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Die Oberbaumbrücke verbindet Friedrichshain und Kreuzberg. Der Bezirk hat einen grünen Bürgermeister. Wie macht sich das bemerkbar?

© dpa

Stadtpolitik: Wie die Grünen Friedrichshain und Kreuzberg prägen

Diese Woche küren die Grünen ihr Spitzenduo für die Bundestagswahl. Wie sieht es im Biotop Friedrichshain-Kreuzberg aus, wo die Partei längst regiert? Weniger Autos, bessere Integration, mehr Radwege, günstige Mieten? Eine Inventur.

Von Barbara Nolte

Hans Panhoff von den Grünen berichtet stolz von den Fahrradständern, die seine Partei überall in Kreuzberg und Friedrichshain aufstellen lasse. Panhoff, der im Berliner Bezirk Stadtrat für Bauen, Umwelt und Verkehr ist, favorisiert ein Modell mit dem Namen „Kreuzberger Bügel“. Eine lokale Erfindung, die sich als „einfach und leicht aufzustellen“ erwiesen habe.

Der Kreuzberger Bügel sieht aus wie ein umgedrehtes, von einer Querstange durchschnittenes U und kostet 60 Euro, samt Montage 300 bis 400 Euro pro Stück. Die Kreuzberger sollen ihre Räder nicht nur abschließen, sondern auch anschließen können. Panhoff fordert: „Wir brauchen noch mehr Bügel.“

Franz Schulz, Bürgermeister des Bezirks, ebenfalls von den Grünen, berichtet von „brutalen Schwellen“, die in die Straßen des Kreuzberger Graefekiezes eingelassen sind. Irreführenderweise heißen sie „Moabiter Kissen“. Schulz lächelt süffisant. Schließlich steht er einer Partei vor, die sich in seinem Kreisverband einem „Anti-Auto-Kurs“ verpflichtet sieht, wie er sagt: Wenn ein Autofahrer die Schwellen mit mehr als 20 Stundenkilometern überquere, könne es zu Schäden an seinem Wagen kommen. Außerdem, sagt Schulz, achte seine Partei darauf, dass für jeden gefällten Straßenbaum ein neuer gepflanzt werde. 3000 Euro kostet jeder neue Baum. Dafür kümmert sich eine Gärtnerei drei Jahre lang darum, dass der Baum nicht wieder eingeht.

Doch nicht nur in Friedrichshain-Kreuzberg, überall in Berlin säumen Bäume die Straßen. Wer den Bezirk durchquert, steht dort genauso häufig im Stau wie andernorts in der Innenstadt. Die Fahrradwege scheinen auch nicht breiter. Was also macht grüne Politik aus?

Über 30 deutsche Städte sind mittlerweile von Grünen regiert. Vor zwei Wochen wählten die Stuttgarter mit Fritz Kuhn einen grünen Oberbürgermeister. Die Partei will auch im Bund zurück in die Regierung. Mit einer Urwahl, die in der kommenden Woche ausgezählt sein wird, werden die beiden Spitzenkandidaten für die Wahl im kommenden Jahr bestimmt.

Doch Berlin-Kreuzberg ist nach wie vor die Hochburg der Grünen. Hans-Christian Ströbele wurde hier drei Mal hintereinander direkt in den Bundestag gewählt. Bei der letzten Europawahl kam die Partei auf über 40 Prozent. Zwischen 1996 und 2000 stellten die Grünen mit Franz Schulz den Bürgermeister von Kreuzberg, seit 2006 steht Schulz dem mit Friedrichshain fusionierten Bezirk vor.

Was machen die Grünen daraus, wenn sie das Sagen haben? Probiert die Partei, deren Ökologie- und Energiepolitik lange als utopisch galt und mittlerweile zum Mainstream geworden ist, dort, wo sie unangefochten ist, neue Ideen aus, die gegenwärtigen Großstadtprobleme anzugehen?

Ströbele spricht im Märchenerzählerton

Franz Schulz sitzt an einem Konferenztisch im alten, an der Yorckstraße gelegenen Rathaus von Kreuzberg. Er ist ein weißhaariger Mann mit Nickelbrille und einem freundlichen Lächeln. Schulz erklärt, warum von grüner Verkehrspolitik, einem klassischen Feld der Partei, in seinem Bezirk so wenig spürbar ist. Sie wollten beispielsweise eine Buslinie einrichten, die beide Teile des Bezirks verbindet. Doch die BVG bestimmt über das Nahverkehrsnetz in Berlin. Und die BVG war dagegen. Wer beispielsweise von der Yorckstraße in die Karl-Marx-Allee will, muss weiterhin am Hermannplatz und am Alexanderplatz umsteigen.

