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Die Uniform immer dabei. Auf etwa 1500 Auftritte kann Jürgen Hilbrecht als Hauptmann von Köpenick zurückblicken.

© Mike Wolff

Stadtspaziergang mit Jürgen Hilbrecht: Was der Hauptmann über Köpenick erzählt

Jürgen Hilbrecht spielt die Rolle seines Lebens: Seit 1994 ist er der Hauptmann von Köpenick. Dabei verwischen so manche Grenzen – und nicht nur beim ihm selbst.

Wer sich mit Jürgen Hilbrecht in der Altstadt von Köpenick verabredet, trifft ihn nie nur einmal. Er grinst von Plakaten an Laternenmasten und weist den Weg zum nächsten Parkplatz. Auf Flyern in Cafés und Geschäften kündigt er Theateraufführungen an. Er wirbt auf Schildern für Geschäfte, die Schilder verkaufen. Der 75-Jährige ist hier überall, und immer trägt er Uniform: Grauer Mantel mit blauem Kragen, Hauptmannsmütze und Säbel.

Auch als er an einem Sommertag vor seiner Wohnung in Alt-Köpenick wartet, hat er seine Uniform dabei, trägt er sie unter dem Arm – für alle Fälle. Es könnten ja noch Fotos gemacht werden. Und schließlich ist er, so sieht er das, heute nicht für sich selbst hier. Er vertritt Köpenick und da gehört die Uniform dazu. Schließlich steht sie für die Stadt, mehr als alles andere.

Hauptmann soll Welterbe werden

Seit mehr als 20 Jahren spielt Hilbrecht die Rolle Wilhelm Voigts, jenes Betrügers, der als Hauptmann von Köpenick im Jahr 1906 die Stadtkasse der Stadt zwischen Dahme und Spree leerräumte – und nach dem Willen des CDU-Direktkandidaten für Treptow-Köpenick, Niels Korte, nun sogar Weltkulturerbe werden soll. In tausenden Auftritten ist Hilbrecht in die Rolle des Hauptmanns geschlüpft, hat sich mit ihr identifiziert, so sehr, dass an diesem Nachmittag manchmal nicht klar ist, wo der Schauspieler endet und die Figur beginnt.

Eine Tour durch die Köpenicker Altstadt mit Jürgen Hilbrecht beginnt dann natürlich in der Vergangenheit. „Komm’se mal mit“, sagt er und steuert auf das Rathaus zu, vor dessen Eingang eine Metallstatue des Hauptmanns steht. „Das sind die Stufen, die die Welt bedeutet haben hier in Köpenick. Hier ist er gelaufen, das atmet Geschichte, das darf man nicht vergessen!“ – Er klingt aufgeregt, als er das sagt, und diese Aufregung, die überdrehte Leidenschaft für sein Köpenick, das ist jetzt er, das muss er nicht spielen. Dann zeigt er den Tresorraum, aus dem der echte Hauptmann vor mehr als 100 Jahren die Stadtkasse klaute und rückt einen Pappaufsteller zurecht, auf dem er als Hauptmann für seine Auftritte wirbt.

Geboren in Johannisthal

Das mit Köpenick und Hilbrecht beginnt kurz nach der Wende. 1990 kommt der gebürtige Johannisthaler hierher, er will ein Volkstheater aufbauen, hat ein Gebäude und einen Plan. Dass der am Ende nicht aufgeht, sieht er heute als Glücksfall. Zurück vor dem Rathaus steigt Hilbrecht die Treppe in den Ratskeller hinunter. 1994, als sein Plan vom Volkstheater gerade geplatzt ist, fragt er den Besitzer, ob er bei ihm auftreten könne. An seinem ersten Abend schauen ihm mehr als 200 Menschen zu. Inzwischen habe er hier mehr als 1500 Auftritte als Hauptmann hinter sich, erzählt er.

Heute dudelt in dem Gewölbe Jazz, an den Tischen sitzen Touristen beim Mittagessen. Einer der Kellner sieht ihn kommen, bleibt vor ihm stehen und salutiert, Hacken zusammen, Hand an die Stirn. „Herr Hauptmann“, sagt er laut. Hilbrecht salutiert zurück und man merkt ihm an, dass ihm das ziemlich gefällt. Zuerst, sagt er, habe er ein wenig Scheu davor gehabt, so in der Öffentlichkeit zu stehen. Inzwischen hat sich das gelegt: „Du kommst da nicht drum rum. Die Figur muss so lebendig sein, dass die Kinder dir hinterherlaufen und dich anfassen wollen“, erklärt er.

Deftige Speisen und alte Reklame

Zurück auf der Straße, schlendert Hilbrecht ein paar Meter in Richtung Schlossplatz. Vor einer Schaufensterfront bleibt er stehen. „Restauration Zur alten Laterne“ steht drüber, darunter wird darauf hingewiesen, dass es hier „Schnäpse und Liqueure“, „deftige Speisen“" und „adrette Bedienung“ gibt.

„Das ist meine Stammkneipe“, sagt Hilbrecht, erst am Tag zuvor war er da. Er kommt gern hierher, sie kennen ihn, grüßen den Hauptmann. Touristen können einen „Berliner Abend mit dem Hauptmann bis 40 Personen“ buchen - eingezwängt zwischen dunklem Holz und unter - Standard hier - einem Bild vom echten Hauptmann. Die Wände der Kneipe sind zugepflastert mit alten Werbeschildern und Schwarzweißfotos. Auf den Tischen liegen Spitzentischdecken. Alt sieht es hier aus, altberlinerisch, dabei wurde die Kneipe erst 1988 eröffnet.

Köpenick war noch ganz grau

Überhaupt beginnt die Geschichte der Köpenicker Altstadt wie sie heute daliegt, Hauptmannsroutine eingeschlossen, in dieser Form erst richtig mit der Wende. Als Hilbrecht hier ankommt, sind die Häuser noch rauchgrau, heute gleicht die Altstadt dem Modellbautraum eines sorgfältigen Bastlers mit Faible fürs Urige. Dazwischen tut der Tourismusverein Köpenicks alles dafür, dass Besucher sich fühlen können, als hätte gerade jemand mit einer Abordnung kaiserlicher Soldaten in einer Köpenickiade die Stadtoberen abgezogen. Und so wird beim Wandern über das Kopfsteinpflaster, vorbei an Statuen, verzierten Häuserfronten und Schildern mit Hilbrechts Gesicht nicht ganz klar, was hier wirkliche Stadt ist und was touristische Hauptmannskulisse – und ob das am Ende überhaupt eine Rolle spielt.

In unserer Reihe "Eine Runde Berlin - Streifzüge durch die Kieze" bereits erschienen: Mit Autorin Jana Hensel in Prenzlauer Berg und am Fernsehturm. Mit Sängerin Inga Humpe am Spree-Ufer in Mitte. Mit Weltenbummlerin Heidi Hetzer im Opern-Viertel. Mit DJ Alfred Heinrichs durch Lichtenberg. Mit Lüül durch Eichkamp in Westend.

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