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Es gibt nicht genügend Spielplätze in Berlin. Auf dem Spielplatz auf dem Helmholtzplatz merkt man das, weil er oft sehr voll ist.

© Doris Spiekermann-Klaas

„Spielplätze sind Oasen – auch für Omas“: In Berlin gibt es zu wenig Platz für Kinder

In vielen Bezirken fehlen Kinderspielplätze. Ein Gespräch aus unserem Pankow-Newsletter mit Claudia Neumann vom Deutschen Kinderhilfswerk.

Von Christian Hönicke

Frau Neumann, was tun Sie als Referentin für „Spiel und Bewegung“ beim Deutschen Kinderhilfswerk?

Wir machen Lobbyarbeit für das Recht auf Spiel in Deutschland. Es geht darum, dass Kinder Raum und Zeit zum Spielen haben. Das ist leider vielerorts nicht so. Gerade das Freispiel ist unter großen Druck geraten. Viele Eltern wollen, dass ihre Kinder beim Spiel etwas lernen. Doch Spielen ist zweckfrei. Was, wann, wo und mit wem kann das Kind entscheiden. Jedes Kind hat ein Recht auf Spielen. Es kann auch in die Luft gucken und sich langweilen, wenn es das will. Alles, was einem Zweck untergeordnet ist, ist eigentlich gar kein Spiel. Auch das sogenannte spielerische Lernen ist eben genau das: ein Lernen, das dem Kind als Spiel verkauft wird. Man soll aber nicht spielen, um zu lernen – Kinder lernen nebenbei.

Warum ist Freiraum zum zweckfreien Spielen so wichtig?

Kinder brauchen das zweckfreie Spiel, um sich die Welt anzueignen, den eigenen Körper auszutesten. Wie schnell kann ich rennen, wie hoch kann ich klettern, wie schnell friert die Pfütze zu? Das lernt ein Kind am ehesten unbewusst durchs Spielen. Es ist wichtig, dass das Kind selbst seine Neugierde befriedigen kann. Das immer so aufzudrängen, da verkennt man völlig den Wert des Spiels.

Drängt sich da nicht auch ein gewöhnlicher Spielplatz zu sehr auf? Mit Rutsche, Kletterturm, Trampolin, Schaukel…

… das Wipptier nicht zu vergessen. Ich würde sagen: bedingt. Weil das Kind immer noch frei entscheiden kann. Aber der normale Spielplatz gibt sehr viel vor. Er lässt zu wenig Freiraum und Interpretationsspielraum. Das sehen Sie an der klassischen, langweiligen Rutsche. Die bietet kaum Möglichkeiten: Man kann hochklettern und runterrutschen. Kinder eignen sie sich deshalb häufig an, indem sie andersherum hochklettern, Sand runterrieseln lassen oder mit einer Plastiktüte herunterrutschen.

In Bezirken wie Pankow sind viele Spielplätze wegen baufälliger komplizierter Geräte gesperrt. Elterninitiativen setzen sich dafür ein, sie zumindest als Freifläche wiederzueröffnen. Reicht eine Freifläche nicht sogar zum Spielen?

Eine Wiese zum Toben, auf der man machen kann, was man will, ist besser als ein gesperrter Spielplatz. Und auch besser als ein völlig durchmöblierter Spielplatz, der keine Freiräume lässt. Da kann man nur wie im Zirkeltraining einmal alles durchprobieren. Gibt es keinen Kletterbaum, kein Bachlauf, keine Mauer, auf der man balancieren kann, dann fehlen Kindern auch Herausforderungen.

Wie sieht die Situation auf Berliner Spielplätzen aus?

Berlin ist das einzige Bundesland in Deutschland mit einem Spielplatzgesetz. Das setzt einen Quadratmeter Spielplatz pro Einwohner an. Da kann man sich streiten, ob das reicht, aber es ist ein Anfang. Das Problem ist, im Berliner Durchschnitt schaffen wir davon nur 70 Prozent. Es gibt Bezirke, die schaffen mehr, Pankow etwa schafft viel weniger.

Woran liegt das?

