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Margarine im Blut. Streichzart sind die Violinenkläge des niederländischen Geigers André Rieu. Und dafür fliegen ihm die Herzen seines Publikums zu.

© Ullstein

Auftritt der Woche: Der Kitschklassiker

André Rieu und sein Johann-Strauss-Orchester walzen mal wieder durch die O2-World. Sein Erfolgsrezept: Vorneweg Polkas, dann was Witziges, schließlich was fürs Herz und dazu immer viel Konfetti und Pyrotechnik.

Was wärmt die Herzen im Januarschmuddel von Berlin? Na, die Grüne Woche, das Sechstagerennen und André Rieu – alles große Volksbelustigungen, voll, prall, farbig für Vater, Mutter, Kind. Obwohl – die ganz jungen Dinger, so ab zehn, elf Jahren, gehen ja jetzt lieber zum Popstehgeiger David Garrett statt zum holländischen Walzerkönig, wo mehr die Silberlocken schunkeln.

So oder so wird am Sonnabend der Laden voll, wenn Rieu mit seinem 50-köpfigen Johann-Strauss-Orchester die O2-World am Ostbahnhof walzt. War letztes Jahr so, war Neujahr beim Tourstart in der Lanxness-Arena in Köln so, gleich an zwei Tagen mit insgesamt 16 000 Besuchern, ist überall und immer so. Nach 30 Bühnen- und 61 Lebensjahren ist André Rieu noch immer der große Zampano der Kitschklassik.

Diesmal sind die Berliner Fans besonders dankbar über den Jahresantrittsbesuch des gebürtigen Maastrichters. Sah es doch noch im Oktober gar nicht danach aus. Da stöhnte die weltweite Gemeinde von André Rieu entsetzt auf, weil er viele Konzerte und komplette Tourneen nach England, Australien und Neuseeland absagte. Virusinfekt, sehr ernst, sogar der Gleichgewichtssinn war betroffen. Nicht schön für einen dauerschunkelnden Meister des Dreivierteltakts. Da musste die teure Stradivari ruhen. Und weil schon vorher Gerüchte über eine finanzielle Schräglage von Rieus 120 Mitarbeiter starker, aufwändiger Walzermaschine im Schwange waren, sorgten sich die Leute so sehr, dass sein Sohn Pierre, der auch im väterlichen Musikimperium arbeitet, sie aufforderte, doch bloß kein Geld zu schicken, man habe noch genug.

Ein Gutteil davon wird Sonnabend wieder mit Pyrotechnik, Luftballonregen, Konfettikanonen, Lichtorgeln, Springbrunnen und jeden denkbaren Romantikschnickschnack verpulvert. Denn trotz „Radetzkymarsch“, „Carmina Burana“, „Schneewalzer“ und „Send in the Clowns“ haben André Rieus bonbonbunte Shows mehr mit Zirkus als mit Konzert zu tun. Schmonzette, Animation, Stimmung – außer Polonäse und Heulkrampf ist alles dabei. Die Regie der Galas führt der ausgebuffte Fernsehunterhaltungshase Pit Weyrich.

Jedes seiner Programme folge demselben Grundmuster, sagt André Rieu. „Erst ein paar schnelle Polkas, dann etwas Witziges, dann was für’s Herz, die Leute müssen durch diese Wellen immer höher, bis zur Raserei getragen werden.“ Die gekonnte Massenmanipulation und das Dauerlächeln hat Rieu seinem Freund und Förderer Karl Moik im „Musikantenstadl“ abgeguckt. Der hatte als Volksbeglücker allerdings nie das Sissi-Schloss Schönbrunn dabei, das Rieu auf seinen Touren als Monsterattrappe mit echten wiehernden Schimmeln davor gerne mal in den Stadien der Welt aufbaut. Durch die ist André Rieu noch bis Mitte Juli unterwegs, wenn er nach dem Konzert in Friedrichshain noch über 50 weitere von Newcastle bis Sydney spielt. Da bleibt dem Walzerkönig, der in Köln stolz dem Publikum erzählte, dass er vergangenes Jahr gleich viermal Opa geworden sei, ja kaum Zeit, selbst mal mit seiner Frau Marjorie zu tanzen. Nicht weiter schlimm, findet der geigende Maestro und sagt: „Ehrlich gesagt, ich kann gar nicht tanzen.“

O2-World, Sonnabend, 19.30 Uhr

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