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Doppelchef. Raed Saleh (39) ist seit 2011 Vorsitzender der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus und der SPD Spandau.

© Doris Spiekermann-Klaas

SPD-Fraktionschef Raed Saleh: "Wir wollen die Aufgaben zwischen Senat und Bezirken neu ordnen"

Der SPD-Fraktionschef Raed Saleh will Berlins Verwaltung umkrempeln und mehr Überwachungskameras an gefährlichen Orten installieren. Ein Interview.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Im Januar versetzte der SPD-Fraktionschef mit einer Rede im Abgeordnetenhaus die Koalitionspartner Linke und Grüne, aber auch die eigenen Genossen in Alarmstimmung. Mit seinem Plädoyer für eine strenge Sicherheits- und Integrationspolitik stahl er dem Regierungs- und SPD-Landeschef Michael Müller die Show. Es gab Ärger von allen Seiten – und um Saleh wurde es eine Weile still. Jetzt meldet er sich im Tagesspiegel erstmals wieder zu Wort, forsch und selbstbewusst wie eh und je.

Herr Saleh, wie läuft's denn in der Koalition? Ist die Stimmung immer noch getrübt?
Ich bin mit der Zusammenarbeit sehr zufrieden. Zwischen den Regierungsfraktionen ist Vertrauen gewachsen und alle haben den Willen, Verantwortung zu übernehmen. Wir sind, auch im Verhältnis zum Senat, stark und selbstbewusst.

Die bevorstehende Bundestagswahl könnte die Arbeit in der Koalition erschweren, denn einen rot-rot-grünen Lagerwahlkampf wird es ja wohl nicht geben, oder?

Ich glaube, das werden wir gut voneinander trennen: einen harten, intensiven Wahlkampf und die Erledigung unserer Hausaufgaben für Berlin. Denn eine gute, sachliche Arbeit wird von den Bürgern honoriert, davon profitieren alle drei Koalitionspartner.

Bleiben Sie bei Ihrer Forderung nach Rot-Rot-Grün im Bund? Das ist ja für die SPD ein heikles Thema geworden.

Es ist kein Geheimnis, dass ich für klare Linien bin. Und ein echtes Reformprojekt wäre angesichts der Situation in Europa auch für Deutschland von Vorteil.

In Berlin regiert ein rot-rot-grünes Reformprojekt, das von den Bürgern bisher schlechte Noten kriegt. Wie kommt's?

Der Start von Rot-Rot-Grün war holprig, an einigen Stellen sogar schwierig. Allerdings kann sich die Bilanz des Senats mittlerweile sehen lassen. Die Erwartungen der Bürger sind berechtigterweise hoch. Wir müssen hart arbeiten, die Menschen mitnehmen, Politik für die ganze Stadt machen – also auch für jene, die uns nicht gewählt haben – und um Vertrauen für unsere Arbeit werben.

Die innere Sicherheit bleibt ein großes Thema. Der Senat hat Anfang des Jahres ein Sicherheitspaket aufgelegt, aber das meiste wurde bisher nicht umgesetzt. Auch eine bessere Videoüberwachung ist für den Senat offenbar immer noch tabu.

Meine Haltung ist unverändert und widerspricht auch nicht dem, was der Senat vorhat: An kriminalitätsbelasteten Orten muss die Videoüberwachung temporär und anlassbezogen möglich sein. Dort dürfen wir die Augen nicht verschließen, dafür haben die Menschen kein Verständnis. Ich gehe davon aus, dass wir zeitnah die ersten Kameras bekommen werden.

Wo?

Fragen Sie den Senat.

Ein anderes Ärgernis ist der schlechte Zustand der Berliner Verwaltung. Ist das ein hoffnungsloses Projekt?

Wir brauchen im öffentlichen Dienst eine Ausbildungsoffensive und wir müssen uns ehrlich machen bei der Bezahlung der Mitarbeiter. Das hat die SPD-Fraktion übrigens schon vor drei Jahren gefordert und die Begrenzung auf 100 000 Vollzeitstellen in den Senats- und Bezirksverwaltungen infrage gestellt. Heute merken wir, dass dies nicht reicht, obwohl schon viel Geld in die Hand genommen wurde. Bei Neueinstellungen sind wir immer noch nicht konkurrenzfähig gegenüber den Bundesbehörden und beim Gesundheitsmanagement müssen wir viel mehr machen. Mitarbeiter, die Rat suchen oder denen es nicht gut geht, brauchen professionelle Unterstützung. Und bei der Digitalisierung der Verwaltung hinkt Berlin im Vergleich zu anderen Städten meilenweit hinterher.

Müller und Saleh.
Müller und Saleh.

© dpa

Die Mängel, die Sie benennen, machen den öffentlichen Dienst für junge Menschen unattraktiv. Was macht Rot-Rot-Grün gegen das Nachwuchsproblem?