Es ist eine Frage der Flächengerechtigkeit. Das sieht man auch in Pankow beim Streit um die temporäre Spielstraße in der Gudvanger Straße, wo die Anwohner etwas dagegen hatten, dass Kinder für ein paar Stunden dort spielen dürfen. Dabei brauchen wir solche Ansätze, gerade in der engen Innenstadt. Auch private Wohnungseigentümer müssen wir stärker in die Pflicht nehmen.

Wie meinen Sie das?

Bei mehr als drei Wohneinheiten müssen Eigentümer wohnungsnahe Spielflächen schaffen, das steht in der Bauordnung. Da gibt es aber ein enormes Vollzugsdefizit, auch in Pankow. Oft wird das bei der Bauabnahme gar nicht kontrolliert. Und selbst wenn, sind diese Flächen oft kurz darauf verschwunden. Die Kommunen haben nicht das Personal, das zu kontrollieren. Kinderspielplätze haben nicht so eine starke Lobby. Doch Spielplätze sind ja nicht nur für Kinder da, das sind grüne Oasen in der Stadt, auch für die Oma, weil sie woanders gar keinen Platz mehr im Kiez findet. Diese Inseln brauchen wir in der Stadt. Deswegen darf kein Spielplatz aufgegeben werden, auch wenn der demografische Wandel in einem Stadtteil einsetzt und es weniger Kinder werden. Den Kommunen kann ich nur raten: Gebt die Flächen nicht auf - wenn die bebaut sind, bleiben sie bebaut.

Was soll man sonst damit tun?

Man kann sie zurückbauen, eine Wiese für alle gestalten, einen Generationentreffpunkt, eine Kiezinsel. Wenn man einen Spielplatz als Raum betrachtet, der für alle da ist, dann ist die Lobby größer.

Was bringt ein Spielplatz einer Kommune?

Viel. Gerade klamme Kommunen denken sich: Ein Spielplatz bringt kein Geld, der kostet nur. Das ist leider keine Pflichtaufgabe der Kommunen, wie der Straßenbau oder die Beleuchtung. Wenn es knapp ist, wird bei Spielplätzen deshalb als erstes gekürzt. Aber wenn Kinder nicht spielen und sich bewegen können, haben wir Folgeschäden wie Bewegungsmangel, Konzentrationsstörungen, Haltungsschäden, Adipositas. Kinder mit ADHS sind vielfach einfach nicht ausgelastet.

Das Bezirksamt Pankow sagt, es fehle vor allem Personal zur Instandhaltung .

Wenn es trotz Bedarfs die Mittel vom Senat nicht gibt, ist das ist ein Armutszeugnis. Daran sieht man, welchen Stellenwert das hat. Die BVV hat jetzt eine Spielplatzinitiative beschlossen, aber wenn das kein Lippenbekenntnis sein soll, müssen auch Mittel freigemacht werden.

Was fordern Sie?

Vom Finanziellen abgesehen: Kinder haben in der Stadt einfach zu wenig Platz. Der Raum ist nicht gerecht verteilt, Kinder müssen viel zu oft zurückstecken. Wenn es darum geht, einen Parkplatz vor der eigenen Haustür für Kinder abzugeben, wird es schnell ganz eng. Es gibt eine Autostellplatzsatzung, die gilt für jedes Neubauvorhaben. Aber keine Spielplatzsatzung. Wenn schützenswerter Naturraum durch Baumaßnahmen zerstört wird, muss ein Ausgleich geschaffen werden. Das gilt nicht für Spielplätze.

Wie kann man mehr Raum für Kinder in der Stadt schaffen?

Wir brauchen ein Netz mit Spielräumen im Quartier, die durch Wege verbunden sind. Wir müssen uns dabei fragen: Wo können wir jenseits von Spielplätzen Spielraum schaffen? Das können temporäre Spielstraßen sein, Gehwege. Auch geöffnete Schul- und Kita-Gelände, was in Berlin schwierig ist, woanders aber besser funktioniert. Parks, Sportplätze, Stadtplätze, Supermarktparkplätze. Kinder müssen überall spielen können, sie müssen sich das trauen dürfen.

Auch in verkehrsberuhigten Bereichen?

