zum Hauptinhalt
Daniel Stammler (links) und Janosch Sadowski (rechts) gründeten die Softwareschmiede Kolibri Games im Wohnzimmer ihrer Studenten-WG.

© promo

Spieleentwickler Kolibri Games: Von der Studenten-WG zum Millionen-Deal

Die Erfolgsgeschichte des Spieleentwicklers Kolibri Games begann auf der WG-Couch. Heute macht das Berliner Unternehmen Millionenumsätze.

Mit einem breiten Grinsen im Gesicht macht sich der Minenarbeiter ans Werk. Unter Tage schaufelt er Kohle. Ein anderer grinsender Arbeiter transportiert das schwarze Gold mit einem Aufzug in ein Lager. Und schon klingelt beim Manager die Kasse. Im Spiel „Idle Miner Tycoon“ geht es darum, eine Mine auszubauen und deren Abläufe so zu verbessern, dass immer größere Umsätze erzielt werden können. Hinter der simplen Wirtschaftssimulation, die auf dem Smartphone gespielt wird, steckt das Berliner Start-up Kolibri Games. Und das ist mittlerweile selbst eine Goldgrube.

38 Millionen Euro betrug der Jahresumsatz der Softwareschmiede 2018, seither wurden keine Zahlen mehr veröffentlicht. Anfang 2020 gab der französische Softwarekonzern Ubisoft bekannt, 75 Prozent von Kolibri gekauft zu haben. Einen solchen Deal hätte sich der Mitgründer Daniel Stammler nicht einmal träumen lassen, als er vor vier Jahren mit einer Handvoll Freunden in Karlsruhe startete. Der millionenschwere Erfolg seiner Firma basiert allein auf dem niedlichen Minenspiel, das die Studenten damals im Wohnzimmer ihrer WG entwickelten.

Daniel Stammler wirkt ein wenig erstaunt: „Niemand von uns hatte zuvor ein richtiges Spiel gebaut“, sagt er. „Wir hatten zwar Spiele gespielt, aber wir hatten keine Ahnung, wie viel Arbeit es eigentlich macht, eines zu entwickeln.“ Die erste Idee sei auch in die Hose gegangen, gibt Stammler zu. Zuerst wollten die Freunde ein komplexes Mehrspieler-Spiel entwickeln. „Wir haben aber nach zwei, drei Monaten gemerkt: Wenn wir damit weitermachen, dann bräuchten wir wahrscheinlich noch Jahre bis zum Release.“

Deshalb entschieden sie sich für einen Neuanfang mit einer Herangehensweise, die in der Start-up-Szene verbreitet ist: das „Minimum Viable Product“. Dabei wird zuerst eine frühe Version des geplanten Produktes erstellt, die sich auf dessen Kernfunktionen beschränkt. Diese Frühversion wird potenziellen Nutzern kostenlos zur Verfügung gestellt. In dieser Phase soll noch kein Geld verdient werden.

Es geht vielmehr darum, Feedback zu erhalten und das Produkt so weiterzuentwickeln, dass es am Markt Erfolg haben kann.

„Wir mussten wissen, ob das Ganze überhaupt Sinn ergibt“, sagt Stammler. Wäre der Erfolg ausgeblieben, dann wären die Freunde wohl einfach weiter zur Uni gegangen und hätten nach dem Studium bei einem Konzern als Angestellte angefangen, vermutet er.

Bei „Idle Mine Tycoon“ geht das Spiel im Schlaf weiter

Aber die Testnutzer hätten das Minenspiel sofort geliebt, und zwar gerade, weil es so simpel sei. „Hätten wir nicht von Anfang an so viel Feedback eingeholt, dann hätten wir ein komplizierteres Spiel gebaut, das dann wahrscheinlich niemand gemocht hätte. Wir wollten aber ein Spiel bauen, das den breiten Massenmarkt erreicht.“

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über Berlins wichtigste Nachrichten und größte Aufreger. Kostenlos und kompakt: checkpoint.tagesspiegel.de]

„Idle Mine Tycoon“ gehört zu den so genannten Untätigkeitsspielen. Das bedeutet, dass in der Mine auch dann eifrig weiter geschaufelt wird, wenn der Spieler gar nicht aktiv ist. Der User kann zum Beispiel abends, vor dem Schlafengehen, noch einmal nach dem Rechten schauen und ein paar Einstellungen vornehmen.

Kehrt er dann am nächsten Morgen zurück, haben die fleißigen Arbeiter viele Tonnen Kohle abgebaut und verkauft, sodass das Spielkonto prall gefüllt ist. Nun können neue Schächte angelegt und weitere Arbeiter eingestellt werden. Das macht den Suchtfaktor aus.

In dem Videospiel „Idle Miner Tycoon“ können die Spieler eine Mine aufbauen und reich werden.
In dem Videospiel „Idle Miner Tycoon“ können die Spieler eine Mine aufbauen und reich werden.

