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Verstorbene Bürgerrechtlerin: Bärbel Bohley - frei von allen Fesseln

Die verstorbene DDR-Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley hat die friedliche Revolution und das Zusammenwachsen der Stadt mitgestaltet. In der Ausstellung auf dem Alexanderplatz werden die wichtigsten Stationen in ihrem Leben beleuchtet.

Die Geschichte mit ihren Hauptdarstellern ist plötzlich ganz nah: Bärbel Bohley hält eine Teetasse in der Hand und steht mit Jutta Seidel und Katja Havemann im Garten des Hauses von Bürgerrechtler Robert Havemann in Grünheide bei Berlin. Was auf dem Foto vom 10. September 1989 wie eine Plauderei ratloser Freundinnen wirkt, ist die feministisch-konspirative Vorbereitung einer Revolution, die sehr bald das Land DDR aus seiner Lethargie aufschrecken, aufrollen und umkrempeln wird. „Wir rufen alle Bürger und Bürgerinnen der DDR, die an der Umgestaltung unserer Gesellschaft mitwirken wollen, auf, Mitglieder des Neuen Forum zu werden. Die Zeit ist reif!“ Bis Ende Oktober ’89 unterschreiben 150 000 Leute.

Der Staat tut, was er immer tat, wenn nicht sein konnte, was nicht sein durfte: Er verbot. Die Vereinigung stelle „eine staatsfeindliche Plattform“ dar. Doch die verstorbene Bärbel Bohley und ihre Mitstreiter machten mutig weiter. Die friedliche Revolution ist nicht mehr aufzuhalten, bis sich am 9. November 1989 Günter Schabowski unverzüglich in die Geschichtsbücher stottert.

In der Ausstellung zur friedlichen Revolution auf dem Alexanderplatz kann man den Mut und die Beharrlichkeit der Bürgerrechtlerin Bärbel Bohley verfolgen: Die junge Malerin, die für ein „Volk ohne Angst“ kämpft, hat Rosa Luxemburgs Satz im Sinn: „Wer sich nicht bewegt, spürt die Fesseln nicht.“ Bohleys Bewegung führt sie und ihre Freunde nach der Demonstration im Januar 1988 mit dem Luxemburg-Zitat „Freiheit ist immer die Freiheit der Andersdenkenden“ zunächst in den Stasi-Knast in Hohenschönhausen, wo sie genötigt wird, die DDR zu verlassen.

Mit einem Sechs-Monate-Visum reist sie nach England aus, kehrt jedoch im August 1988 zurück – die Oberen sind entsetzt, mancher Mitbürger fragt sich ratlos, wieso sie nicht im Westen bleibt. Aber die Malerin hat noch viel vor. Auf einem Foto sitzt sie, entspannt in die Kamera lächelnd, mit Jens Reich und anderen Oppositionellen vom Neuen Forum im Wohnzimmer ihrer Parterrewohnung in der Fehrbelliner Straße 91 am Tisch, Plastiken auf dem Kachelofen, Fotos an der Tür. Zu dieser Zeit verbringen viele Berliner ihre Abende schon mit der Basis der Opposition in der Gethsemanekirche und anderswo unter dem Dach der Kirche, erleben die Prügelorgie der Volkspolizei in der Nacht des 7. Oktober in Prenzlauer Berg, bis sich am 4. November die halbe DDR-Hauptstadt mit den schönsten, frechsten und aufmüpfigsten Losungen aller Zeiten auf dem Alex trifft, genau da, wo jetzt die Schau „Wir sind das Volk“ steht.

Die Leute um Bärbel Bohley sind entspannt und sehen glücklich aus, sie tragen die Losung des Tages „Keine Gewalt“ auf einem grünen Schild an der Jacke. „Wir wollten nicht nur ein Stück vom Kuchen, wir wollten die ganze Bäckerei“ – und so setzt sie sich am 3. Dezember 1989 an die Schreibmaschine und tippt einen Aufruf des Neuen Forums an alle Bürger, die mannigfachen Verschleierungsversuche zu verhindern. Schließlich sorgt die Opposition dafür, die Stasi-Akten zugänglich zu machen.

Die Open-Air-Schau der Revolution auf dem Alex ist wie ein Geschichtsbuch. Leider wird es zum 3. Oktober zugeklappt. „Es ist so wichtig, die Erinnerung wachzuhalten“, sagt Claudia Lamas, eine Kunststudentin. „Ich bin 25 und sehe: Immer mehr Zeitzeugen verlassen die Bühne.“

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