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Gemütlich unter Segeln. Sanfte Brise auf dem Stolpsee vor Himmelpfort.

© Christoph Stollowsky

Zeitreise unter Segeln: Jetzt fahr'n wir übern See im Kaffenkahn

Ein Museumsschiff kann nicht schwimmen? Von wegen. Ab Fürstenberg kann man mit der Concordia über die Havel schippern. Ein märkisches Abenteuer par exellence.

Jetzt muss Frank ran. Der 63-jährige Wirtschaftswissenschaftler räkelt sich gerade vorne am Bug auf den schwarzbraunen Schiffsplanken in der Sonne und guckt zum Himmel, als Käptn Michael Wittke tief Luft holt und die Hände zum Trichter formt: „Klar zum Segel setzen!“ Frank eilt zum Mast, ein drahtiger, groß gewachsener Berliner, Jeans, Basecap, blaues Halstuch. Aber nun weiß er nicht so recht, welches Seil er beherzt anpacken soll. Das Fall am Mast? Ein Tau, das an anderer Stelle herabbaumelt? Da kommt Wittke und teilt die Mannschaft am laufenden Gut rasch ein. Hau-Ruck. Jeweils Zwei müssen gleichzeitig an beiden Seilen ziehen.

Der Kahn nimmt Fahrt auf, Wasser plätschert am Bug

Der Kaffenkahn „Concordia“ wiegt sich auf den Wellen des Stolpsees bei Fürstenberg. Soeben brummte noch der 50 PS-Dieselmotor und trieb das historische Schiff mit rund sechs Stundenkilometern gemächlich voran. Doch nun frischt der Westwind auf, es lohnt sich, das vierzig Quadratmeter große, rechteckige Segel zu setzen.

Frank legt sich gemeinsam mit Gerd ins Zeug. Gerd ist Potsdamer und Informatiker. Dreimal schlägt das Tuch hin und her, dann wölbt sich die Leinwand, der Kahn nimmt Fahrt auf, geht in die Schräge, Wasser plätschert am Bug.

Schwimmender Biergarten: Mit der Concordia unterwegs.
Schwimmender Biergarten: Mit der Concordia unterwegs.

© Christoph Stollowsky

Auf diesen Moment haben sich die 23 Passagiere besonders gefreut. Sie sind eine Geburtstagsgesellschaft. Aber nun gleiten sie wie einst die Besatzung der Kaffenkähne nur mit der Kraft des Windes dahin. Sie erleben eine maritime Zeitreise zurück ins 17. Bis 19. Jahrhundert. Ein außergewöhnliches märkisches Freizeitvergnügen.

Damals war eine solche Tour allerdings für die Binnenschiffer harte Arbeit. Die Kaffenkähne transportierten als Lastensegler bis zum Beginn der Dampfschifffahrt riesige Mengen von Ziegelsteinen, Bau- und Brennholz in die Reichshauptstadt, "Berlin ist aus dem Kahn gebaut" heißt es deshalb. Auch Obst, Gemüse und Getreide beförderten Kaffenkähne über die Havel und Spree. Sie waren ein besonders einfach gebauter, günstig einsetzbarer Schiffstyp und wurden auf Treidelpfaden von Pferden oder Menschen gezogen. Die Berliner nannten sie kurz und bündig "Äppelkahn".

Spitzer Schnabel, schlanker Rumpf. Blick auf den Nachbau der historischen Lastensegler.
Spitzer Schnabel, schlanker Rumpf. Blick auf den Nachbau der historischen Lastensegler.

© promo

Es gibt nur noch zwei historisch originalgetreue derartige Schiffe in Deutschland. Das eine gehört seit 2003 zu den Stars im Deutschen Technikmuseum in Berlin-Kreuzberg, sein Mast ragt in einer eigens dafür gebauten Halle über zwei Etagen empor. Archäologen und Taucher haben es 1987 im Havelschlick bei Spandau entdeckt und mühsam geborgen.

Das andere, die „Concordia“, ist zwar nur ein detailgetreuer Nachbau aus dem Jahr 2000, dafür ist dieses Schiff aber seetüchtig und motorisiert. Entworfen hat es der Fürstenberger Schiffsbauingenieur- und Schifffahrtshistoriker Peter Alker. Inzwischen liegt der Kahn am Kai der "Alten Reederei" am idyllischen Stadtkanal in Fürstenberg/Havel vertäut. Die Concordia legt vom Frühjahr bis zum Herbst als eine Art schwimmendes Museum zu Gruppenfahrten über die vielen Seen rundherum bis nach Himmelpfort oder Lychen ab.

