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Pfarrer an der Kinokasse. Dirk Farr hält seine Predigt ohne Talar, aber ein Kreuz haben sie dann doch aufgestellt im Saal P 1.

© Bemmer

Sonntags um zehn: Gottes Wort im Kino

Pfarrer Dirk Farr und die Gemeinde der Jungen Kirche Treptow feiern ihre Gottesdienste im Filmhaus Astra. Es gibt einen Countdown und Bibeltexte werden auf die Leinwand projiziert.

Ist das nötig? Braucht der Glaube eine junge Sprache, um junge Leute zu erreichen? Sollen in den Gemeinde-Informationen nach dem Gottesdienst „coole“ Treffs genannt werden, und ist es gut, wenn in der Predigt die Rätselhaftigkeit von Jesus’ Kreuzigungspein und die Technik eines Smartphones verknüpft werden – weil man beides nicht gänzlich verstehen müsse und doch hinnehmen könne?

Offenbar ja. Die Kirche jedenfalls, die das anbietet, die Junge Kirche Treptow, ist eine kleine Erfolgsgeschichte. Vor sieben Jahren ist Pastor Dirk Farr, Mitte 30, fesch und mit Trendbrille auf der Nase, aus dem Karlsruher Raum nach Berlin gekommen, um im Auftrag der Stadtmission im Osten etwas auf die Beine zu stellen: „das kostbare Evangelium ins 21. Jahrhundert“ zu übersetzen, wie er sagt. Dazu gehörte, die Kirche da stattfinden zu lassen, wo die Menschen sind. Die ersten Gottesdienste veranstaltete Farr dann zwar mit vier Leuten in seinem Privatwohnzimmer, aber das blieb nicht lange so. Sein Angebot sprach sich herum, das Interesse wuchs, die Besucher wurden mehr und die Räume größer, und seit fast zwei Jahren kommt die Gemeinde, die laut Farr inzwischen aus 70 Erwachsenen und 20 Kindern besteht, im Astra-Filmpalast am Sterndamm zusammen.

„Es ist vollbracht“, sagte der und starb.

An der Tür zum Kinosaal P 1 hängt ein Schild – „Lust auf Live-Kino? Gottesdienst da lang“ – , drinnen ist es dunkel, nur die Leinwand leuchtet lila-bunt, „Letzte Worte“ steht dort groß, so heißt die aktuelle Predigtreihe. Eine Digitaluhr zählt die Zeit bis zum Gottesdienstbeginn herunter. Sie geht nach. Dann rockt erst mal die Band los, die sich vor der ersten Reihe aufgebaut hat.

Die Gottesdienstbesucher haben sich in Grüppchen über die zehn Sitzreihen verteilt, die meisten sitzen weiter hinten, manche singen mit, andere nicht – soweit alles wie in den Normal-Kirchen auch. Aber hier ist die Stimmung eine andere, heiterer und fast verschwörerisch, weil man so schön geheim im Dunklen sitzt und da vorn der Film läuft.

Farrs Predigt dreht sich um die letzten Worte von Jesus Christus am Kreuz. „Es ist vollbracht“, sagte der und starb.

Es ist vollbracht, das tolle Gefühl, etwas zu einem Ende gebracht zu haben – auch gegen Widerstände und sei es die eigene Verzagtheit. „Kennt ihr sicher auch vom Abi oder der Masterarbeit“, sagt Farr. „Aber was war denn vollbracht mit dem Tod von Jesus?“, fragt Farr. „Das große Projekt von der Schuldtilgung der Menschen.“ Er schaut ins Publikum. „Sperriger Gedanke, oder?“ Da sterbe jemand vor 2000 Jahren auf barbarische Weise – und das soll was mit dem Heute zu tun haben. Man müsse das nicht verstehen, sagt Farr. Man könne das so hinnehmen. Wie eben das Smartphone.

Andacht an der Tanke

Die Kinoleinwand assistiert dem Pfarrer, wenn Bibeltext oder Predigtschlagworte erscheinen. „Existierst du nur oder lebst du?“ steht dort, als es darum geht, wie sehr einem Unerledigtes im Wege stehen, Energie rauben kann. Farr ruft auf zum Erledigen, zum Sichkonfrontieren mit den Problemen und die dann lösen „solange sie händelbar sind.“ Alles, was man erledige, setze Kraft frei! Auch das habe Jesus gemeint mit „Es ist vollbracht.“ Er hat mit seinem Tod die Welt herumgerissen, und durch Ostern wurde der Anfang geschaffen für ein neues Leben mit Gott. Er frage sich, ob er sich da mit reinklinken wollte, sagt Farr: „Ich empfehle ja zu sagen, aber denk’s dir durch.“ Das ist alles so erbaulich und inspirierend wie die Musik der Band mit ihren wunderbaren Sängerinnen.

Kirche ist, wo die Menschen sind. Das sagen sie alle, auch die Funktionäre. Und doch baute man Gotteshäuser. Oft öffnen die sich heute für Konzerte und Konferenzen. Während die Kirche rausgeht – und das in Ost und West. Der Kirchenkreis Teltow-Zehlendorf veranstaltet beispielsweise noch bis Ostern Andachten an Tankstellen und in Baumärkten, und im Sommer ist wieder mit Gottesdiensten unter freiem Himmel zu rechnen. Einer, der davon viel versteht, saß am Sonntag mit im Kino: Joachim Lenz, der neue Chef der Stadtmission, der vor seinem Wechsel nach Berlin für die Kirchentage zuständig war – dem Open-Air-Supergig der evangelischen Kirche. Dies sei sein erster Gottesdienst im Kino gewesen, sagte Lenz: „Schön!“ Dann galt für ihn wie für die anderen Augen zu und durch, als sie aus der Dunkelheit des geliehenen Kirchensaals heraustraten ins grelle Licht der wahren Welt.

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