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Christopher Street Day: CSD 2011: Ein bisschen Karneval

Im vergangenen Jahr hieß es, der CSD sei unpolitisch geworden, mute längst wie die Loveparade an, nur mit mehr Fächern und Federboas und viel mehr Pink. Stimmt das? Irgendwie schon, aber wen stört’s.

Jetzt will aber auch der Mann vom BVG-Wagen eine Rede halten. Endlich. Sie haben den lauten Truck vor ihnen extra ein Stück ziehen lassen. Also los, zwei Forderungen. Erstens: Die Becher bitte nicht wegwerfen, da ist Pfand drauf. Und zweitens: auf die eigenen Wertgegenstände achten. Nicht, dass hinterher was fehlt. So, und nun feiert mal schön, ruft der Mann noch durchs Mikro. Dann wieder: Wummermusik.

Eigentlich haben die Veranstalter ein Sportmotto vorgegeben. „Fairplay für Vielfalt“, wegen der Frauen-WM und der verbreiteten Homophobie nicht bloß im Fußball. Aber in ein Sportler-Outfit hat sich hier kaum einer gezwängt, in der Überzahl sind doch wieder: die Matrosen, die Glamour-Transen, die Cowgirls und Prinzessinnen, die Feenwesen mit den kräftigen Oberarmen. Immerhin, am Kranzler-Eck steht ein Mann in Adidas-Trainingsjacke und Turnschuhen, aber der will gar nicht zur Parade, der will zu Karstadt. Bereits am frühen Nachmittag feiern zehntausende Zuschauer an der Paradenstrecke des „Christopher Street Day“, des dreiunddreißigsten in Berlin. Die Trucks ziehen vom Kurfürstendamm nach Schöneberg und dann in den Tiergarten. Im Vorjahr gab es Kritik, der Umzug sei zu unpolitisch geworden, mute längst wie die Loveparade an, nur mit mehr Fächern und Federboas und viel mehr Pink. Ist das wirklich so?

In der Menge läuft ein geschminkter Mann, der sich Kora nennt. „Haut uns einfach nicht mehr auf die Fresse, Ihr Arschkrampen“, steht auf seinem Schild. Kora ist 2,20 Meter groß, 18 davon kommen von den High Heels. Kora hat ein breites Kreuz und die Figur eines Metzgers, es fällt schwer, sich vorzustellen, dass so einer Ärger mit Schwulenhassern kriegt. „Hab ich aber“, sagt Kora. Er ist beschimpft und bespuckt worden letztes Jahr direkt nach dem CSD, in der Pallasstraße. Die Jugendlichen waren in der Überzahl, erst haben sie gepöbelt, dann Flaschen geworfen. Mehr als 400 schwulenfeindliche Übergriffe wurden 2010 in Berlin gemeldet, mehr als im Vorjahr.

Ein paar Meter weiter verteilt Axel kleine, gelbe Aufkleber. Er gehört zum Wagen von Amnesty International. Auf Tafeln informiert die Gruppe, welche Strafen Homosexuelle in anderen Ländern erwarten: in Sierra Leone mindestens zehn Jahre Haft, in Malaysia maximal lebenslänglich, in Jemen, Sudan, Iran und Nigeria droht die Todesstrafe. Vor dem Amnesty-Wagen wird heute nicht getanzt. Muss auch nicht, sagt Axel. Ja, man könne nicht bestreiten, dass die Parade insgesamt unpolitischer geworden sei. Aber man könne dagegen halten.

Kommerzieller ist sie auch geworden. Als Sponsoren treten Stromkonzerne und Kinobetreiber, Billigflieger und Wodka-Produzenten auf, zwischendurch mal ein Dildo-Hersteller. Und da sind die Parteien. Klaus Wowereit ist für die Abschlussrede gebucht, zehn Jahre nach seinem wegweisenden Outing, heute hat er wieder einen Spruch mitgebracht: „Mutti vons Janze“ steht hinten ganz klein auf seiner Jacke. Die Grünen haben mit Abstand die meisten Tänzer auf und vor ihrem Wagen versammelt, und dabei müssen sie auf Renate Künast verzichten, die kämpft auf dem Parteitag für ein Ja zum Atomausstiegsgesetz. Ganz oben auf dem Linken-Truck feiert Stefan Liebich mit, sein Tanzstil erinnert an Power Walking, aber gut sieht es schon aus. CDUler haben es traditionell schwer, weil ihre Partei eben nicht als Vorreiter für Homosexuellen-Rechte gilt. Dafür haben sie jetzt ein schlüpfriges Transparent vorne am Wagen: „Wir kommen“, steht da. Na so was. Davor schunkeln sie wie wild zu Schlagermusik. Wäre der CSD ein Tanzwettbewerb, die CDU hätte gewonnen.

Es ist schon ein bisschen wie beim Karneval. Das sei kein Ärgernis, sondern eine Errungenschaft, sagt Timofey. Der 25-Jährige ist mit Freunden aus Moskau angereist. Jetzt schwenken sie eine russische Fahne und Plakate mit Fotos drauf, die zeigen, wie eine Gay-Parade in Moskau aussieht: Polizisten verhaften Paradenteilnehmer. Doch, sagt Timofey, er kann seinen Freund in Moskau auch küssen, nur eben nicht auf der Straße, sondern in der Wohnung, wenn es niemand sieht. „Tonight’s gonna be a good night“, tönt es vom Wagen der Berliner Aids-Hilfe. Der tanzende Mann mit dem Hundehalsband grinst verheißungsvoll.

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