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Verbotene Durchschlagskraft. Die meisten der illegalen Feuerwerkskörper haben eine wesentlich höhere Sprengwirkung als in Deutschland zugelassene pyrotechnische Artikel.

©  Arno Burgi/dpa

Sprengstoff unterm Kindersitz: Wie gefährliche „Polenböller“ über die Grenze geschmuggelt werden

Immer wieder beschlagnahmen Polizei und Zoll gefährliche Feuerwerkskörper, die aus Osteuropa geschmuggelt werden.

Von Sandra Dassler

Für manche Menschen ist der Jahreswechsel schwer auszuhalten. Die Familien der beiden Männer etwa, die in der Silvesternacht vor zwei Jahren in Brandenburg den Tod fanden, werden sich noch immer fragen, ob die Tragödie hätte verhindert werden können: Zum Jahreswechsel 2017/18 starben ein 19-Jähriger in Kleinmachnow durch einen offenbar von einem Bekannten gebastelten Böller und ein 35-Jähriger im Landkreis Märkisch-Oderland vermutlich durch einen illegalen Feuerwerkskörper. In beiden Fällen lag die Sprengkraft über dem, was im deutschen Handel erhältlich ist, hieß es damals bei der Polizei.

Ein Jahr später gab es in Berlin und Brandenburg zumindest keine Toten, die Polizeimeldungen am Neujahrstag 2019 lasen sich dennoch gruselig. So wurde ein 16-Jähriger schwer verletzt; er hatte in Werder versucht, einen gefundenen Böller zu zünden. Ein 14-Jähriger aus Rheinsberg kam ins Krankenhaus, weil eine Rakete neben seinem Kopf explodierte, ein Elfjähriger erlitt schwere Verletzungen an der Hand, ein 16-Jähriger verlor einen Finger.

Vermutlich aus dem Ausland stammten ein Böller, der einem Berliner fast die ganze Hand wegsprengte, und eine Kettenbatterie, die einem anderen Mann in der Hauptstadt das Gesicht verunstaltete. Im Berliner Unfallkrankenhaus wurden zum vergangenen Jahreswechsel mehr als 25 Menschen mit schweren Verletzungen, die teilweise Amputationen notwendig machten, behandelt.

Darunter waren auch sechs Kinder im Alter von zehn oder elf Jahren. Kein Wunder also, dass sich rund zwei Drittel der Berliner ein generelles Verbot von privatem Feuerwerk wünschen.

Silvester als Anlass für Randale

Was Polizei und Rettungskräfte vor einem Jahr noch mehr schockierte, waren die Verletzungen, die nicht unbeabsichtigt, sondern vorsätzlich herbeigeführt worden waren. So wurden in Berlin 49 Mal Rettungskräfte angegriffen, in 33 Fällen mit Feuerwerkskörpern. Ein Feuerwehrmann musste mit Knalltrauma in eine Spezialklinik gebracht werden, acht Polizeibeamte wurden verletzt, als sie in der Kastanienallee in Prenzlauer Berg von 50 bis 60 Angreifern mit Steinen und Feuerwerkskörpern beworfen wurden.

Auch in Frankfurt (Oder) wurde ein Feuerwehrmann angegriffen und verletzt. In Niemegk im Landkreis Potsdam-Mittelmark schoss ein 33-Jähriger mit einer Schreckschusswaffe auf eine Jugendgruppe und traf einen 17-Jährigen am Hals. In Templin wurden zwei Mädchen und ein Mann durch einen auf sie geworfenen „Polenböller“ verletzt.

Auch wenn solche Taten von der Staatsanwaltschaft wie Angriffe mit Waffen gewertet und entsprechend angeklagt werden, gab es in diesem Jahr in Berlin schon wieder Angriffe größerer Gruppen auf Polizisten.

Immer mehr Böller aus dem Ausland in Umlauf

„Wir müssen konstatieren, dass immer mehr Menschen, die sich gezielt im Ausland Feuerwerkskörper besorgen, dies genau deshalb tun, um damit andere Menschen, die Polizei oder die Rettungskräfte anzugreifen“, sagt der Leiter der mobilen Kontrollgruppe beim Hauptzollamt Frankfurt (Oder), Siegmund Poloczek, am Montag.

