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Ikone auf Rädern. Der Trabant wurde zum motorisierten Wahrzeichen der DDR

© Stefan Jacobs

Erinnerung an die DDR: Wiedersehen mit Praktica & Co.

„The Wende Museum“ in den USA hat einen ungewöhnlichen Reiseführer durch die DDR herausgebracht

Bildbände mit Fotografien aus dem Leben in der DDR gibt es so viele, dass man leicht die Orientierung verliert. Was ist, 28 Jahre danach, eigentlich so wichtig, dass es verdient, gewürdigt oder noch einmal in den Fokus gerückt zu werden? Es fehlt dabei in der Regel weder an bissigen Kommentaren noch an entlarvenden Bildern aus dem zweiten Deutschland: bröckelnde Fassaden, traurige Gesichter, Szenen der Armut. Dennoch: DDR-Retrospektive frischt die Erinnerung auf. Und sie bietet Information in Hülle und Fülle. Dieser bild- und papiergewaltige Wälzer geht ganz andere Wege als manch herkömmliches deutsches Sachbuch. Das DDR-Handbuch mit Hammer, Zirkel und Ährenkranz auf dem Titel möchte „ihr Reiseführer durch ein untergegangenes Land“ sein. Es bietet Designobjekte, Artefakte und Alltagsgegenstände aus der DDR 1949 bis 1989. In 40 Jahren sammelt sich in diesem breiten Rahmen eine ganze Menge an. Die staatstragenden Zeugnisse und Begleiter des Alltags in einem sozialistisch sein sollenden Land werden sachlich und ohne die oft übliche Häme – „es war ja nicht alles schlecht“– dargeboten.

Ostalgie in Culver City

„Vermutlich die weltweit beste Sammlung dieser Art“, schreibt ein Amerikaner in „The Atlantic“, und da sind wir bei einem sehr bemerkenswerten Punkt: Das in Lettland gedruckte Buch mit über tausend Bildern kommt aus einem Vorort von Los Angeles, der Kleinstadt Culver City. „The Wende Museum“ beherbergt dort mehr als 100 000 Artefakte, persönliche Aufzeichnungen und Dokumente. Seit 2002 sammelt der 39-jährige Gründer und Direktor des Museums, Justinian Jampol, alle Arten von Alltagsgegenständen (allein 2000 Speisekarten sind dabei), die Palette reicht von den gängigen Zigarettensorten über das, was man unter „Erholung“ verstand, bis zu Politik, Arbeit, Reisen und Design.
Weitab vom Geschehen entstanden, versucht das Buch ohne ideologische Scheuklappen den real existierenden DDR-Ist-Zustand darzustellen und das Urteil über die Sachzeugnisse dem Leser zu überlassen. Die informativen Texte mit erhellendem Hintergrund der politischen Szenerie sind durchgehend in Deutsch und Englisch zu lesen, manchmal muss der geneigte Leser die Lupe aus dem Schrank holen – die langen Texte und kurzen Bilderklärungen passten offenbar nur als Kleingedrucktes zwischen die Buchdeckel, damit mehr Großzügigkeit bei der Zahl der Illustrationen walten konnte. Übrigens hatte dieses Buch vor Jahren, 2014, einen teuren Prachtband als Vorgänger, „Beyond the Wall – Jenseits der Mauer“. Der kostete 99,99 Euro. Nun ist die DDR billiger zu haben.
Direktor Jampol schreibt über die Motive seines Museums und dessen geistige Väter, US-Germanisten, Historiker und viele deutsche Fotografen: „Die materielle Kultur der DDR und die Art und Weise, wie diese ,Dinge‘ seit 1989 gesammelt, verramscht, ignoriert, weggeworfen, ausgestellt und verlacht werden, zeigen, inwieweit die Geschichte der DDR immer noch die Gemüter entzweit und keinen Konsens gefunden hat. Auch lange nach der offiziellen Wiedervereinigung unterscheiden sich ,Ossis‘ und ,Wessis‘, und das Spannungsfeld zwischen der Unterstützung für ein Regime, wie es hätte sein können, und der Desillusionierung darüber, wie es war, bleibt bestehen, sodass dem Umgang mit DDR-Artefakten im Wettstreit um einen Konsens eine zentrale Rolle zukommt.“
Im Jahr 1990 entsorgten die DDR-Bewohner 19 Millionen Tonnen Müll, 1,2 Tonnen pro Person, dreimal so viel wie die bundesdeutsche Pro-Kopf-Rate in diesem Zeitraum. Tatsächlich hatten viele Leute nach der Wende das Bedürfnis, Lenins gesammelte Werke usw. wegzuwerfen. Plötzlich regnete es harte Sterntaler, brach eine ungeheuerliche, neue glitzernde Warenwelt wie ein Tsunami über die DDR herein. Nun waren zahlreiche Produkte – vom „Magazin“ über den Trabi bis zur F 6 oder Karo-Zigarette – nicht mehr allein auf der Wunsch- und Warteliste. Es kam etwas Neues. Das Alte vom Palast der Republik bis zur Mitropa-Tasse verschwand.
Hier, in diesem Buch, feiern die Dinge Wiederauferstehung. Bei manchen stöhnt man auf, aber bei anderen findet man’s schön, die pfiffigen Filmplakate, „Magazin“-Titel mit Klemkes Kater, die Praktica aus Dresden, das Stern-Radio, die „Erika“ und eine Mitropa-Tageskarte von 1970, auf der ein Eisbein 2,60 kostet. Wie gesagt: Es war, mal im Ernst, nicht alles schlecht!

Justinian Jampol/Wendemuseum (Hg.): Das DDR-Handbuch. Kunst und Alltagsgegenstände aus der DDR. Taschen Verlag, Köln. Dt./Engl., 816 Seiten, 29,99 Euro

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