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Verkuppelt. Die ehemalige Abhörstation auf dem Teufelsberg.

© Paul Zinken/dpa

Spaziergänge in Berlin: Auf den Spuren der Spione

Hoch über dem Grunewald weckt ein Spaziergang auf dem Teufelsberg Erinnerungen an romantische Momente im Kalten Krieg. Auch die Abhöranlage ist wieder geöffnet.

Das Tor ist geschlossen, wie derzeit so viele Tore. „Come back on another day, please ...“, steht handgeschrieben auf einer Tafel hinter den abweisenden Eisenstäben, eine Aufmunterung, die ins Leere zielt. An einem anderen Tag? Aber wann soll der denn sein?

Ein Pärchen will es nicht glauben, fragt andere Spaziergänger, die unschlüssig vor dem Tor zur ehemaligen amerikanischen Abhöranlage auf dem Teufelsberg stehen, wie man denn hinein- und zu den weißen Kuppeltürmen komme. Zum Zeitpunkt des Spaziergangs noch gar nicht.

Mittlerweile geht das wieder, denn die ehemalige Spionageanlage auf dem Teufelsberg nun wieder mittwochs bis sonntags von 11 Uhr bis Sonnenuntergang für Besucher geöffnet, nur Führungen finden aktuell nicht statt. Weitere Infos gibt es auf teufelsberg-berlin.de.

Das Coronavirus hat seine ausgrenzende Wirkung in den vergangenen Woche auch hoch über dem Grunewald entfaltet. Obwohl hier oben ansonsten nicht viel davon zu spüren ist an diesem sonnigen Frühlingstag. Schutzmasken hält man in der Höhenluft offenbar für überflüssig, auch Gruppenpicknick mit Musik gilt als zulässig.

Allenfalls, dass die Spazierenden etwas auf Abstand gehen, was auf dem Höhenrundweg entlang des dreifachen, wieder und wieder geflickten Maschendrahtzauns mit der doppelten Stacheldrahtbewehrung an manchen Stellen nicht einfach ist. Zumal wenn entgegenkommende Mountainbiker mit martialisch wirkendem Kopfschutz auf ihren Rädern vorbeibalancieren. Viele andere Möglichkeiten für ein selbstquälerisches Tour-de-France-Feeling haben sie ja nicht in Berlin.

Heute tummeln sich statt Spionen Radfahrer am Teufelsberg

Es ist schon eine ziemlich schräge Ecke, auch nur so von außen betrachtet: Verfall allerorten, graffitigeschmückt, rostende Autowracks, die zerfetzte Stoffverkleidung der Abhörtürme im Winde flatternd, was ein Sausen und Brausen zur Folge hat, die unentwegte Begleitmusik zu den vielen Geschichten, die die alte Trutzburg der Spione umwabern. Geschichten, die heute, angesichts der sorglos lustwandelnden Spaziergänger und der energisch in die Pedale tretenden Radler, kaum mehr vorstellbar sind.

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Zum Beispiel ein Vorfall aus dem Winter 1983/84, mitten im Kalten Krieg. Ein wolkentrüber Tag, eigentlich kein Spazierwetter, aber ein junges Paar hatte sich erstmals aufgemacht, den Grunewald zu durchstreifen. Er berufsbedingt kurz zuvor in West-Berlin angekommen, sie zu Besuch aus der niedersächsischen Provinz. Aus dem Spaziergang war fast eine kleine Wanderung geworden, noch war es mit seiner Orientierung in der fremden Stadt nicht weit her. Irgendwann waren sie am Teufelsberg gelandet, von dessen Funktion beide nur vage Vorstellungen hatten, stapften auf einem unbefestigten Waldweg nach oben.

Willkommen im Kalten Krieg!

Plötzlich von dort her Motorengeräusch, in hoher Drehzahl, was schon mal ungewöhnlich ist an diesem Ort. Und da rumpelten auch schon zwei Militärfahrzeuge eilig die Waldpiste an dem staunenden Paar vorbei: vorneweg im Rückwärtsgang ein voluminöser Personenwagen, den die Nummernschilder als Fahrzeug der sowjetischen Militärmission auswiesen, gefolgt von einem mit zwei US-Soldaten bemannten Jeep, der Beifahrer hinter aufmontiertem Maschinengewehr. Willkommen im Kalten Krieg!

Immerhin, das MG war nicht schussbereit, das war leicht zu erkennen. Und überhaupt schien der Vorfall nachträglich undramatischer, als er dem fassungslosen Pärchen zunächst erschien. Hier drohte keineswegs der Dritte Weltkrieg auszubrechen, es war wohl das beliebte Katz-und-Maus-Spiel zweiter eingeübter, aneinander gewöhnter Teams. Was hätte der Russe dort schon ausspionieren können – jenseits des Zauns doch in keiner besseren Lage als jeder Spaziergänger. Kein Ernst also, aber auch kein richtiges Spiel, mehr ein Ritual mit festgelegten Botschaften. Die im Zeichen des Roten Sterns lautete: „Ich bin auch noch da!“, die der Stars and Strips: „Aber hier hast du nichts zu suchen!“

Außerdem erschienen in unserer kleinen Spaziergangsserie: Der Tegeler Forst, die Ecke vom Neuköllner Thomas-Friedhof bis zum Körnerpark und die Halbinsel Stralau.

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