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Beatrice Kramm, 53, geht deswegen gern ganz früh morgens spazieren. „Kann schon mal fünf Uhr werden“, sagt sie.

© Thilo Rückeis

Spaziergang durch Charlottenburg: „Mein Kiez ist weder Chichi noch Punkrock"

Tagsüber Comedy-Produzentin, abends IHK-Präsidentin: Beatrice Kramm kam fürs Studium in die Stadt. Mittlerweile ist sie Berlinerin aus Überzeugung. Ein Besuch.

Eigentlich ist es ja gar nicht ihre Zeit. Viel zu spät ist es für Beatrice Kramm, als sie am frühen Nachmittag durch den Schustehruspark schlendert. Normalerweise trifft man sie hier, oder zwei Blöcke weiter im Schlossgarten, eher zu nachtschlafender Zeit. Um acht? Um neun? „Nö, noch früher!“, sagt sie. „Kann schon mal fünf Uhr werden.“

Gründe für Kramms ungewöhnliche Morgenbeschäftigung gibt es viele, vor allem aber zwei: Einerseits ist sie Geschäftsführerin der Filmproduktionsfirma Polyphon, und verbringt ihre Tagen damit, Schmonzetten wie die Episoden der „Traumschiff“-Reihe aber auch preisgekrönte Comedyserien wie „Doctor’s Diary“ oder „Magda macht das schon“, zu produzieren. Für ihre ZDF-Miniserie „Familie Braun“ über eine WG von Neonazis, die ein schwarzes Kind aufziehen, gab’s im vergangenen Jahr sogar den Emmy. Andererseits ist sie Präsidentin der Berliner Industrie- und Handelskammer und verwendet deshalb viele ihrer Abende darauf, sich auf Empfängen und in Besprechungen mit den Schwierigkeiten und Herausforderungen der hauptstädtischen Unternehmer zu beschäftigen. „Da bleibt für’s Spazieren eben nur der frühe Morgen“, sagt sie.

Doch genug gebummelt, erste Station: Restaurant Putto, Schloßstraße 60. Kramm duzt den Gastwirt Denis Nocken, über sein Essen hat sie nur Gutes zu berichten. Statt eines rheinischen Sauerbratens, eines irischen Rinderfilets oder eines Elsässer Flammkuchens aber belässt es die Managerin heute bei einer Rhabarbersaftschorle.

"Man war stolz darauf, Berliner zu sein"

Seit mittlerweile drei Dekaden wohnt Kramm, heute 53 Jahre alt, in der Stadt – zwei davon im Kiez rund um den Klausenerplatz. Sie ist in dieser Zeit heimisch geworden – nachdem es ihr Berlin anfangs nicht ganz leicht gemacht hatte. Nein, erinnert sie sich, Luftsprünge habe sie nicht gemacht, als die ZVS sie zum Jurastudium nach West-Berlin geschickt habe. „Man war stolz darauf, Berliner zu sein. Man war stolz auf diesen Status als ,Frontstadt‘ im Kalten Krieg. Für das Hamburger Kaufmannskind, das ich war, ging es etwas zu ruppig zu in dieser Stadt.“ Aber die Exil-Hanseatin passt sich den Umständen schnell an: „Böse Zungen behaupten, dass ich deshalb meine Kodderschnauze bekommen habe.“

Sie hat mittlerweile Frieden geschlossen mit den preußischen Zumutungen, mehr noch: „Ich bin mittlerweile total überzeugte Berlinerin.“ Auch was die Umgangsformen angeht: „Die Ruppigkeit ist doch letztlich nur eine Form seinen Mitmenschen mitzuteilen: Ich habe dich wahrgenommen.“ Es habe etwas gedauert, bis sie das verstanden habe, sagt Kramm.

Grafik anklicken zum Vergrößern.
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© Tsp/Pieper-Meyer

Hilfreich war bei der Integration ihre Liebe zum Sport, genauer: ihre Leidenschaft, mit Holzkeulen nach Kunststoffbällen zu schlagen. „Ich habe mein ganzes Leben lang Hockey gespielt und in Berlin gab es starke Mannschaften“, das habe beim Kampf gegen das Heimweh geholfen. Während ihres Studiums stand sie beim SC Brandenburg im Tor, und begleitete das Charlottenburger Team bei einer ganzen Reihe von Erfolgen: zwei Mal deutscher Meister, ein Mal Europapokal der Landesmeister.

Damals allerdings wohnte sie noch nicht im Kiez, sondern im Studentenwohnheim an der Potsdamer Straße. Dann ging’s mit einem kurzen Abstecher über den Nollendorfplatz 1992 in den Kiez. Hier ist sie geblieben – von einem kiezinternen Umzug abgesehen. Einmal dachte sie doch noch mal kurz darüber nach, wegzugehen. „Ich hätte im Februar 1990 ein Referendariat in Hamburg beginnen sollen“, erzählt die Juristin. „Allerdings konnte ich das nicht antreten, weil im November 1989 Dinge dazwischen kamen“, sagt sie. Und lacht.

