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Hilflos in Schule und Ämtern. Besonders Menschen mit Migrationshintergrund werden in Berlin noch oft diskriminiert und zu wenig gefördert, kritisieren auch Vertreter des Diakonischen Werkes und anderer Sozialverbände.

© Keystone

Sozial- und Integrationspolitik: "Die UN legen den Finger in die Wunde"

Nirgendwo in Deutschland treten die Probleme, die die Vereinten Nationen kritisieren, so massiv auf wie in Berlin. Rund 600.000 Menschen leben von Hartz IV.

Die Arbeitslosenquote ist in Berlin mit 13,3 Prozent die höchste in der gesamten Bundesrepublik, bei Ausländern ist sie fast doppelt so hoch. Kinder mit Migrationshintergrund haben schlechtere Bildungschancen als deutschstämmige Schüler; nur rund 15 Prozent von ihnen machen das Abitur, während ihr Anteil in der Altersgruppe bei 25 Prozent liegt.

Dem Fazit der UN, dass Programme zur Armutsbekämpfung fehlen und Migranten diskriminiert werden, kann sich die Direktorin des Diakonischen Werkes Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Susanne Kahl-Passoth, nur anschließen. „Insbesondere Berlin ist arm und die Kinder sind am ärmsten im nationalen Vergleich“, sagt Kahl-Passoth. Sie wirft den hiesigen Parteien vor, sich nicht dem Problem zu stellen: „Mit Blick auf die Wahl finden wir in den Wahlprogrammen der Berliner Fraktionen keinen konzeptionellen Ansatz.“ Auch die Kritik der UN an der Höhe des Hartz-IV-Regelsatzes teilt das Diakonische Werk. Damit sei kein menschenwürdiges Leben zu führen. Sozialverbände fordern deshalb eine Erhöhung des Regelsatzes von 364 Euro auf 433 Euro. Das sieht der FDP-Abgeordnete Volker Thiel anders. „Hartz IV ist nicht dazu da, dass man mit dieser Leistung dauerhaft ein auskömmliches Leben führt“, sagt der Liberale. Vielmehr müsse man zusehen, dass sich die Abhängigkeit von den Leistungen nicht verfestige.

Neuköllns Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) hält es ebenfalls seit langem für richtig, Hartz-IV-Familien nicht mehr Geld direkt auszuzahlen. Stattdessen sollte viel mehr in Sachleistungen oder die Bildungsinfrastruktur fließen; nur so könnten auch die Kinder davon profitieren. Buschkowsky würde sogar einen Schritt weiter gehen und das Kindergeld halbieren; die Mittel sollten direkt in die Bildungsinstitutionen investiert werden. Aus diesem Grund befürwortet Buschkowsky den Ansatz des Bildungspakets für Kinder aus sozial schwachen Familien. Die Umsetzung sei allerdings zu bürokratisch.

Bisher hat erst knapp ein Viertel der Familien Leistungen aus dem Bildungspaket beantragt. Schulen berichten, dass besonders Familien mit Migrationshintergrund auf die Leistungen – etwa Zuschüsse zum Schulmittagessen, zur BVG-Karte, für Klassenfahrten oder Nachhilfe – verzichten. Eltern seien oft nicht in der Lage, die Antragsformulare zu verstehen, da es sie nur auf Deutsch gebe. Dabei werde es auch bleiben, sagt der Sprecher der Bildungsverwaltung, Christian Walther. Die Amtssprache in Deutschland sei Deutsch. Allerdings wolle man jetzt Infoblätter in verschiedenen Sprachen erarbeiten.

Laut Berlins Integrationsbeauftragten Günter Piening ist die Abschaffung der Hauptschule schon ein großer Schritt dahin, im Bildungsbereich mehr Chancengerechtigkeit zu schaffen. Denn sie sei nur noch eine Restschule gewesen, auf der vor allem Kinder aus Migrantenfamilien landeten. Wichtig sei zudem, dass das Thema der Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt ernster genommen werde und eine größere Rolle in der gesellschaftlichen Diskussion spiele. Als ein konkretes Beispiel nannte Piening die Benachteiligung von Frauen mit Kopftuch; diese hätten große Schwierigkeiten, einen Arbeitsplatz zu finden.

Problematisch finden die UN zudem den Umgang mit Asylbewerbern. „Da legen sie den Finger genau in die Wunde“, sagt der Integrationsbeauftragte des Senats. Seit Jahren forderten er und seine Kollegen in den anderen Bundesländern, dass die Leistungen für Asylbewerber auf das Niveau der Sozialhilfe gehoben werden müssen; dazu sei die Bundesregierung auch von der Europäischen Kommission aufgefordert worden. „Denn die Sozialhilfe ist das, was man als Existenzminimum ansieht“, sagt Piening. Aber in den neunziger Jahren sei bundesweit eine Ebene darunter eingezogen worden – nämlich das unabdingbare Existenzminimum. Seitdem erhalten Asylbewerber nur noch rund 80 Prozent der üblichen Sozialleistungen. Berlin bemühe sich aber – anders als andere Bundesländer –, die Leistungen möglichst auszuzahlen und nicht per Chipkarte zu verrechnen. Auch sollen hier möglichst viele Menschen in eigenen Wohnungen und nicht im Wohnheim leben.

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