Siesta auf der Kaffe.
Siesta auf der Kaffe.

© Christoph Stollowsky

Das Schiff ist der spektakuläre Blickfang des Kulturgasthofes "Alte Reederei". Der befindet sich in einem liebevoll sanierten, früheren Reederei- und Lagerhaus an der Brandenburger Straße. Eine Pension gehört dazu, ein Café-Restaurant mit Bauerngarten und Terrassen am Wasser sowie ein Kino. Michael Wittke (65), Eigentümer und Betreiber der "Alten Reederei", hat die Concordia im Mai 2017 zusammen mit seinem Freund Rolf Schmachtenberg aus Liebe zur Binnenschifffahrt erworben und die „Kaffenkahn Company Tourismus GmbH“ gegründet. Eigentlich haben die Zwei ja beruflich genug zu tun, Schmachtenberg ist Staatssekretär im Bundearbeitsministerium. Aber beide sagen: „Die Concordia-Touren sind für uns eine tolle Auszeit vom Job".

Leinen los - die Berliner Geburtstagsgesellschaft geht an Bord

Keine Seefahrt ohne anständigen kulinarischen Anschub. Samstagvormittag ab Zehn kommt die Geburtstagsgesellschaft erstmal bei Kaffee und Toast in der „Alten Reederei“ zusammen. Jürgen, ein Studienrat aus Berlin-Charlottenburg, wird 50, das will er auf der Concordia zusammen mit seinen Freunden feiern. Nun geht's an Bord.

Michael Wittke, ausgewaschene Jeans, weiß-blau geringeltes T-Shirt, wirft die Leinen los, dann klettert er auf die hinterste Heckplattform und ergreift den Knauf der langen grünen Ruderpinne. Rolf wirft den Diesel an, dann verschwindet er in der Kajüte am Heck und kommt als Smutje mit kühlen Getränken für die Gäste wieder heraus. Am liebsten stehen die Zwei mit ihren breitkrempigen, schwarzen Filzhüten aber nebeneinander barfuß an der Pinne wie einst die Freibeuter am Achterdeck und genießen durch dunkle Sonnenbrillen den Blick über ihren Kahn.

Freibeuter an der Pinne. Michael Wittke (links) und Rolf Schmachtenberg, die Skipper und Eigentümer der Concordia.
Freibeuter an der Pinne. Michael Wittke (links) und Rolf Schmachtenberg, die Skipper und Eigentümer der Concordia.

© Christoph Stollowsky

Der wirkt recht schlank und schnittig. Das liegt an seiner Konstruktion. Die Bord- und Bodenplanken sind am Bug und runden Heck hochgezogen. Vorne münden sie in einem spitzen Schnabel - der „Kaffe“. Daher der Name Kaffenkahn. Wittke schmunzelt. „Mit Kaffee hat das gar nichts zu tun.“

Die Passagiere haben's gemütlich. Wie ein kleiner schwimmender Biergarten wirkt der offene, knapp zwanzig Meter lange Rumpf mit den Holzbänken und Tischen an der niedrigen Bordwand. Traumwetter, die Sonne wärmt die Planken, ein älteres Paar summt „Jetzt fahr'n wir übern See, übern See“, Digitalkameras klicken, zwei Teenager, Töchter des Jubilars, stoßen mit Schorle an, Füße auf der Reling, und posten Instagram-Fotos von der Tour an ihre Follower.

Jollen segeln knapp nebenher - unser Oldtimer macht Eindruck

Unser Ziel ist Himmelpfort, ein malerisches Dorf, eingebettet zwischen fünf Seen, berühmt durch sein Weihnachtspostamt, wohin alljährlich Berliner und Brandenburger Kinder ihre Wunschzettel schicken. Rolf Schmachtenberg zeichnet die Strecke auf der Wasserwegekarte ein. Wir folgen der Havel, durchqueren den Baal,- Schwedt- und Stolpsee.
Üppige Sonnenblumen strahlen auf der ersten Etappe von den Wassergrundstücke am Fürstenberger Stadtkanal, der "Gänsehavel". Datschenbesitzer in Liegestühlen winken, in der Stadtschleuse steuern Kajaks und Tretoline ganz nah an die Concordia heran, auf dem Baalsee kraulen uns Schwimmer entgegen, Jollen segeln knapp nebenher. Unser Oldtimer macht Eindruck.