Verlust der Nofretete

Wo sie war, als die Mauer fiel? Beim Hockeyspielen, mal wieder. Es war ein Donnerstag, erinnert sie sich: „Diese riesigen Jungs vom BG Charlottenburg kamen rein und riefen: Die Mauer ist auf!“ Doch Kramm und ihre Mannschaft nahmen das nicht ernst und trainierten lieber weiter. Erst als sie die Sömmeringhalle verließ und sich auf den Heimweg machte, sah sie, dass die Basketballer nicht geflunkert hatten. „Und das war großartig“, erinnert sich Kramm. „Als die Menschen an mir vorbeiströmten, war mir klar, dass ich Zeuge eines historischen Ereignisses wurde. Wildfremde Menschen fielen sich in die Arme und küssten sich“, erinnert sich Kramm. „Das bin ich eigentlich überhaupt nicht – ich komme aus Hamburg, da ist man etwas zurückhaltender.“ In dieser Nacht aber war sie es.

Doch zurück in die Gegenwart. Was Kramm im Hier und Jetzt vermisst: Die Nofretete. Die stand bis 2005 im östlichen Stülerbau, damals Sitz des Ägyptischen Museums, das jetzt im Neuen Museum auf der Museumsinsel untergebracht ist. „Über den Verlust sind wir hier in Charlottenburg noch nicht ganz hinweg“, sagt Kramm. Aber sie kann sich mit den verbleibenden Museen ein wenig trösten. „Hier ist eine wunderbare Museumslandschaft entstanden mit der Sammlung Berggruen, dem Bröhan-Museum und der Sammlung im Charlottenburger Schloss.“ Und wenn sich Kramm an Picasso, Georges Braque und Henri Matisse sattgesehen hat, verbringt sie gerne noch den ein oder anderen Augenblick in der Kastanie in der Schloßstraße 22, eine der ältesten Studentenkneipen Berlins.

„Der Kiez ist großartig, weil er so durchmischt ist: Er ist weder Chichi noch Punkrock. Eine wilde, bunte Mischung von türkischen Gemüsehändlern, Bioläden, Handwerkern und Filialgeschäften“, analysiert die IHK-Präsidentin die mikroökonomische Lage im Kiez. „Hier geht es einfach herrlich unaufgeregt zu.“

Momente der Aufregung bis hin zu Herzschmerz-Attacken hat sie im Beruf schon oft genug zu durchleben. „Ich bin ziemlich gut darin, melodramatische Filme wie das Traumschiff zu produzieren“, sagt sie. Im Privatleben aber habe Kramm, verheiratet und Mutter von zwei Söhnen, es nicht so sehr mit der Melodramatik. Dennoch brennt Sie für ihre Produkte und wird nicht müde, sie gegen Spott und Häme zu verteidigen: „Auch wenn viele sich über das Traumschiff gerne lustig machen, produziere ich die Serie mit großer Leidenschaft“, sagt sie. „Es ist ein tolles Produkt mit dem wir es schaffen, dass viele Menschen den Alltag für einen Moment hinter sich zu lassen.“

Der eigene Kiez als Drehkulisse

Für sie selbst darf es privat gern etwas anspruchsvollere Unterhaltung sein. Ihre Lieblingsserie ist die dänische Politreihe „Borgen – Gefährliche Seilschaften“. „Der Serie gelingt es, die Verführung der Politik darzustellen, anhand einer Figur, mit der man sich identifizieren kann.“ Dem Genre-Zwilling „House of Cards“ sei das zwar auch gelungen, „aber die ist eben sehr amerikanisch und lebt von Überhöhungen – die wir von der amerikanischen Politik zwar so erwarten, uns Europäern aber eher fremd ist.“

Würde sich der eigene Kiez als Drehkulisse für ihre Filme anbieten? „Hier wird ja sogar sehr viel gedreht“, sagt sie. Auch von ihr? „Mal überlegen – ich glaube nicht. Hat sich bislang einfach nicht ergeben.“ Ganz allgemein hat sich Berlin ja in den vergangenen Jahren zu einem begehrten Drehort für den deutschen, aber auch internationalen Film entwickelt. Kaum eine Abendproduktion kommt mittlerweile ohne Kamerafahrt durch einen der Hauptstadtbezirke mehr aus. Die Frage sei daher erlaubt: Hat sich Berlin langsam als Kulisse abgedreht? Kramms Antwort ist ganz eindeutig: „Ein klares Jein!“

Kreuzberg und Neukölln kann sie nicht mehr sehen, sagt die TV-Produzentin. Diese ganzen dumpf-dunklen Orte habe man in „4Blocks“ und den zahllosen anderen Dokus im TV zur Genüge gezeigt. Genauso die hippen Locations in Friedrichshain mit dem Fernsehturm und vielleicht noch dem Dom im Hintergrund und einer Spreefahrt mit dem Dampfer.

Aber: Sie selbst stellt gerade eine neue Serie auf die Beine: „Schöneberg wäre ein interessanter Bezirk.“ Warum? „Weil Schöneberg für vieles steht: Schöneberg könnte auch in Köln oder München sein. Aber auch die Randbezirke wären mal nett: Eine Reihenhaussiedlung in Mariendorf – oder Marzahn ohne die üblichen Plattenbau-Klischees – da gibt es fast unendlich viele Möglichkeiten.“ Und vielleicht sogar mal ihr eigener Kiez, rund um den Klausenerplatz.

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