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Sozialpädagogin Christina Obermüller

© Mike Wolff

Spendeserie: "Menschen helfen!": Superhelden brauchen keinen Umhang

Wenn junge Menschen suizidgefährdet sind, lassen sie am ehesten Gleichaltrige emotional an sich ran. Deshalb beraten beim Projekt U25 der Caritas Jugendliche online andere Jugendliche. Die Beratungsstelle bittet um Spenden.

Das eigene Leben beenden – es ist ein Gedanke, der wohl jedem von uns schon einmal durch den Kopf gegangen ist. Bei den meisten klingt das eher theoretisch, mehr wie eine Möglichkeit, die zwar besteht, aber niemals umgesetzt wird. Und doch scheint es für einige Menschen keinen anderen Ausweg zu geben, als den Suizid. Es ist ein Thema, das gesellschaftlich nach wie vor tabuisiert wird. Dennoch sterben in Deutschland jährlich etwa 10 000 Menschen durch die eigene Hand und damit mehr als durch Drogen und Verkehrsunfälle zusammen. Etwa 600 von ihnen sind unter 25 Jahre alt.

„Viele junge Menschen haben das Gefühl, ihr Leben sei sinnlos“, sagt Christina Obermüller. „Das ist eine der Hauptursachen für Suizidgedanken.“ Die Sozialpädagogin ist eine von drei Mitarbeiterinnen der Online-Beratungsstelle U25 Berlin des Deutschen Caritasverbandes. Deutschlandweit arbeiten an zehn Standorten etwa 160 ehrenamtlich tätige Beraterinnen und Berater. Das Konzept: Jugendliche zwischen 16 bis 25 Jahren helfen Suizidgefährdeten im gleichen Alter. Kommuniziert wird ausschließlich per E-Mail. Die Botschaft: Suizide sind sehr oft vermeidbar.

Das Beratungsangebot im Internet kommt gut an: „Trotz der vielen Ehrenamtlichen gibt es so viele Anfragen, dass wir nicht jeden der Ratsuchenden direkt annehmen können“, sagt Christina Obermüller. Mit dem neuen Jahr 2019 steht in Berlin der Umzug in größere Räumlichkeiten an. „Wir brauchen dringend Mittel, um unsere Büroräume einrichten zu können.“ Weil Einrichtungsgegenstände nicht durch Fördermittel des Senats gedeckt werden, bittet U25 um die Hilfe der Tagesspiegel-Leser. Konkret wünscht sich die Beratungsstelle eine Unterstützung in Höhe von etwa 3300 Euro.

Jugendliche in einer akuten Krise sind besonders gefährdet, sich umzubringen. Die Rate der Suizidversuche ist bei ihnen am höchsten. Klassische Präventionsangebote wie die Telefonseelsorge nehmen junge Leute nur selten in Anspruch. Ein paar Klicks im Internet, ein anonymer und unverbindlicher Schriftwechsel, das scheint oft leichter zu fallen. Und auf der anderen Seite sitzt auch kein Erwachsener, sondern jemand wie die 24 Jahre alte Janice. „Egal ob Schul- oder Beziehungsprobleme: Wir können uns in so etwas viel besser hineinversetzen, weil diese Dinge auch bei uns noch sehr präsent sind“, sagt sie. „Es wird auf Augenhöhe kommuniziert, dadurch entsteht ein ganz anderes Vertrauensverhältnis.“ Die Psychologiestudentin ist seit etwa vier Jahren ehrenamtliche Beraterin von U25. „Es bringt super viel Spaß und ist sehr flexibel, weil man im Prinzip von überall aus helfen kann.“ Derzeit betreut sie zwei Klientinnen.

Männern fällt es schwerer, Probleme einzugestehen

Sowohl Beratende als auch Hilfesuchende sind in den meisten Fällen junge Frauen. Während die Zahl der Selbsttötungsversuche bei Frauen höher ist, kommt es bei Männern deutlich öfter tatsächlich zum Suizid. „Es scheint Männern schwerer zu fallen, Probleme einzugestehen“, sagt Christine Obermüller. Unabhängig vom Geschlecht ist allen ein Gefühl der Ausweglosigkeit gemein. Es muss viel in einem Menschen passieren, bis er der Meinung ist, das eigene Leben beenden zu müssen.

Angesichts dessen wirkt es wie eine schier übergroße Verantwortung, die auf den Schultern der jungen Beraterinnen und Berater lastet. Doch Obermüller weiß: „Die jungen Leute kommen selten an ihre seelischen Grenzen und können das viel besser, als wir Erwachsenen vermuten würden.“ Bevor es zum ersten Mailkontakt mit einem Ratsuchenden kommt, wird jeder intensiv in Techniken der Krisenbewältigung und der Onlineberatung geschult. Alle 14 Tage findet eine Pflichtsupervision statt, in der sich die 40 Ehrenamtlichen von Berlin treffen und sich über ihre Erfahrungen und Schwierigkeiten austauschen.

Dennoch ist es erstaunlich, mit welcher Selbstverständlichkeit diese jungen Leute, die selbst noch in den Anfängen ihres Lebens stecken, an das Thema Suizid herangehen und dabei auch anderen zu helfen wissen. Eine von Janice’ Klientinnen war aufgrund von Problemen mit ihren alkoholisierten Eltern in ihrem Selbstwertgefühl stark geschädigt und ritzte sich selbst. Nachdem sich das Mädchen bei Janice per E-Mail gemeldet hatte, begannen die beiden zusammen, schriftlich Strategien zu entwickeln – um im Falle von Suizidgedanken aktiv gegen diese vorgehen zu können. „Die Arbeit mit der Klientin war einfach großartig“, sagt Janice. Sie entwickelten sogenannte Skills, Ablenkungstechniken, mit denen das Mädchen lernte, sich von Selbstverletzungen abzuhalten. „Ich finde es unglaublich mutig, sich in einer solch schweren Situation an einen völlig unbekannten Menschen zu wenden“, sagt sie und bleibt bei allem sehr bescheiden: „Lebensretter, das klingt so nach Superheldenumhang. Wir begleiten einfach nur, hören zu und schätzen wert. Viel mehr braucht es manchmal gar nicht, um wieder ein bisschen Licht in eine ausweglose Situation zu bringen.“

Im Januar beginnt bei U25 eine neue Beraterausbildung. Noch sind Plätze frei. Bewerbung unter u25@caritas-berlin.de. Mit der neuen, nunmehr 26. Spendenaktion „Menschen helfen!“ und der gleichnamigen Spendenserie zum Weihnachtsfest sammeln wir erneut für 63 Projekte und Vereine, vor allem aus Berlin und Brandenburg. Außerdem sammeln wir für Hilfsprojekte zur Beseitigung von Fluchtursachen und für bessere Lebensbedingungen in armen Ländern mit unserem internationalen Partner Deutsche Welthungerhilfe. Das Spendenkonto: Bitte spenden Sie an: Empfänger: Spendenaktion der Tagesspiegel e.V., Verwendungszweck: „Menschen helfen!“, Berliner Sparkasse, BIC BELADEBE, IBAN DE43 10050000 0250 0309 42. Online-Banking ist ebenfalls möglich. Spendenbeleg: Bitte notieren Sie vollständig und gut leserlich Namen und Anschrift, sonst bekommt der Tagesspiegel Probleme mit der Zusendung der Spendenbescheinigungen.

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