© promo

Selbst als das Team auf zehn Mitarbeiter gewachsen war, arbeiteten die Entwickler noch im Wohnzimmer. Das Recruiting sei in dieser Phase eine recht spezielle Herausforderung gewesen, erinnert sich Stammler: „Es war gar nicht leicht, Leute zu überzeugen, ihren Job in einem klimatisierten Büro sausen zu lassen, um bei uns im Wohnzimmer anzufangen.“ Auch der Name des Unternehmens, das damals noch „Fluffy Fairy Games“ hieß, könnte professionelle Softwareentwickler irritiert haben.

Noch schnell eine Release-Party in der Studentenbude

„Es gab dann Ärger mit dem Vermieter, weil wir immer so viele Leute in der Wohnung hatten“, sagt Stammler. Die Gründer feierten noch schnell die Release-Party in der Studentenbude und zogen um in ein Büro. Doch auch dort wurde es bald zu eng.

Heute hat das Unternehmen seinen Sitz im ehemaligen Postbank-Hochhaus am Halleschen Ufer in Kreuzberg.

Der Postbank-Turm in Kreuzberg.
Der Postbank-Turm in Kreuzberg.

© imago/Rolf Kremming

„Karlsruhe ist eine super Stadt mit vielen Tech-Talenten und einer guten Universität, aber uns war auch klar, dass Berlin die bessere Stadt ist, wenn wir ein international orientiertes Unternehmen aufbauen wollen.“ Unter dem neuen Namen Kolibri Games ist die Softwarefirma etwas erwachsener geworden und beschäftigt nach eigenen Angaben derzeit 110 Mitarbeitende.

Das Minenspiel und der ähnliche Nachfolger „Idle Factory Tycoon“ wurden zusammen bereits etwa 150 Millionen Mal heruntergeladen. Die Software ist kostenlos, Spieler können aber Vorteile kaufen, um schneller voranzukommen. Die meisten User würden kein Geld ausgeben, sagt Stammler, „und das ist auch okay“.

Das Ziel der Kolibri-Entwickler: keine negativen Erlebnisse

Ein Großteil der Einnahmen komme aus Werbung. Spieler können sich kurze Anzeigenspots von 30 Sekunden anschauen und dafür Ressourcen erhalten, mit denen sie ihre Mine ausbauen können. Wer es eilig hat, kann diese Ressourcen auch direkt erwerben - für echte Euro. Dafür geben die User eher kleine Beträge unter zehn Euro aus, sagt Stammler.

Das Spielen müsse vor allem Spaß machen und fortwährend kleine Erfolge bieten, davon ist der Co-CEO überzeugt. Im Gegensatz zu anderen Online-Games tritt der Spieler aber nicht gegen Konkurrenten an, er muss auch keine Angriffe oder Katastrophen fürchten, die seine geliebte Mine heimsuchen könnten. Kolibri-Spiele bieten ausschließlich positive Erlebnisse. „Bei uns kann man nicht verlieren. Man kann nur schneller oder langsamer vorankommen.“

Das Konzept macht den Nutzern offenbar Lust auf mehr. „Am Anfang waren wir froh, wenn die Spieler am zweiten Tag zurückgekommen sind“, sagt der Co-CEO. „Jetzt ist es unsere Herausforderung, sie dazu zu bringen, dem Spiel ein Jahr, zwei Jahre oder sogar drei Jahre lang treu zu bleiben.“

Das Berliner Start-up Kolibri Games wurde Anfang 2020 zu 75 Prozent vom französischen Softwarekonzern Ubisoft gekauft.
Das Berliner Start-up Kolibri Games wurde Anfang 2020 zu 75 Prozent vom französischen Softwarekonzern Ubisoft gekauft.

© promo

Deshalb gebe es für diese besonders treuen User nun auch einige komplexere Features, die das Interesse langfristig aufrechterhalten sollen, erklärt Stammler. Die meisten Nutzer kämen aus den Vereinigten Staaten. Dort sei die gesellschaftliche Akzeptanz von Handyspielen noch größer als hierzulande. Doch Deutschland sei der zweitgrößte Markt. Viele Abrufe kämen auch aus Japan.

Was Ubisoft gezahlt hat, bleibt ein Geheimnis

Wie viel Ubisoft für die Mehrheitsbeteiligung bezahlt hat, verrät Stammler nicht. Die Franzosen seien „sehr gute Partner“ vor allem in Sachen Strategieberatung. Um die aktuelle Entwicklung voranzutreiben, sei die Arbeit bei Kolibri nun in zwei Stränge aufgeteilt. Etwa die Hälfte der Mitarbeiter beschäftige sich mit den beiden Spielen, die bereits am Markt verfügbar sind. Die ergänzten sie fortwährend mit neuen Inhalten. Die andere Hälfte suche nach innovativen Projektideen und arbeite auch bereits an konkreten Spielen.

Die Coronakrise hat das Start-up weniger stark getroffen als andere, sagt Stammler. Als die Mitarbeiter ins Homeoffice wechselten, habe die Firma Schreibtische, Stühle und ähnliches Equipment besorgt und das sogar mit einem Transporter bis nach Hause geliefert. Die Umsätze seien jedoch stabil geblieben. In der Krise wird erst recht weitergespielt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false