Das Konstrukt verkehrsberuhigter Bereich funktioniert nicht. Die Autofahrer halten sich vielfach nicht an die Schrittgeschwindigkeit. Wir haben Tempomessungen vor dem „Machmit-Museum“ in Prenzlauer Berg durchgeführt. Viele rasen durch – auch Radfahrer. Dann trauen sich die Kinder nicht, und die Eltern lassen sie nicht, aus Angst. Das ist ein Teufelskreis, deshalb ist es kein gewohntes Bild, dort zu spielen. Da braucht man eindeutige Beschilderungen oder Temposchwellen, mit grafischen Mitteln, zum Beispiel einen 3D-Balken auf der Straße. Wenn das alles nichts hilft, sind temporäre Spielstraßen wie in der Gudvanger Straße sinnvoll. Dafür hat nun auch die Bundesregierung den Weg freigemacht. Es gibt mittlerweile auch andere Initiativen in Berlin wie im Graefekiez, da wurde das als Demo angemeldet und war so erfolgreich, dass das jetzt eine temporäre Spielstraße werden soll. Wir sind derzeit dabei, alle Initiativen zu vernetzen und schauen auch nach Bremen. Da gibt es sieben temporäre Spielstraßen, die seit Jahren offiziell funktionieren und akzeptiert werden.

Wie wollen Sie dem Widerstand, den es bei Anwohnern dagegen gibt, begegnen?

Man muss kommunizieren, dass eine beruhigte Straße für alle toll ist. Die Erfahrungen in Bremen zeigen: Da gehen auch die Senioren mit dem Stuhl auf die Straße, wie in südlichen Ländern. Es kommen Erwachsene mit Badmintonschlägern, junge Männer spielen Basketball.

Wie wird das praktisch gehandhabt?

Die Straße wird gesperrt, da wird ein Zaun aufgestellt, am Eingang wird auch Wache gehalten. In der Gudvanger Straße etwa gibt es die Kita vom Drachenkinder Verein direkt vor Ort, die würde sich darum kümmern. Auf Schildern stehen die Sperrzeiten. Wenn ein Anwohner unbedingt durch muss, wird der durchgelassen. Das ist eine Frage der gegenseitigen Rücksichtnahme. Es geht darum, den Straßenraum gerechter zu verteilen und die Dominanz des Autoverkehrs auf ein normales, verträgliches Maß zurückzudrängen. Früher konnte jeder die Straße nutzen, das hat sich irgendwann verselbstständigt, dass das nicht mehr so ist.

Wie sollte ein klassischer innenstädtischer Spielplatz aussehen?

Ein Standardkonzept bringt nichts. Es darf nicht alles gleich aussehen, wir brauchen Variantenreichtum. Einer ist naturnah, ein anderer actionreich, einer für besinnliches Spielen, einer zum Toben, einer für ältere Kinder, einer für jüngere.

Das Bezirksamt Pankow sagt, ein Spielplatz kostet zwischen 300 000 und 500 000 Euro.

Wir sagen, es geht auch einfacher. Ich bin keine Fachplanerin, aber wenn man wenig Platz und Geld hat, kann ich vor allem zu einer naturnahen Modellierung raten. Wir hatten einen Modellspielplatz in Bochum, riesig groß, 2000 Quadratmeter für 75 000 Euro – inklusive Planungsleistung und Beteiligungsverfahren. Das geht, wenn man Bäume und Büsche einbezieht, das Gelände modelliert. Man braucht keinen teuren Rutschenturm, man kann einen Hügel aufschütten. Oder einen Weidentipi als Rückzugsort, das muss nicht immer die Spielhütte sein. Ja, Kinder wollen balancieren – aber reicht nicht ein Baumstamm?

Also man kann deutlich günstiger bauen?

Ja. Aber wenn der Pflegeaufwand zu hoch ist, nutzt ein günstiger Baupreis nichts. Man kann auch nicht erwarten, dass so etwas gar nichts kostet. Wir wollen nicht am falschen Ende sparen, es geht um unsere Kinder.

Claudia Neumann leitet beim Deutschen Kinderhilfswerk das Referat Spiel und Bewegung. Ihr Ziel ist eine bespielbare Stadt für alle.

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