zum Hauptinhalt
Großstadttheater ohne Pubilkum. Selbst am Brandenburger Tor treffen sich nur noch Mäuse.

© David Hutzler/dpa

Spaziergang durch das leere Berlin: Wie das Leben auch im Lockdown weitergeht

Wer durch das alte Zentrum von Berlin läuft, begegnet einer seltenen Stille und fast unwirklichen Leere. Alles ist anders – und geht doch weiter.

Die brodelnde Weltstadt, die sie einmal war und immerzu sein möchte, ist zu mehreren Dörfern zusammengeschnurrt: In jedem Kiez zeigen sich die Folgen und Auswirkungen von Corona sehr augenfällig. Im Wedding anders als in der tourismussüchtigen Mitte der Mitte, City Ost, zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor.

Schon das Wetter, diese graue Soße der Natur, macht gerade keinen Spaß. Erst recht nicht in einem Lockdown, der sowieso keinem Spaß macht und dafür auch nicht gedacht ist. Die nasskalte Suppe lockt kaum jemanden ins Freie, der nicht unbedingt aus seiner Wohnung fliehen muss.

Andererseits: In mollige Kleidung verpackt ist ein Ausflug in den Tiergarten und ein Spaziergang durch die Stadtmitte etwas sehr Gesundes. „Laufen ist immer gut!“, mahnt der Dr. med., und die bösen Bazillen bleiben in den letzten Blättern der Bäume hängen.

Der Pariser Platz ist so leer wie die Straße Unter den Linden und auch die Friedrichstraße, die einst als Einkaufsmeile Ost zur kleinen Schwester des Ku’damms werden sollte. Nun ist sie zum Kleinstadtidyll herabgesunken, zumal die Anti-Pandemie-Entscheider fordern, die schicken Läden weiterhin verschlossen zu halten.

So läuft man durch eine autofreie Magistrale hilflos an einem Crepes-Stand vorbei; urkomisch und eben lächerlich wirken die kleinen Inseln mit mickrigen Baum-Kindern. Verboten sind Sitzgelegenheiten jeder Art. Es ist alles ziemlich kahl hier.

Die Kräne tanzen, kein Stillstand zu sehen

Wer im in anderen Zeiten immer gut gefüllten „Einstein“-Cafe etwas Heißes bestellt, bekommt es in diesem Januar natürlich nur „to go“. Im Sitzen trinken: verboten. Nahezu alle Geschäfte sind auch hier geschlossen. Nur im Lafayette darf man in der Lebensmittelabteilung französischen Käse kaufen und Abendkleider ausleihen. Aber wofür? Die Ballsaison ist ebenso gestrichen wie alle anderen Vergnügungen. Ein Champagner? Nicht mal im Stehen. Deutschland im Tiefschlaf. Irgendwie erstarrt.

Nur wenige Menschen sind auf den Straßen.
Nur wenige Menschen sind auf den Straßen.

© Photo by Odd ANDERSEN / AFP

Aber Busse und Bahnen fahren wie immer maskierte Leute zum Arzt oder zur Arbeit. Das Baugewerbe ist auch in Mitte so aktiv wie immer. Die Kräne tanzen, kein Stillstand zu sehen. Bundestagsbauten breiten sich aus wie Kraken, endlich schließt sich Unter den Linden die Baulücke für die Polnische Botschaft.

Und am Schloss, diesem gewaltigen, antiken Neubauklotz, wird die Öffnung mal um mal aufs Neue vorbereitet. Immerhin, die neue U-Bahn 5 ist ein sehenswertes Produkt unserer Bauleute und Architekten: Es darf gestaunt werden. Bald strahlt Schinkels blauer Bühnenhimmel theatralisch in einer unterirdischen Bahnstation: Endlich werden hier einmal all diese übrigen architektonischen Beliebigkeiten übertrumpft.

Alexanderplatz. Kein Mensch steht hier frierend unter der Weltzeituhr. Keine Lust auf einen Plausch mit Freunden. Wo soll man gemütlich sitzen? Nur auf dem öffentlichen Klo, ansonsten führen die geschlossenen Läden zu einer seltsamen Ödnis. Bloß in der Sparkasse stehen die Flügeltüren nicht still. Hier kann Geld gekauft und in der Lebensmittelabteilung vom Galeria Kaufhof sogleich wieder ausgegeben werden.

Am Fernsehturm gibt es heuer keine lange Schlange: Der Spitzenbau samt Restaurant und Aussicht hat wohl zum ersten Mal in seiner Geschichte den Fahrstuhl stillgelegt. So still war Berlin lange nicht.

Deutschland im Tiefschlaf. Irgendwie erstarrt.
Deutschland im Tiefschlaf. Irgendwie erstarrt.

© Photo by Odd ANDERSEN / AFP

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Nebenan, in der Marienkirche, die übrigens rundum saniert wird, sind täglich zwischen 10 und 16 Uhr die schweren Türen geöffnet: Für ein individuelles Gebet, zum Kerzenanzünden und, mit zwei Metern Abstand auf den Sitzbänken,. für die stille Einkehr. „Bleiben Sie behütet!“ wünscht uns St. Marien und zitiert im Monatsheft den Monatsspruch Januar, Psalm 4,7: „Herr, lass leuchten über uns das Licht Deines Antlitzes!“. Bitte, lieber Herr, nun mach schon…

Sogleich kommt die Rettung in diesen trüben Tagen: Mitten auf dem Alex erscheint eine Frau, etwas pummelig, weil in einen weiten Wollmantel verpackt, öffnet ihre kleine goldverzierte Handtasche und streut Brot auf die Steinplatten des Platzes.

Im Nu sind sie da, Alfred Hitchcocks Vögel lassen grüßen: Tauben, Möven, Spatzen, Krähen und sogar ein paar Stare – ein Knäuel Leben pickt sich durch und verfliegt so schnell, wie es in der City gekommen ist. „Ist das nicht schön?“, flüstert die junge Dame durch ihre Maske.

Man sieht nur ihre schwarzen Augen und den etwas zu breiten Lidstrich. Sie möchte anonym bleiben. „Ich liebe diese Tiere, man muss für sie sorgen“, sagt sie und holt eine neue Handvoll Leckereien aus der Tasche. Die Vögel, vielleicht 200, flattern und picken, bis der Alexanderplatz sauber ist. Die City belebt sich wieder.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false