„Leider kann man in Polen oder Tschechien Feuerwerkskörper mit hoher Sprengkraft und auch solche der Kategorien F3 und F4 bekommen, für deren Kauf, Transport und Anwendung man in Deutschland eine besondere Genehmigung braucht. Damit werden dann Briefkästen oder Automaten gesprengt, Häuser beschädigt oder gar Menschen angegriffen.“

Von Ahlbeck/Swinemünde an der Ostsee bis hinunter nach Zinnowitz/Cinovec im Erzgebirge achten Streifen von Zoll und Bundespolizei auf die Einfuhr illegaler Feuerwerkskörper. „Die werden zwar das ganze Jahr über geschmuggelt, aber vor Silvester ist es natürlich besonders gravierend“, sagt ein Sprecher der Bundespolizei.

Besonders die importierten Pyrotechnik-Geschosse sind gefährlich.
Besonders die importierten Pyrotechnik-Geschosse sind gefährlich.

© Paul Zinken/ dpa

Das Hauptzollamt Frankfurt (Oder) ist für die etwa 300 Kilometer lange Grenze von Brandenburg nach Polen zuständig. Allerdings finden die Kontrollen zwar wie an anderen EU-Binnengrenzen eben auch zum Jahreswechsel nur stichprobenartig statt. Erst kürzlich wurden in einem Kleintransporter auf der A 12 rund 1,6 Tonnen illegale Pyrotechnik festgestellt. „Wir haben im vergangenen Jahr insgesamt mehr als sechs Tonnen Feuerwerk im Grenzgebiet beschlagnahmt, das werden wir aller Wahrscheinlichkeit auch in diesem Jahr wieder erreichen“, sagt die Sprecherin des Hauptzollamtes Frankfurt (Oder), Astrid Pinz.

Zu wenig Personal für notwendige Kontrollen

Insider gehen davon aus, dass dies sicher nur ein Bruchteil dessen ist, was illegal im Nachbarland erworben wird. Für mehr Kontrollen fehlt aber zum einen beim Zoll genau wie bei der Bundes- und Landespolizei das Personal und zum anderen bei der Politik wohl auch der politische Wille, die Freizügigkeit einzuschränken.

Warum man allerdings keinen Einfluss darauf nimmt, dass auch in Polen oder Tschechien Feuerwerkskörper der Gefahrenklassen F3 und F4 wie in Deutschland auch nur mit Sondergenehmigung erworben werden können, fragen sich nicht nur Zollbeamte.

Deren Arbeit besteht auch darin, zu klären, ob die CE-Prüfzeichen echt sind, sagt Astrid Pinz: „Wir haben in den vergangenen Jahren einige Aufklärungskampagnen gestartet, um wenigstens die Gutwilligen zu erreichen.“ So wurde beispielsweise im Beisein von Journalisten ein Kleinwagen mit vier kleinen Kisten, in denen 36 illegale Knallkörper der Klasse F4 lagen, vollständig zerfetzt. Demonstriert wurde kürzlich auch, was ein Höhenfeuerwerk anrichtet, dass nicht in der Luft, sondern auf dem Boden oder gar in der Hand gezündet wird.

Das könnte zumindest jene überzeugen, die meinen, mit dem Einkauf in Polen Geld zu sparen. Oder all jene, die nicht wahrhaben wollen, wie gefährlich es ist, Feuerwerkskörper zu kaufen, von denen man nicht weiß, was darin steckt. Manche Eltern verstecken die geschmuggelten Böller unter, neben und hinter dem Kindersitz, in dem der Nachwuchs angeschnallt ist.

Da überkommt selbst langjährige Zöllner das blanke Entsetzen. „Ich würde mein Kind jedenfalls nicht auf Sprengstoff setzen“, sagt Siegmund Poloczek.: „Wir haben sogar schon erlebt, dass die Eltern dann auch noch im Auto rauchen. Da fällt einem nichts mehr ein.“

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