Franz Schulz nimmt das Rad oder das Auto, um von Kreuzberg, wo er wohnt, in sein Büro zu fahren, das im Rathaus Friedrichshain liegt. Er sagt, dass in der Skalitzer Straße eine Fahrradspur überfällig sei. Doch seine Verwaltung habe bislang vergeblich mit dem Land Berlin darüber verhandelt. Der Senat ist für die Hauptverkehrsstraßen, der Bezirk nur für kleinere Straßen zuständig. Warum lässt er dann nicht wenigstens in den kleineren Straßen großzügig Halteverbotsschilder aufstellen und widmet dort die Parkstreifen zu Radwegen um? Das Radfahren möglichst bequem und das Autofahren möglichst unbequem zu machen, wäre das nicht ein geeigneter Weg zur autofreien Stadt? „Ein Akt von oben wendet sich ganz schnell gegen Sie“, sagt Schulz. Der Wegfall von Parkplätzen erweist sich auch in Kreuzberg als sicheres Aufregerthema. „Die Grünen stehen für Bürgerbeteiligung, dazu gehört Ergebnisoffenheit.“

Von langen Gesprächen, bis sich die Anwohner damit abgefunden hätten, dass in die Nähe des Kottbusser Tors eine Fixerstube ziehen solle, berichtet Hans-Christian Ströbele. Und von couragierten Kreuzbergern, die Hunderte Bäume entlang des Landwehrkanals gerettet hätten, indem sie sich an sie ketteten.

Ströbele spricht ein bisschen in einem Märchenerzählerton. Er sitzt zusammen mit zwei Mitarbeitern und einer Praktikantin in seinem Büro in der Dresdner Straße in Kreuzberg und wirkt gut gelaunt. Wann wird ein Politiker schon einmal gebeten, das aufzuzählen, was er für besonders gelungene Politik seiner Partei hält? Es ist ein Stil von Politik, auf den Ströbele in seinen Beispielen abhebt. Und was planen die Grünen ganz konkret, um das Leben im Bezirk lebenswerter zu machen? Ströbele schaut skeptisch. Gibt es beispielsweise Bauprojekte, die die Partei unterstützt, die dem Alleinsein in der Großstadt oder dem genormten Leben in Altersheimen etwas entgegensetzen?

Im Möckernkiez gebe es eine Baugruppe, die Menschen mehrerer Generationen umfasse, sagt er. „Find ich gut, aber hab’ ich mir nicht ausgedacht.“ Die Fragestellungen findet er falsch, wie er sagt. Er wirkt genervt. „Ideen entstehen in der Bevölkerung, teilweise im Widerstand zum Staat. Wir können diese Ideen aufnehmen und befördern. Oder den Menschen Steine in den Weg legen. Revolutionen kommen selten von oben.“

Ein Mitarbeiter unterbricht Ströbele. „Draußen steht der Kunzelmann und will was von dir“, sagt er. Dieter Kunzelmann, ehemaliger Apo-Aktivist, mehrfach in Haft, unter anderem wegen versuchter Brandstiftung. Dem damaligen Regierenden Bürgermeister Diepgen hat er ein Ei über dem Kopf ausgedrückt mit den Worten: „Frohe Ostern, du Weihnachtsmann.“ Jetzt steht er in der Tür – Schiebermütze, weißer Spitzbart – und begrüßt Ströbele. „Tach, Liebster. Die Verkehrsleute sind Penner.“ Die Oberbaumbrücke sei gesperrt, das Radfahren in der Skalitzer Straße lebensgefährlich. „Warum macht ihr es nicht wie in Kopenhagen und sperrt die rechte Autospur?“, fragt Kunzelmann. „Senatszuständigkeit“, antworten Ströbele und seine Mitarbeiter im Chor. Ströbele erklärt Kunzelmann, dass es leider nicht legal sei, die Verkehrsführung einer Straße zu ändern, auch wenn man den Bezirk regiert. „Dann macht’s halt illegal“, sagt Kunzelmann, dreht sich um und geht.

Bürgermeister Schulz besetzte einst selber Häuser

Die Grünen in Kreuzberg sind eng verwoben mit der Hausbesetzerbewegung, die in den 80er Jahren den Bezirk prägte und für die Illegalität nie ein Hindernis war. Bürgermeister Schulz und Stadtrat Panhoff hatten selbst Häuser besetzt. Damals wurde in Kreuzberg viel mit neuen Formen des Wohnens und des Wirtschaftens experimentiert. Die letzten Wagenburgen, von denen zwei bereits in jenen Jahren entstanden sind, genießen bis heute Bestandsschutz im Bezirk. Fällt den Kreuzbergern nichts Neues mehr ein, für das sich Schulz und Ströbele starkmachen könnten? Oder ist nicht doch auch die Fantasie der Politiker gefragt? „Wie wollen Sie denn Politik machen, wenn kein Geld da ist?“, fragt Ströbele zurück.

