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Der Schriftzug der Partei DIE LINKE im Congress Centrum Leipzig anlässlich des Bundesparteitags.

© imago/Christian Grube

Spannungen bei Rot-Rot-Grün: Berliner Linke reibt sich an der SPD

Auf Bundesebene droht die Linke an der Einwanderungsfrage zu zerbrechen. Bei den Berliner Linken gibt es keine Flügelkämpfe, aber zunehmend Ärger über die SPD.

Von Sabine Beikler

Elke Breitenbach kennt man als ausgewogene, klare Linkspolitikerin. Am Wochenende aber ist der Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales auf dem Bundesparteitag in Leipzig nach der Rede von Fraktionschefin Sahra Wagenknecht über Migrationspolitik und Begrenzung der Arbeitsmigration der Kragen geplatzt. „Du zerlegst die Partei“, rief sie Wagenknecht wütend zu, „dadurch, dass du keine Debatten zulässt. Du ignorierst die Mehrheit dieser Partei“.

Die Auseinandersetzung um Einwanderungspolitik, Solidarität mit Migranten oder begrenzter Zuwanderung ist in der Linkspartei virulent. Auch im Berliner Landesverband. Während sich aber das „Team Sahra“ um Wagenknecht und die Spitze der Bundespartei gegenseitig zerfleischen, tritt der Berliner Landesverband geschlossen auf. Flügelkämpfe wie früher sind beendet. Statt mit ihrer Basis hat die Berliner Linke dafür mehr Ärger mit der SPD.

„Nach jeder Umfrage wird es schwieriger mit den Sozialdemokraten“

Seit einem Dreivierteljahr liefern sich SPD, Linke und Grüne ein knappes Rennen um Platz zwei in der Wählergunst. Laut aktueller Civey-Befragung des Tagesspiegel liegen die Grünen mit 17,6 Prozent vor SPD und Linken mit jeweils 17,5 Prozent hinter der CDU mit 21,5 Prozent.

Forsa ermittelte in der jüngsten Umfrage sogar Platz eins für die Linke mit 20 Prozent vor CDU (19) und SPD und Grünen mit je 18 Prozent. Ungeachtet dieser Schwankungsbreiten wird die Linke in der Stadt immer beliebter. Jedes zehnte Neumitglied in der Partei war im vergangenen Jahr ein Berliner. Das ist bisher keinem anderen linken Landesverband in Regierungsverantwortung gelungen.

Die Berliner Linke arbeitet unter Rot-Rot-Grün pragmatisch und bemüht sich, R2G als Alternative zum rechtskonservativen Lager auszubauen. Strategisch will die Partei Mitte-Links-Projekte wie in Thüringen und Berlin ausbauen. Nur ist das Regieren auf Augenhöhe schwieriger geworden. Nicht alle Koalitionäre seien „mit demselben Enthusiasmus“ dabei, sagte unlängst der beliebteste Berliner Politiker, der linke Kultursenator und Bürgermeister Klaus Lederer.

„Nach jeder Umfrage wird es schwieriger mit den Sozialdemokraten“, hört man aus Senatskreisen. Das „Abschotten“ des SPD-Parteichefs und Regierenden Bürgermeisters Michael Müller in der Koalition stößt nicht nur die Grünen, sondern auch die Linken, die zehn Jahre lang in rot-roter Regierungskoalition unter Klaus Wowereit klein gehalten wurden, immer mehr vor den Kopf.

„Michael Müller versucht nicht, die Koalition zusammenzuführen“, hört man bei den Linken. Vermisst werden gemeinsame Projekte, die natürlich auch die Wählerklientel der Linken selbst ansprechen: der Kampf gegen Armut, gegen die zunehmend größer werdende soziale Schere zwischen Arm und Reich in Berlin.

Die erste Strategiekonferenz gegen Wohnungs- und Obdachlosigkeit im Januar unter Federführung von Breitenbach bewerteten die Wohlfahrtsverbände als Erfolg und ersten Schritt zu einer guten Kooperation. Die Linken hätten aber deutlich mehr Engagement von Jugendsenatorin Sandra Scheeres in Sachen Jugendhilfe und von Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (beide SPD) hinsichtlich der Gesundheitsversorgung von sozial Schwachen erwartet.

In der Koalition pocht Rot-Rot-Grün gern auf die Inhalte des Koalitionsvertrages. Aber das Verbindende in der Koalition fehlt vielen Linken. Gleichwohl ist die Partei angesichts mangelnder (Regierungs-)Alternativen in dieser Koalition zum Erfolg verdammt.

Eines ihrer wichtigsten „Schlüsselprojekte“ ist die Partizipation. Doch damit hatte sich ausgerechnet die linke Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher gewaltig blamiert. Nach heftigen Protesten im Blankenburger Süden wird Berlins größtes Neubaugebiet doch wieder kleiner geplant.

Der Streit auf Bundesebene hat die Berliner Genossen wachgerüttelt

In ihrem Selbstverständnis sieht sich die Linke als Teil von linken Bewegungen. Dass sie nach den Hausbesetzungen über Pfingsten die „Berliner Linie“, also die Räumung nach Neubesetzungen innerhalb von 24 Stunden, mal eben infrage stellte, irritierte die SPD und die Grünen.

Letztlich fand die Koalition eine akzeptable Kompromisslinie und will unter anderem die Fachverwaltungen prüfen lassen, ob in Berlin Hausbesetzungen bei spekulativem Leerstand geduldet werden können. Damit können SPD und Grüne leben, und die Linke hat ihr Gesicht gewahrt.

Der heftige Richtungsstreit auf Bundesebene über die Integrationspolitik hat aber auch die Berliner Genossen wachgerüttelt. „Das hat richtig reingehauen“, sagte eine Genossin. Deshalb plant die Parteispitze eine größere Diskussionsveranstaltung mit der Basis noch vor der Sommerpause.

„Wir stehen zu offenen Grenzen“, sagte Parteichefin Katina Schubert, „was wir diskutieren müssen, wie wir diese in praktische Politik umsetzen“. Dass Fluchtursachen bekämpft werden, eine „soziale Offensive“ gestartet werden müsse, um Verteilungskämpfe zu verhindern, ist nicht strittig.

Aber dass aus der Formulierung „offene Grenzen für alle“ im Parteiprogramm „offene Grenzen“ im verabschiedeten Leitantrag auf dem Bundesparteitag wurden, lässt doch Interpretationsspielräume offen. Auch bei Berliner Genossen.

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