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Sonntags um zehn: Traubensaft und Oblate beim Kinder-Abendmahl

In der Kirche am Hohenzollernplatz in Berlin-Wilmersdorf dürfen auch schon Zweijährige am Abendmahl teilnehmen.

Das vierjährige Mädchen kann es kaum abwarten, bis der Kelch bei ihr angelangt ist. Immer wieder reckt es den Kopf zwischen den Erwachsenenbeinen vor, um zu schauen, wo er bleibt. Als sie dran ist, taucht sie geübt die Oblate in den Traubensaft.

Seit einem dreiviertel Jahr nehmen in der Kirche am Hohenzollernplatz in Wilmersdorf Kinder am Abendmahl teil. Das ist etwas Besonderes, denn traditionell gehen evangelische Kinder erst ab der Konfirmation zum Abendmahl. Doch Pfarrerin Claudia Wüstenhagen beobachtete, dass die Konfirmation dann oft das erste und letzte Mal ist. Und bei dem einen Mal wird herumgealbert, weil die Situation so ungewohnt ist. Das will sie ändern. Und so versammeln sich am Hohenzollernplatz immer am ersten Sonntag im Monat im Kindergottesdienst Mütter, Väter und Kinder gemeinsam vor dem Altar.

Manchmal spannt sich der Abendmahlskreis ums ganze Kirchenschiff, so viele machen mit. Heute ist die Schar kleiner, viele Familien sind wohl schon am See oder im Freibad. Bevor es ans Abendmahl geht, betet und singt die Gemeinde und legt eine Bibelstelle aus. Im Kindergottesdienst teilen sich die Besucher dafür in Gruppen auf, je nach Alter. Heute ist die Geschichte von Jesus und der Ehebrecherin dran.

Dann ist es so weit: „Wir feiern das Abendmahl, weil Jesus uns einlädt, so wie damals seine Jünger“, sagt Pfarrerin Wüstenhagen und strahlt. „Brot und Wein sind Zeichen seiner Liebe und Nähe zu uns. Deshalb kommt, es ist alles gerichtet.“ Mädchen und Jungen legen wie die Erwachsenen ihre Handflächen ineinander, nehmen die Oblate, tauchen sie in den Traubensaft. Auch die, die vorher auf ihren Stühlen herumgezappelt haben, sind ruhig und ernst.

Kinder beim Abendmahl? Die Gemeindemitglieder waren skeptisch, als Wüstenhagen den Vorschlag machte. Können Kinder verstehen, wozu das alles gut ist? Ist das Verständnis nicht die Voraussetzung für die Teilnahme? So fragten viele. „Verstehen alle Erwachsene, worum es beim Abendmahl geht?“, fragte die Pfarrerin zurück. Monatelang haben sie diskutiert, theologische Texte gelesen, sich selbst gefragt, was ihnen das Abendmahl bedeutet. Sie lernten, dass nach der Bibel nur die Taufe Voraussetzung fürs Abendmahl ist und dass in der Antike Kinder selbstverständlich teilgenommen haben. Jesus hat schließlich auch alle Menschen an seinen Tisch eingeladen, egal wie helle sie waren oder welchen moralischen Ruf sie hatten. Würde man die Teilnahme am Abendmahl daran knüpfen, dass man die Handlung vollständig versteht, müsste man dann nicht auch geistig Behinderte ausschließen? Das aber würde niemand wollen. Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hatte sich 2008 in einer Denkschrift zur Feier des Abendmahls für die Zulassung von Kindern ausgesprochen.

Die Mehrheit im Gemeindekirchenrat entschied sich dafür, es einfach mal auszuprobieren. Die Hohenzollerngemeinde sei keineswegs eine Vorreiterin, sagt Pfarrerin Wüstenhagen. Sie schätzt, dass mittlerweile in einem Drittel der Berliner Gemeinden Kinder zum Abendmahl zugelassen sind. Nach einem Jahr will am Hohenzollernplatz Bilanz ziehen. Ein Vater ist mit seinem Sohn ausgetreten. Doch viele anfängliche Zweifler hat die Praxis überzeugt. „Das Gemeinschaftsgefühl ist gewachsen“, sagt eine Mutter. Und der achtjährige Paul ruft: „Abendmahl ist das Schönste.“

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