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Das Kap von Stralau vom Treptower Park aus gesehen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Spaziergang auf der Halbinsel Stralau: Wo Friedrichshain ganz leise ist

Blick aufs Wasser, viel Platz und Ruhe: Stralau fühlt sich immer wie Wochenende an – und lohnt darum einen Ausflug.

Nach Stralau muss man wollen. Man kommt nicht einfach so vorbei, fährt nicht zufällig lang, hat da wahrscheinlich auch nichts zu tun. Kaum Geschäfte, ein Bäcker, keine Bars, keine Kultur. Tote Hose, wie man im restlichen Friedrichshain-Kreuzberg sagen würde, zu dem Stralau gehört, weil es nun mal irgendwo dazugehören muss.

Dabei hat es hier über Jahrhunderte ein Volksfest gegeben, hervorgegangen aus der lokalen Fischereitradition. Im 19. Jahrhundert wurde der Stralauer Fischzug verboten, weil die Feierei wohl etwas über die Stränge schlug. Lange her.

Ich bin vor etwa zehn Jahren das erste Mal in Stralau gewesen. Auf dem Stadtplan hatte ich diese merkwürdige Landzunge entdeckt, die sich in Form eines krummschnabeligen Möwenkopfes zwischen Treptower Park, Spree und Rummelsburger Bucht schiebt. Sofort war ich merkwürdig verzaubert. Von der Ruhe (Stralau ist quasi eine Sackgasse). Von den Überresten der Industrie, den halb zerfallenen Hallen, die bald abgerissen oder zu Luxuslofts ausgebaut werden sollten.

Das Beste aber: die Wassernähe, die es auf den 1,12 Quadratkilometern überall gibt. Ein Uferweg, nur unterbrochen von Friedhof und alter Dorfkirche, die übrigens das älteste Bauwerk des Bezirks ist, führt um die gesamte Insel. Perfekt, um joggen oder spazieren zu gehen (und das findet auch Moderatorin Sarah Kuttner).

Hier findet man das älteste Bauwerk des Bezirks

Am liebsten gehe ich, aus Richtung der donnernden Kynaststraße und der ewigen Baustelle eines Bürokomplexes kommend, gleich rechts Richtung Südufer. Eine der letzten Backsteinbruchbuden wird hier seit einigen Monaten bearbeitet, denkmalgerecht vermutlich. Da werden sie einiges zu tun haben, wie viele Jahrzehnte mag sie leer gestanden haben?

Am Ufer endlich Stille und viel weniger Spaziergänger als gegenüber im Treptower Park, wo sich in anderen Zeiten die Massen aus dem S-Bahnhof auf Wege und Wiesen ergießen. Stralau stattdessen: Vorstadtidylle wie aus einer Margarinewerbung.

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Junge Mütter – deutlich seltener Väter – schieben ihre Kinderwägen über den hellen Kies, ein Gärtner gießt die Tulpen im Gemeinschaftsgarten mit Blick aufs Wasser und Manuel, 28, selbst „Inselbewohner“, sucht per Aushang einen Liegeplatz für sein „schönes Kajütboot“.

Ein bisschen heile Welt tut gut, wenn sich vor der eigenen Haustür über Nacht eine Pfütze Erbrochenes gebildet hat und die Laster im 20-Sekunden-Takt über das Kopfsteinpflaster knallen, um die grüne Ampelphase zu schaffen.

Segelschule, Sportschule und ein bisschen Protz

Rechterhand also das Wasser, wo ein paar umgebaute Lastschiffe festgemacht haben, ein Hausboot, eine Segelschule, weiter hinten kleine Sportboote. Links: neue bis ganz neue Mehrfamilienhäuser, viele weiße Würfel, die mal an eine etwas sterile Hotelanlage auf Gran Canaria erinnern, mal an Miamis Ocean-Drive-Protz.

Ich könnte mich fragen, ob es gerecht ist, dass wahrscheinlich nur sehr Wohlhabende am Ufer wohnen können. Ist mir aber egal, wenn ich hier entlanglaufe, dann gehört mir der Blick auf die glitzernden Wellen, die Ständig-Wochenende-Atmosphäre ja auch, zumindest für den Moment. Und ich bin froh, etwas anderes zu sehen als die immer gleichen Fassaden innerhalb des Rings.

In Stralau scheint es jedenfalls mehr Luft zu geben, mehr Platz für alle. Ist natürlich ein Irrtum. An den Pforten zu den Wassergrundstücken mit ihren hübschen Gärten hängen „Privat“-Schilder. Kann man schon mal vergessen, wenn man hier lustwandelt.

Wo Schaukeln an dicken Ästen hingen

Irgendeine Bank ist aber immer frei. Die am Südufer ist die beste, gegenüber vom Karl-Marx-Gedenkstein (der hat hier gewohnt, als Stralau noch Arbeiterklasse war). Die Bank ist mit einem billigen Fahrradschloss am Zaun festgekettet. Darauf sitzen darf jeder.

Am Südufer der Halbinsel gibt es viele Trauerweiden, die mit ihren Astspitzen die Wasseroberfläche streifen. Einen Grund zu Trauer hat auf jeden Fall jenes Exemplar im kleinen Park an der Inselspitze, gegenüber der Insel der Jugend. Jahrelang war an ihr eine Schaukel angebracht, das Werk überdurchschnittlich netter Menschen. Man schaukelte über dem Wasser schaukeln und konnte dabei sehr gut oder auch mal gar nichts denken. Was bleibt, sind abgeschnittene Seile.

[Außerdem erschienen in unserer kleinen Spaziergangsserie: Der Tegeler Forst, der Teufelsberg und die Ecke Thomas-Friedhof bis Körnerpark in Neukölln.]

Da tröstet das Finale dieses Uferwegs: Ganz vorne an der Spitze der Halbinsel, am Kap sozusagen, gibt es einen kleinen Platz mit Zaun zum Wasser hin. Wäre dieser Ort bekannter und zentraler, er wäre – jede Wette – bei schönem Wetter so voll wie die Admiralbrücke.

Die Rummelsburger Bucht trifft hier auf die Spree, Kajaks und Lastkähne ziehen vorbei, das Riesenrad im Plänterwald ist gerade so zu sehen, linkerhand verwildert die winzige Insel Kratzbruch, aus den Schloten des Heizkraftwerks Klingenberg wachsen Kondenswolken, am Zementwerk wird ein Schiff beladen. Ganz leise ist jetzt doch das Rauschen der Industrie, der Lärm der Stadt zu hören. Zum Glück.

Außerdem erschienen in unserer kleinen Spaziergangsserie: Der Tegeler Forst, die Ecke vom Neuköllner Thomas-Friedhof bis zum Körnerpark und der Teufelsberg.

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