist aber seit sieben Jahren nichts mehr zu hören.

Die Bezirkspolitik ist noch nicht im normalen Arbeitsmodus angekommen...

Am deutlichsten wird es bei der CDU: Die Christdemokraten haben 2016 mit der Bürgermeisterkandidatin Cerstin Richter-Kotowski und unter dem langjährigen Fraktionsvorsitzenden Torsten Hippe ihr schlechtestes Ergebnis seit 20 Jahren bei einer Wahl zur Bezirksverordnetenversammlung kassiert. Nur 28,4 Prozent der Stimmen konnten sie erreichen, ein Verlust im Vergleich zu 2011 von elf Prozent; sieben Bezirksverordnete weniger und die Mehrheit im Bezirksamt war auch dahin. Die Aufarbeitung der letzten Wahl scheint in den elf Ortsverbänden noch anzudauern; das zeigt auch der interne Wahlskandal, bei dem der Noch-Abgeordnete Karl-Georg Wellmann mit dem Kreisvorsitzenden Thomas Heilmann um das als sicher geltende Direktmandat für den Bundestag stritt. Auch Bündnis 90/Die Grünen mussten sich neu sortieren: Bernd Steinhoff und Tonka Wojahn bilden die neue Doppelspitze und leiten sehr leise ein um zwei Mandate geschrumpftes, elfköpfiges Team. Über die Hälfte der grünen Fraktionäre sind neu und mussten sich erst mit der BVV-Arbeit vertraut machen. Eine neue Fraktionsführung hat auch die SPD: Volker Semler hat den Fraktionsvorsitz von Norbert Buchta übernommen, der den Stuhl in der ersten Reihe wohl nicht freiwillig getauscht hat. Die FDP (5 Mandate) ist nach fünf Jahren Pause wieder vertreten, Linke (3) und AfD (6) sind zum ersten Mal in der BVV.

... und beschäftigt sich und die Verwaltung mit einer Unmenge an Anfragen und Anträgen

Sechs Fraktionen wollen bezirkspolitische Duftmarken setzen. Maren Schellenberg sagt: „Diese Antrags- und Anfragenflut ist für die Verwaltung extrem anstrengend. Die Ausschüsse sind völlig überfrachtet.“ Bearbeitung, Beantwortung und Ausschussvorbereitungen binden die Verwaltungsmitarbeiter und „kosten einfach Zeit“. Andere Arbeit bliebe liegen. Die BVV-Datenbank belegt: Die Bezirksverordneten sind derzeit hyperaktiv. Stellten die Fraktionen in den ersten zehn Monaten der letzten Wahlperiode gerade einmal zwei Große Anfragen, sind es jetzt schon 21. Ähnlich ist es bei den schriftlichen Anfragen: Gerade wurde die einhundertste gestellt. Für die gleiche Menge benötigte die BVV von 2011 volle 20 Monate. Cerstin Richter-Kotowski gibt sich verständnisvoll: „Das sind alles neue Leute, die sind jetzt voll dabei, haben gute Ideen und wollen sich einbringen. Das reglementiert sich meistens im Laufe der Zeit.“

Der Bezirk ist bunt - durch seine Bürger

Es ist ein Glück: Die Steglitz-Zehlendorfer sind ein aktives Völkchen. Hunderte Bürgerinnen und Bürger engagieren sich im Willkommensbündnis Steglitz-Zehlendorf, das zu einer großen Hilfe und wichtigen Stimme für Geflüchtete geworden ist. Bürger helfen bei der Sanierung der Matthäuskirche in Steglitz wie bei der Alten Dorfkirche in Zehlendorf. Eine engagierte Bürgerinitiative begleitet das Bauvorhaben in Lichterfelde-Süd; Eltern, Erzieher und Lehrer suchen an Schulen nach Lösungen für Verkehrsprobleme. Künstlerinnen und Künstler erweitern unseren Horizont, sei es im alten Frauenknast in der Söhtstraße 7, in der Treppenhausgalerie, durch den Verein Kunstraum.Steglitz oder durch das Kulturamt in der Schwartz'schen Villa. Im Bezirk werden regionale, nationale und internationale Sportturniere ausgerichtet. Jugendliche und Kinder lernen in den vielen Sportvereinen Teamgeist und Fairness und dass es sich gut anfühlt, sich zu bewegen - vom Fechten über Fußball bis zum Tanzen und Windsurfen. Initiativen von Bürgern und Gewerbetreibenden bringen manchen Kiez wieder in Schwung. Ein Beweis für das Engagement der Menschen im Südwesten waren auch die beiden Aktionstage für ein schöneres Berlin am 8. und 9. September.

Boris Buchholz schreibt immer donnerstags den bezirklichen Leute-Newsletter des Tagesspiegels für Steglitz-Zehlendorf, den Sie hier kostenlos bestellen können. Was denken Sie über seine sieben Thesen? Hat er Recht? Wo möchten Sie widersprechen? Haben Sie eigene Thesen zum Stand der Dinge im Bezirk? Was läuft gut, was muss verbessert werden? Schreiben Sie an leute-b.buchholz@tagesspiegel.de oder nutzen Sie die Kommentarfunktion etwas weiter unten auf dieser Seite, um sich in die Diskussion einzuschalten.

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