Sonnenflecken glitzern auf dem Schwedtsee. Backbord drängeln sich Hausboote im Fürstenberger Stadthafen, steuerbord zeigt Wittke auf hohe Baumreihen. Dahinter ein dunkles Stück Geschichte, die Gedenkstätte des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück.

Auf der Siggelhavel, einer der schönsten Abschnitte des Flusses.
Auf der Siggelhavel, einer der schönsten Abschnitte des Flusses.

© Christoph Stollowsky

Nun steuert er auf eine Havelpassage zu, die zu den schönsten Abschnitten des Flusses gehört. Genannt: Siggelhavel - wegen des dichten Gürtels aus hochwachsendem Schilf. Dazwischen Seerosenfelder, Erlenbruchwälder, kleine Sandstrände - und über allem der weite Mecklenburger Himmel.

Schäfchenwolken jagen da oben entlang, der Westwind frischt auf. In 14 Metern Höhe zerrt das Fähnchen mit dem Brandenburger Adler an der Mastspitze. Das macht den Skippern Laune. Also, Motor aus, Segel hoch. Blick zur Takelage. Die sieht auf der Concordia höchst ungewöhnlich aus. Das Sprietsegel, so der Fachjargon, wird mit zwei Seilen zugleich am Mast und am sogenannten Sprietbaum hochgezogen. Der Sprietbaum ist ein langes, vom Mast abgespreiztes, bewegliches Rundholz, auch Spier genannt. Es verläuft diagonal über die Rückseite des rechteckigen Sprietsegels bis hinauf zu dessen äußerster oberer Spitze. Auf diese Weise haben schon die antiken Seefahrer ihre Segel stabilisiert.

Schäumend zieht die Concordia vor dem Wind ihre Bahn über den Stolpsee bis Himmelpfort. Segel runter, Anlegemanöver. Klappt alles gut bis auf einen kurzen Rums an der Spundwand.

Landgang zur früheren Dorfschule. Dort kann man das Weihnachtspostamt sogar im Sommer besichtigen. Den Namen „Himmelpfort“ verdankt der Ort aber keineswegs dem Weihnachtsmann oder seiner himmlischen Lage. So hieß vielmehr das einstige Zisterzienserkloster am Dorfrand – „Porta Coeli“, Pforte des Himmels. Erhalten sind noch die Ruine der Klosterkirche, des Langhauses und einstigen Brauhauses.

Wie anno dazumal. Tauwerk der Concordia.
Wie anno dazumal. Tauwerk der Concordia.

© Christoph Stollowsky

Zurück aufs Wasser. Eine Flotte „Optimisten“ segelt gleichauf, Kinder winken an der Pinne. Aber die Concordia fällt zurück. Der Wind steht ungünstig. Unser Kaffenkahn ist nun mal keine Rennjolle, obwohl er erstaunlich flach auf dem Wasser liegt. Tiefgang: nur 85 Zentimeter. Rolf Schmachtenberg wird ungeduldig, länger als sechs Stunden soll die Tour nicht dauern.

Der Motor verschluckt sich - ran ans Treidelseil!

Also wirft er den Diesel an, der tuckert brav bis zur Fürstenberger Gänsehavel. Doch plötzlich verschluckt sich der Motor, gerade mal dreihundert Meter vor der „Alten Reederei“. Stille. Rolf dreht an Schrauben und Ventile - kein Mucks. Ein Schleppboot holen? Von wegen. Am Ufer führt noch der alte Treidelweg entlang. Staakstangen lieben griffbereit an Bord, Michael knüpft ein schweres Tau an den Bug. Die Crew müht sich ab, schleppt den Kahn, versucht, ihn anzuschieben. Tatsächlich, zwanzig Tonnen kommen langsam in Bewegung, auf historisch vorbildliche Art. Später, auf der Café-Terrasse, gibt Michael eine Lokalrunde aus. Prost - Mast- und Schotbruch Concordia!"

Gruppen von 15 bis 40 Personen können die „Concordia zu zwei- bis sechsstündigen Fahrten chartern. Kosten: 6-10 Euro p.P. und Stunde, abhängig von der Gruppengröße. Kaffenkahn Company Tourismus GmbH, Telefon: 0172-3227421, Brandenburger Straße 38, 16798 Fürstenberg/Havel, www.fuerstenberg-kaffenkahn.de.

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