Man muss den jungen Menschen klarmachen, dass sie in der Berliner Verwaltung eine echte Berufsperspektive finden. Das gilt für die Bezahlung und die Aufstiegsmöglichkeiten, aber entscheidend ist aus meiner Sicht die Wertschätzung. Mir klingt immer noch in den Ohren, wie der frühere Finanzsenator Thilo Sarrazin die öffentlich Bediensteten schlechtgemacht hat. Auch heute fehlt es noch an Respekt vor der Arbeit der öffentlich Bediensteten. Zum Beispiel bei der Polizei.

Viele Stadträte und Bezirksbürgermeister fühlen sich auch vom neuen Senat nicht genügend unterstützt. Oder ist das nur das übliche Gejammer?

Es gab Zeiten, da war die Kritik der Bezirke berechtigt. Aber der Regierende Bürgermeister Michael Müller und Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen bemühen sich sehr um eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe. Streit um Ressourcen und Kompetenzen gibt es natürlich trotzdem. Ich bin der Meinung, dass es Zeit ist für eine grundlegende Reform der Berliner Verwaltungsstrukturen. Diese Diskussion wurde zuletzt in den achtziger Jahren geführt, sie ist überfällig.

Gehört dazu auch die Einführung eines politischen Bezirksamtes, also die Wahl der Stadträte durch bezirkliche Koalitionsmehrheiten?

Der Regierende Bürgermeister und ich sind uns einig, dass dies eine gute Sache wäre, verbunden mit einer Neuordnung der Aufgaben zwischen Senats- und Bezirksverwaltung. Die meisten Bezirksbürgermeister unterstützen dies, um die parteipolitischen Blockaden in den Bezirksämtern aufzulösen. Aber solche Grundsatzdebatten muss man in aller Ruhe und Sachlichkeit führen, und möglichst weit weg von Wahlterminen. Wir haben also ein Zeitfenster bis Ende 2018.

Bis dahin warten auf Rot-Rot-Grün noch viele Herausforderungen. Zum Beispiel der Volksentscheid zur Offenhaltung des Flughafens Tegel. Haben Sie davor Angst?

Nein. Aber ich rechne, weil die Abstimmung am Tag der Bundestagswahl stattfindet, mit einer hohen Beteiligung. Das notwendige Quorum wird sicher erreicht. Die rechtliche Ausgangslage ist allerdings klar: Tegel darf nicht weiterbetrieben werden, sobald der Hauptstadt-Airport BER in Betrieb gegangen ist. Es ist natürlich ein emotionales und von Nostalgie getragenes Thema, aber wir werden uns bemühen, unsere Argumente sachlich und überzeugend vorzutragen. Und wir wollen Sprachrohr sein für die Berliner, die nicht so laut sind, aber als Anwohner des Flughafens Tegel unter dem Flugbetrieb leiden.

Für Rot-Rot-Grün wäre es sicher hilfreich, wenn vor dem Volksentscheid ein verbindlicher Termin für die Eröffnung des Flughafens BER bekannt gegeben würde.

Ihr Wort in Gottes Ohr.

Sie selber wagen keine Prognose?

Nein.

Ein weniger spektakuläres, aber für Sportsfreunde wichtiges Thema ist die Zukunft des Olympiastadions. Hertha BSC will ein neues Stadion bauen, notfalls im brandenburgischen Ludwigsfelde. Die SPD wird auf ihrem Landesparteitag am 20. Mai wohl beschließen, dass ein Neubau auf dem Olympiagelände nicht infrage kommt. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Die Hertha-Funktionäre sind kluge und erfahrene Leute. Sie wissen, dass Hertha BSC zu Berlin gehört wie der 1. FC Union, die Reinickendorfer Füchse und andere Traditionsvereine. Jetzt sollten alle Beteiligten erst mal der Einladung des Sportsenators Andreas Geisel folgen und sich an einen Tisch setzen, um die verschiedenen Interessen unter einen Hut zu bringen. Ob die Drohung von Hertha, nach Brandenburg zu ziehen, ernst gemeint ist, weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die Hälfte meiner Freunde den Verein in diesem Fall sofort verlassen würde. Der Verein pokert hoch, das ist normal, aber am Ende wird die Vernunft siegen.

Was ist vernünftig?

Vernünftig ist, dass Hertha BSC in Berlin bleibt, wo sonst?

Noch eine Frage zu einem großen Bauobjekt: Wird es in dieser Wahlperiode einen weiteren Versuch geben, das Internationale Congress Centrum (ICC) zu retten?

Das Geld für eine Sanierung steht im Landeshaushalt nicht zur Verfügung und eine wirtschaftliche Nutzung für den Messe- und Kongressbetrieb ist nicht erkennbar. Ich sehe für das ICC auf absehbare Zeit keine Zukunft. Es sei denn, wir beginnen endlich ernsthaft über eine Mischnutzung zu reden.

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