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Die Friedrichstraße gehört bisher vor allem den Autofahrern. Das soll sich ändern - zumindest versuchsweise.

© Arne Immanuel Bänsch/dpa

Stadtverkehr der Zukunft: Berlin erprobt im Sommer autofreie Straßen

Die Friedrichstraße soll teilweise zur Fußgängerzone werden. Auch über die bei Rasern beliebte Tauentzienstraße wird wieder diskutiert. Doch zu sehen ist wenig.

Ideen für die autofreie Stadt gibt es seit Jahren, ja Jahrzehnten – doch konkrete Beispiele für die Vision einer Stadt ohne Motoren finden sich in Berlin nur sehr wenige. In diesem Sommer allerdings wird es zumindest ein bisschen konkret: Die Friedrichstraße soll zur Fußgängerzone werden und zwar möglicherweise nicht nur für einige Wochenenden, sondern für zwei bis drei Wochen.

Auch in der Schönhauser Allee soll am nächsten Sonnabend eine Aktion stattfinden. Und in dieser Woche kam ein weiteres Thema wieder auf den Tisch, über das seit Jahren diskutiert wird: der Plan, Autos komplett aus der Tauentzienstraße zu verbannen – und zwar dauerhaft.

Es ging vor allem um Verkehrsthemen, als die Grünen mit Gästen am Mittwochabend in ihrer Bundesgeschäftsstelle die Halbzeitbilanz ihres Wirkens im Berliner Senat diskutierten – und Senatorin Regine Günther (parteilos, für Grüne) bekam viel Ärger ab, weil die propagierte Verkehrswende im Alltag noch immer kaum zu spüren ist. So macht beispielsweise die Tauentzienstraße derzeit eher Schlagzeilen, weil Männer mit dicken Autos sie als Raserstrecke benutzen, von Verkehrsberuhigung keine Spur.

Der Straßenzug Kurfürstendamm und Tauentzienstraße ist nach Einschätzung der Polizei die beliebteste Strecke für Raser und sogenannte „Autoposer“. 2016 war ein Mensch bei einem illegalen Rennen am Tauentzien getötet worden, die beiden Raser sind wegen Mordes verurteilt worden.

Dabei wird der Plan, die Tauentzienstraße zu beruhigen, seit Jahren diskutiert – passiert ist nichts. Die „Berliner Morgenpost“ zitierte am Freitag Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese mit der Ankündigung, dass die Einkaufsstraße schon 2020 gesperrt werden solle. Hintergrund ist, dass die Arbeitsgemeinschaft City, der Zusammenschluss der Einzelhändler in der City West, sich für mehr Aufenthaltsqualität in dieser Haupteinkaufsstraße einsetzt. Der Zeitrahmen sei allerdings keineswegs ausgemacht, sagte Klaus-Jürgen Meier, Vorstandsvorsitzender der AG City, dem Tagesspiegel. „Es gibt viele Überlegungen.“ Der Sprecher der AG City, Gottfried Kupsch, sagt: Nur die Straße für Autos zu sperren, sei viel zu wenig. Man müsse sich auch über die „lauten und abgasintensiven BVG-Busse“ unterhalten.

Jan Thomsen, Sprecher der Verkehrsverwaltung, teilte auf Anfrage mit: „Konkrete Verabredungen zur Rolle der Senatsverwaltung wurden nicht getroffen.“ Allerdings ließ die Senatorin selbst später wissen, dass sie die Initiative „nach Kräften unterstützen“ werde. „Die Einsicht, dass zentrale Orte der Stadt wie die Tauentzienstraße oder der Ku’damm nur mit weniger Autoverkehr attraktiv bleiben, setzt sich immer weiter durch“, sagte Günther.

Das Datum 2020 sei ein Ziel

Die AG City arbeitet seit Längerem an Konzepten, um die Straße attraktiver zu machen. „Wir müssen mehr Aufenthaltsqualität schaffen“, sagte Meyer, die Oberfläche müsse dem Bürger gehören. Wie allerdings Lieferverkehr und autofahrende Kunden dann in die City kommen könnten, das müsse zunächst geklärt werden.

„Wir fangen gerade an zu diskutieren“, sagt auch Oliver Schruoffeneger, Stadtrat für Stadtentwicklung in Charlottenburg-Wilmersdorf. Das Datum 2020 sei ein Ziel, „man muss sich ja mal Ziele setzen“. Für eine Sperrung käme der Abschnitt bis zur Joachimsthaler Straße oder auch bis zur Uhlandstraße infrage. Die Gehwege seien zu schmal, das Gedränge vor allem an Einkaufssonnabenden zu groß. Die Gefahr sei, dass Kunden deswegen lieber online einkauften, sagte Schruoffeneger.

Die Friedrichstraße als Probeweg

Konkret erprobt werden soll das neue Flaniergefühl der Zukunft in den Sommerferien in der Friedrichstraße. Auch darum ging es in dieser Woche bei den Grünen, ein Teilnehmer der Veranstaltung berichtete hinterher erfreut, Verkehrsstaatssekretär Ingmar Streese habe die letzten zwei bis drei Wochen der Sommerferien für den Versuch in Aussicht gestellt, Autos komplett aus der Friedrichstraße zu verbannen. Bisher war nur von den Wochenenden die Rede gewesen.