Auf 640 Millionen Euro beläuft sich der Etat des Bezirks, eine unüberschaubar große Summe, doch fallen darunter vor allem Transferleistungen wie Sozialhilfe oder Wohngeld. Die Bezirke sind zu Verteilerstellen geworden. Die Seniorenheime, die meisten Kitas und viele Jugendfreizeitheime, die Kreuzberg einmal besaß, sind privatisiert. Nur über zehn Prozent des Etats kann der Bezirk frei verfügen. Die Grünen haben davon unter anderem die Stelle eines Klimabeauftragten geschaffen, der für die Gebäude, die dem Bezirk gehören, neue Energiekonzepte durchdenkt. Und immerhin eine Million haben sie aus dem Jugendhilfe-Etat abgezweigt, um damit acht Familienzentren zu betreiben, die im Bezirk verteilt sind.

Bezirkspolitik, sagt Bärbel Grygier, die von 2000 bis 2002 für die Linke Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg war, bedeute, sich „nach starken Partnern“ umzusehen. Nach Programmen, Fördertöpfen, mit deren Hilfe sich Projekte außerhalb der regulären Etats finanzieren ließen. Die Oberbaumbrücke, die Grygier für das Symbol des fusionierten Bezirks hält, ließ sie mit Geldern des benachbarten Musikkonzerns „Universal“ beleuchten.

Dem Familienzentrum in der Wilhelmstraße bezahlte die Lotterie „Glücksspirale“ den Bau einer eigenen Küche. Von März an bekommen die 100 Kinder der zum Zentrum gehörenden Kita frisch zubereitetes Essen. Sonst werden die Schulen in Friedrichshain-Kreuzberg bis auf eine mit Großküchenessen beliefert.

Nun ist für das Schulessen ausnahmsweise nicht der Senat zuständig, sondern der Schulstadtrat des Bezirks, den jedoch die SPD stellt. Sie wolle den Kollegen aber keine Vorwürfe machen, sagt die Grünen-Stadträtin für Jugend und Gesundheit, Monika Herrmann. Schuld seien wieder Kostengründe. Herrmann ist die treibende Kraft hinter den Familienzentren, in denen es Cafés gibt und viele Kurse von Babyturnen bis Basteln. „Ich kloppe nicht wie Buschkowsky auf den Eltern herum“, sagt sie, „weil sie dieses und jenes wieder nicht gemacht haben.“ Stattdessen wolle sie möglichst niedrigschwellig Familien unterstützen.

Arme Familien werden verdrängt

Monika Herrmann sitzt mit verschränkten Armen in ihrem Büro, das ebenfalls im Rathaus Friedrichshain liegt. Kreuzbergerin wie Schulz, radelt auch sie über die von Bärbel Grygier so eindrucksvoll in Szene gesetzte Oberbaumbrücke, neuerdings mit sogenannten Unplattbarreifen. Die Oberbaumbrücke ist zur internationalen Partyzone geworden. Mehrfach schon ist Monika Herrmann in eine Scherbe gefahren, und die Dienstfahrt war zu Ende.

Sie nimmt die Touristenschwemme gelassen, schließlich verlassen Touristen meist nach kurzer Zeit wieder die Stadt und machen nicht den angestammten Bewohnern der Straßenzüge zwischen Anhalter Bahnhof und Mariannenplatz ihre Wohnungen streitig. Es sei eine „Katastrophe“, sagt Monika Herrmann, die beobachtet, dass viele arme Familien nach Spandau oder Marzahn-Hellersdorf verdrängt werden. Wohnraum zu verlieren, sagt sie, werde von den Betroffenen als ebenso traumatisch empfunden, wie einen Partner zu verlieren.

Durch wohl keinen anderen Berliner Bezirk weht der Wind des Kapitalismus derzeit so schneidend wie durch Friedrichshain-Kreuzberg. Die Ufer der Spree, die 1996, als Franz Schulz zum ersten Mal Bürgermeister wurde, noch eine Brache waren, werden von Konzernen bebaut. Nicht dass die Grünen das so wollten, aber als sogenanntes Gebiet von gesamtstädtischer Bedeutung fallen die Grundstücke teilweise in die Zuständigkeit des Senats. Vergangenen Dienstag verhinderte Franz Schulz’ Bezirksamt immerhin ein 18-stöckiges Wohnhaus direkt an der Spree. Stattdessen entsteht dort ein öffentlich zugänglicher Grünstreifen. Eine kleine Oase inmitten der im gleichförmigen internationalen Stil gestalteten Gebäuderiegel, die künftig das Gesicht des Bezirks prägen werden. Schulz sagt, dass jetzt Verhandlungen mit den Investoren beginnen, die das Hochhaus geplant hatten. Womöglich erhalten sie ein Ersatzgrundstück. Die Grünen suchen den Kompromiss und nicht den großen Wurf.

Auf Jutebeuteln des Kreisverbands steht: „Weniger scheiße als die anderen. Bündnis 90/Die Grünen.“

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