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Wirkt fast, wie aus der Zeit gefallen: der Neuköllner Körnerpark

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Spaziergänge in Berlin: Eine Runde zum Sanssouci Neukölln

In Neukölln gibt's keinen Fluglärm mehr, dafür Geschichte und ungeahnt schmuckhafte Oasen. Unser Autor spaziert über den Thomas-Friedhof bis zum Körnerpark.

Wenn ich in diesen Tagen für einen Abendspaziergang vor die Tür trete, vermisse ich es beinahe. Das geschäftige Treiben am Berliner Himmel. Die Kondensstreifen. Den Fluglärm. Dieses urbane Grundrauschen, dass der akustische Ausweis jeder Metropole für die eigene Weltläufigkeit ist.

Dann senke ich den Kopf aber wieder schnell, aus Angst, einer der alteingesessenen Neuköllner könnte mich ertappen. Könnte meine Gedanken erraten. Nein, ich bin kein Veteran der Einflugschneise. Hier östlich des ehemaligen Tempelhofer Flughafens, wo viele Wohnungen noch heute lärmreduzierende Doppelverglasung haben, rauschten die Maschinen im Landeanflug nur wenige Meter über die Dächer hinweg.

Der Lärmpegel sank, der Mietspiegel stieg

Bis am 31. Oktober 2008 von einem auf den anderen Tag Stille einkehrte, der Flughafen Geschichte war. Mit dem Wegfall des Lärmpegels, stieg zwar der Mietspiegel – dafür sank aber auch der Stresslevel. Das einzige, was auf dem Thomas-Friedhof zwischen Hermannstraße und Karl-Marx-Straße heute noch rauscht, ist der Wind in den Kronen der Plantanen. Eine gebührende Stille hat sich wieder ausgebreitet. Es ist der beste Ort, um die rasenden Gedanken des Tages zu besänftigen.

Dieser Teil der Stadt war schon immer von Andacht und innerer Einkehr geprägt. Auf Höhe der Haltestelle Leinestraße liegen mehrere Friedhöfe. Sie sind älter als jegliche Bebauung in der Gegend. Und wer heute über sie wandelt, atmet noch immer den Geist der protestantischen Bestattungskultur des 19. Jahrhunderts. Ist der Besuch eines Friedhofs für gewöhnlich schon eine Konfrontation mit der eigenen Geschichtlichkeit, ist der Gang über den Thomas-Friedhof eine Geschichtsstunde.

Junge Paare mit verweinten Augen

Vorbei am Gedenkpavillon für die kirchlichen Zwangsarbeiter in der NS-Zeit, hinüber zu den Massengräbern von Berliner Bombentoten. Erstere mussten letztere beisetzen. Heute begegnen mir hier weitaus kleinere menschliche Schicksale links und rechts der langen Mittelallee.

Die Querwege und Rondelle sind Rückzugsorte für Weltflüchtige. Manchmal sitzen da junge Paare mit verweinten Augen. Dann und wann unterbricht ein Eichhörnchen seinen eifrigen Tanz und blickt durch die dunklen Knopfaugen herüber, als wollte es Trost spenden.

Auch ohne Anita Berber gibt es hier Drogen

Nach und nach werden die meisten der Gräber an der Hermannstraße aufgelöst. Der gegenüberliegende Friedhof ist längst einem Park gewichen. Benannt nach der berüchtigten Tänzerin und Schauspielerin Anita Berber, die in den 1920er Jahren als Verkörperung des weiblichen Bohemiens galt und hier beigesetzt wurde. Angeblich prügelte sie gerne, trank eine Flasche Cognac am Tag und frönte ihrer Morphinabhängigkeit. Die Spritzen, Folien und Medikamentenverpackungen hinter der Einfriedungsmauer erinnern daran, dass Drogen auch hundert Jahre nach Berbers frühem Ableben Teil der Realität in Neukölln sind. Wie lange Dinosaurierhälse ragen die gelben Masten der Anflugbefeuerung für die einstige Südlandebahn aus dem Grün.

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In der Erwartung, der Rosinenbomber sollen die Menschen zur Zeit der Luftbrücke über den Gräbern „getobt“ haben. Der Friedhof glich angeblich einem Rummelplatz. Heute hat sich der Rummel auf das Tempelhofer Feld verlagert. Während die Skater und Jogger von dort kommend vorbeihasten, hat man in den Abendstunden das wundervolle Zwielicht zwischen dem alten Baumbestand des Parks für sich allein.

Der Körnerpark: ein anachronistisches Schmuckstück

Im Netz der grünen Inseln Neuköllns ist der Körnerpark oft der Abschluss meiner Runde. Direktflüge nach Paris sind zwar gestrichen, doch das Sanssouci Berlins liegt vor der Haustür. Ich erinnere mich noch an das ungläubige Staunen, als mein Blick das erste Mal über die steinerne Balustrade fiel.

Scheinbar anachronistisch eingebettet in das Grau der umliegenden Wohnblöcke liegt das neobarocke Schmuckstück da. Monumentalarchitektur mit Wasserspielen, steinernen Putten, Blumen- und Staudenrabatten. Von der weitläufigen Terrasse der Orangerie steigt noch einmal der suchende Blick hinauf zum Firmament. Nur der Mond ist dort im Anflug. 384.400 Kilometer über den Häuserdächern.

Außerdem erschienen in unserer kleinen Spaziergangsserie: Der Tegeler Forst, der Teufelsberg und die Halbinsel Stralau.

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