Doch auch hier relativierte die Verkehrsverwaltung im Nachhinein auf Nachfrage, es sei „noch offen, ob sich eine Planung für einzelne Tage, Wochenenden oder eine längere zusammenhängende Phase ergeben wird“. Die Gespräche mit den Gewerbetreibenden und allen beteiligten Behörden über die mögliche Ausgestaltung einer Fußgängerzone liefen noch.

Für die Friedrichstraße ist – aus Sicht der Befürworter – die mehrwöchige Variante die reizvollere. Sie verweisen auf Erfahrungen aus anderen Städten: Sofern während der Sperrung auch ein Begleitprogramm etwa durch Gastronomie möglich sei, werde der Gewinn an Lebensqualität so groß, dass es kein Zurück mehr zum Dauerstau gebe, an dessen Rändern sich Fußgänger und Radfahrer durch die Abgaswolken drängeln.

"Stadt für Menschen" drängt zum Handeln

Bei dem Thema sitzt der Verwaltung die Initiative „Stadt für Menschen“ im Nacken, in der sich Grüne und externe Fachleute zusammengetan haben. Der Erfolg der Premiere – eine zweistündige Sperrung in Höhe Gendarmenmarkt an einem Samstag im vergangenen Dezember – hat sie ermutigt. Einen im Frühjahr geplanten „Tag des Lesens“ auf der Straße blies die Initiative ab, weil sie im Senat Bewegung sah. „Sobald die Umsetzung hakt, werden wir wieder aktiv“, kündigt ein Beteiligter an. Ideal geeignet sei der Bereich zwischen Französischer und Kronenstraße, weil dann die Parkhäuser erreichbar blieben. Die IHK fordert dagegen zunächst ein Gesamtkonzept und warnt: „Schnellschüsse gehen meist daneben.“

Die Initiative „Stadt für Menschen“ will perspektivisch auch den Boulevard Unter den Linden ins Visier nehmen, dessen fußgängerfreundliche Umgestaltung die Verwaltung auf unbestimmte Zeit vertagt hat. „Es wäre absurd, wenn das Humboldt Forum eröffnet wird und die Besucher dort eine sechsspurige Straße ertragen müssten“, sagt Matthias Dittmar von der Landesarbeitsgemeinschaft Mobilität der Grünen. Beim Senat heißt es, die Pläne seien weiter aktuell, aber komplexer als im Fall der Friedrichstraße.

Am 15. Juni wird demonstriert

Das gilt auch für die Schönhauser Allee. Dort haben verschiedene Vereine und die Pankower Grünen beschlossen, den jährlichen Tag der Verkehrssicherheit am kommenden Sonnabend mit einer temporären Fußgängerzone zu begehen: Für den 15. Juni haben sie eine Demo angemeldet und ein dreistündiges Straßenfest geplant – auf der östlichen Straßenseite zwischen Stargarder und Wichertstraße, also vor den Schönhauser Allee Arcaden.

Zum Auftakt soll mit Trauermusik und 21 weißen Luftballons der 21 Fußgänger und Radfahrer gedacht werden, die im vergangenen Jahr im Berliner Straßenverkehr getötet wurden. Dann wird die Straße symbolisch in Besitz genommen – mit provisorischem geschütztem Radweg, wie ihn die Initiatoren gern dauerhaft dort hätten, wo heute Autos parken. Die Radfahrer werden auf einem schmalen Streifen über den Gehweg geführt, was ständige Konflikte mit den Fußgängern provoziert. „Den Parkstreifen in eine Fahrradspur umzufunktionieren, ist unsere Minimalforderung“, sagt Dittmer. Konsequenter fände er, auch das Straßenbahngleis von Autos freizuhalten, damit die Tram nicht im Stau steckt.

Fragebögen für die Wünsche der Anwohner

Während der Demo in der temporären Fußgängerzone sollen die Bahnen weiterrollen, sagt Dittmer. Während für die Kinder Spielmöglichkeiten geschaffen werden, können die Erwachsenen Diskussionsrunden verfolgen – avisiert sind unter anderem Bezirksbürgermeister Sören Benn (Linke) und Baustadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) sowie dessen prominenter Amtsvorgänger Jens-Holger Kirchner (Grüne). Auch der Architekt Oliver Schwedes, der einen möglichen Umbau der Schönhauser entworfen hatte, ist eingeladen. Das Projekt steht – ebenso wie die Umgestaltung Unter den Linden – im Koalitionsvertrag, wurde aber ebenfalls vertagt. Was sich die Anwohner wünschen, wird mit Fragebögen ermittelt. Wer maximale Entschleunigung sucht, kann den Nachmittag beim Langsamfahrrad-„Rennen“ ausklingen lassen.

Stephan von Dassel (Grüne), Bezirksbürgermeister von Mitte, hatte kürzlich bei der Diskussion um die Friedrichstraße einen Vergleich mit der Tauentzienstraße gezogen, die in den 90er Jahren an den Adventsonnabenden eine Fußgängerzone war: „Das hat wunderbar funktioniert.“

Überhaupt nicht funktioniert hat dagegen die Teilsperrung der Tauentzienstraße in Richtung Westen in der vergangenen Adventszeit. Wie berichtet, hatte die Polizei angeordnet, dass nur Busse, Taxis und Fahrräder am Weihnachtsmarkt auf dem Breitscheidplatz vorbeifahren dürfen. Da allerdings sehr viele Autofahrer die Schilder ignoriert haben und die Polizei nicht kontrolliert hat, war die Straße ähnlich dicht befahren wie immer.

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