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Noch eine Idee. Raed Saleh ergänzt den mietenpolitischen Vorstoß des Regierenden Bürgermeisters.

© Britta Pedersen/dpa

Stadtentwicklung: SPD-Fraktionschef Saleh will ganz Berlin unter Milieuschutz stellen

Berlins SPD-Fraktionschef Saleh hat eigene Vorstellungen von Stadtentwicklung. Sein Vorschlag für einen umfassenden Milieuschutz wäre wohl nicht gerichtsfest.

Die einen tun es, die anderen nicht – SPD-Fraktionschef Raed Saleh will es erzwingen: Nicht Gebiete, sondern gleich ganz Berlin unter Milieuschutz stellen. Eben das hat der Politiker einem Reporter des RBB-„Inforadios“ ins Mikrofon gesprochen und damit vor allem eins bewiesen: dass er sich in Fragen der Stadtentwicklung, sagen wir, eher nicht für höhere Weihen empfiehlt.

Hinter den Kulissen lachen sich Genossen und politische Konkurrenz ins Fäustchen über die Selbstdemontage Salehs, der mal ins Rote Rathaus einziehen wollte, was ihm viele auch zutrauten. Nun schwenkt Saleh auf den Kurs seines früheren Konkurrenten ein, der Regierender Bürgermeister ist. Michael Müller hatte vor gut einer Woche sehr konkrete und sehr erfolgsversprechende Eingriffe in Bau- und Mietrecht gefordert, was den flächendeckenden Anstieg der Mieten bremsen könnte.

Milieuschutz greift ins Grundrecht auf Eigentum ein

Warum Salehs Vorschlag nichts taugt? „Voraussetzungen für die Ausweisung eines Quartiers als Milieuschutzgebiet ist, dass eine Verdrängungsgefahr für deren Bewohner besteht und dass es ein Potenzial und einen Druck zur Aufwertung des Wohnungsbestandes gibt“, sagt die Sprecherin der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Katrin Dietl.

Sachverständige müssten das alles belegen mit einem Gutachten zur Entwicklung im Quartier über Eigentumsverhältnisse, Modernisierungsstand, Baualter der Häuser sowie zur sozialen Situation deren Bewohner. Diese Datensammlung müsse in „Teilräumen“ erfolgen. Die Einwohnerzahl variiert zwischen 4.200 und knapp 47.000 Menschen je Gebiet. Zurzeit gibt es 48 Gebiete, vier Mal so viel wie Bezirke - und nicht mal in jedem Bezirk eines.

Der Versuch, ganz Berlin zum Milieuschutzgebiet zu erklären, würde außerdem schon daran scheitern, dass der Bezirk in diesen Quartieren in Verfassungsrecht eingreift, nämlich das Grundrecht auf Eigentum. Hausbesitzer dürfen dort nicht mehr nach Lust und Laune sanieren und müssen ihre Pläne mit den Bauämtern abstimmen. Ein solcher Eingriff in das Eigentumsrecht ist erheblich, aber im Baugesetzbuch „zur Erhaltung der städtebaulichen Eigenart des Gebiets“ sowie der „Zusammensetzung der Wohnbevölkerung“ erlaubt. Letztlich greift hier der Vorrang des Gemeinwohls, was nicht minder tief in der Verfassung gründet.

Weil darüber trotzdem trefflich gestritten werden kann, muss die Begründung der Verdrängungsgefahr bis ins Detail der Straßenzüge und statistisch gerichtsfest ausgearbeitet werden. Würde nämlich auch „nur“ das ganze Gebiet von Charlottenburg-Wilmersdorf unter Milieuschutz gestellt, könnte das erstbeste Gericht die Regelung in der Luft zerreißen, sobald Eigentümer des von Villen geprägten Grunewalds sie anfechten würden.

„Statt mit Potemkinschen Dörfern falsche Erwartungen bei Berlins Mietern zu wecken, sollte die Berliner SPD lieber genug bezahlbare Wohnungen bauen“, höhnt der baupolitische Sprecher der CDU, Christian Gräff, über Salehs Vorschlag. Und gibt dem Senat eins mit, der am Dienstag „viel zu spät seinen Plan zur Baubeschleunigung vorgelegt“ und immer noch nicht veröffentlicht habe.

Negativbeispiel Spandau

Eine weitere politische Dimension hat der Streit um die Ausweisung von Milieuschutzgebieten auch mit Blick auf das Personal: Saleh nannte Spandau als Negativbeispiel, weil die Mieter dort nirgendwo vom Milieuschutz profitierten. In Spandau „herrscht“ Baustadtrat Frank Bewig von der CDU. Den hatte schon die linke Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) im Streit um die Planung für Neubauten in der Wasserstadt entmachtet und die Planung für das Gebiet an sich gezogen.

Dass Frank Bewig nicht bauen will und auch die Mieter nicht schützen will, trifft es nicht. Der Baustadtrat begründet seine Haltung vielmehr damit, dass der Randbezirk eher eine Aufwertung braucht, um die typische Berliner Mischung wieder herzustellen – zugespitzt formuliert: um dem Schicksal eines Brennpunktquartiers zu entgehen.

Dafür sprechen nackte Zahlen: Spandau rangiert im „Monitoring Soziale Stadtentwicklung“, das die soziale Lage in der Stadt untersucht, mit mehreren Quartieren eher auf den hinteren Plätzen. Hier leben besonders viele Menschen ohne oder mit nur geringer Qualifizierung. Hier wuchsen die Einkommen viel langsamer als im Durchschnitt Berlins. Und hier sind überdurchschnittlich viele Eltern schulpflichtiger Kinder „lernmittelbefreit“.

Die Erklärung für diese „De-Gentrifizierung“ ist einfach: Überall in Berlin außer in Spandau stiegen die Mieten stark – und deshalb zogen viele aus der Stadtmitte Verdrängte nach Spandau. Die Gefahr dieser Entwicklung: Wer es sich leisten kann, zieht weg.

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