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Der Linkenpolitiker Ferat Kocak, der selbst Opfer der Anschlagserie wurde, auf einer Kundgebung der Betroffenen.

© imago images / Christian Mang

Soko „Fokus“ zur rechtsextremen Anschlagsserie: Auswärtige Polizisten mussten Neuköllner Neonazis observieren

Ein Berliner LKA-Beamter stand im Verdacht, sich mit einem Hauptverdächtigen im Neukölln-Komplex getroffen zu haben. Das hatte Folgen für die Ermittlungsarbeit.

Ein Beamter des Landeskriminalamtes, der einen der drei Hauptverdächtigen der rechtsextremen Anschlagsserie in Neukölln privat in einer Kneipe trifft und diese mit ihm gemeinsam verlässt – ein ungeheurer Verdacht. Um diesen aufzuklären, betrieb die Soko „Fokus“, die am Montag ihren Abschlussbericht im Abgeordnetenhaus vorlegen soll, offenbar einen enormen Aufwand. Am Ende kamen die Ermittler dann zu dem Schluss, dass es bei dem vermeintlichen Treffen zwischen dem Beamten, Pit W., und dem Neonazi Sebastian T., mehr Zweifel als Indizien gibt.

Dennoch stuften die Behörden den Verdacht als so schwerwiegend ein, dass die Berliner Mobilen Einsatzkommandos (MEK) von der Observation der in der Anschlagsserie verdächtigen Neonazis abgezogen wurden. Denn auch der Polizist W. war in der für Observationen und operative Einsätze zuständigen Abteilung beim Landeskriminalamt (LKA) tätig. Um die Ermittlungen nicht zu gefährden, forderte das Berliner LKA Observationskommandos aus anderen Bundesländern an.

Im Frühjahr 2019 wurde der Vorfall bekannt, der sich bereits ein Jahr zuvor, am 16. März 2018, in einer Rudower Kneipe ereignet haben soll. Beamte des Verfassungsschutzes wollen im Rahmen einer Observation beobachtet haben, wie der Beamte W. den Neonazi T. und weitere Rechtsextreme in der einschlägig bekannten Hertha-Kneipe traf. Anschließend sollen W. und T. gemeinsam im Auto des Beamten weggefahren sein.

Nach Bekanntwerden des Vorfalls leitete die Polizei noch im Frühjahr 2018 ein Ermittlungsverfahren wegen Strafvereitelung im Amt ein. Ein entsprechender Durchsuchungsbefehl für die Wohnung des Beamten wurde nach Tagesspiegel-Informationen vom zuständigen Ermittlungsrichter aber abgelehnt, der keinen hinreichenden Verdacht gegen W. sah. Stattdessen überprüften Beamte, ob W. an seinem Polizeicomputer Daten von Betroffenen der Neuköllner Anschlagsserie abgefragt hatte. Dabei soll es keine Auffälligkeiten gegeben haben.

Auch auf Datenträgern, die bei zwei Hauptverdächtigen der Anschläge, eben jenem T., einem ehemaligen NPD-Kader, und dem ehemaligen AfD-Bezirkspolitiker Tilo P., beschlagnahmt worden waren, wurden bislang keine Hinweise auf Verbindungen zwischen W. und den Neonazis gefunden.

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An einigen der bei T. gefundenen Datenträger scheiterten die Ermittler nach Tagesspiegel-Informationen bisher allerdings: Obwohl spezialisierte Firmen und die Zentrale Stelle für Informationstechnik im Sicherheitsbereich des Bundes (ZITiS) mit der Entschlüsselung beauftragt und sogar die europäische Polizeibehörde Europol angefragt wurden, gelang es den Ermittlern nicht, die Passwörter eines Handys und eines Laptops zu knacken. Die IT-Bundesbehörde sieht es gar als unwahrscheinlich an, dass die Geräte in absehbarer Zeit entschlüsselt werden können.

Trafen Neuköllner Neonazis einen Beamten des LKA?

Aus dem Abschlussbericht der Soko „Fokus“ soll nach Tagesspiegel-Informationen hervorgehen, dass für operative Maßnahmen gegen die in der Anschlagsserie verdächtigen Neonazis T., P. und Julian B. ausschließlich Beamte aus anderen Bundesländern eingesetzt wurden, um den Erfolg der Ermittlungen nicht zu gefährden. Dadurch sollen dem Land Berlin hohe Einsatzkosten entstanden sein. Zudem sei dadurch keine Observation rund um die Uhr möglich gewesen.

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Und W.? In einer Anhörung soll der Beamte erklärt haben, dass er an jenem Abend nicht mit T., sondern einem Freund P. in dem Lokal war. Dies ging demnach auch aus Nachrichten auf seinem Handy hervor. Der Freund P. soll diese Angabe bestätigt haben, auch, dass W. ihn nach dem Kneipenabend nach Hause gefahren hatte. Auch sonst gab es offenbar keine Hinweise auf Verbindungen des Beamten zu T. oder in die rechtsextremistische Szene.

Das Feuer – und der Verdacht. In der Nacht zum 1. Februar 2018 brannte das Auto des Neuköllner Linken-Abgeordneten Ferat Kocak. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt – obwohl klar ist, dass Neonazis Kocak ausspionierten.
Das Feuer – und der Verdacht. In der Nacht zum 1. Februar 2018 brannte das Auto des Neuköllner Linken-Abgeordneten Ferat Kocak. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt – obwohl klar ist, dass Neonazis Kocak ausspionierten.

© Ferat Kocak/Die Linke Berlin/dpa

Zweifel hatten die Ermittler offenbar auch am Observationsbericht der Verfassungsschützer: Laut diesem soll der Begleiter W.’s, also der vermeintliche Neonazi T., geraucht haben und etwa 1,75Meter groß sein. Nur: Den Ermittlern ist T. nach diversen Durchsuchungen und Observationen als Nichtraucher bekannt, der rund 1,90 Meter groß ist. Wer allerdings die im Bericht angegebene Größe aufweist, ist W.’s Freund P.

Soko Fokus führt in ihrem Bericht auch Probleme bei Ermittlungen auf

Der Bericht führte auch einige Probleme bei den Ermittlungen auf, etwa dass Richter nicht zustimmten, DNA-Proben von den verdächtigen Neonazis zu nehmen. Laut Bericht waren in der Ermittlungsgruppe „Resin“, die von 2017 bis Frühjahr 2019 das Neukölln-Verfahren führte, zu wenige Beamte tätig: nämlich sechs. Auch wegen des Anschlags des Islamisten Anis Amri auf dem Breitscheidplatz im Dezember 2016. Politisch verantwortlich ist Innensenator Geisel. Der rief immerhin im Mai 2019 die Soko „Fokus“ ins Leben. Erst dann sei die Bekämpfung des Rechtsextremismus zum Schwerpunkt in der Staatsschutzabteilung erklärt worden, hieß es.

Die Ermittler sind sich jedenfalls sicher, dass die Neonazis T., P. und B. die Täter sind, nachweisen können sie ihnen, dass sie Opfer der Anschlagsserie ausgespäht haben. Der Umfang der Datenauswertung – Telefondaten, Bewegungsprofile, Geodaten, Abhördaten – sei für die Polizei Berlin einmalig, hieß es. Es sei das volle Programm an Ermittlungen gefahren worden, wie es sonst nur in Mordfällen üblich ist. Die Aufklärung der Serie von 72 Taten – Brandstiftungen und Drohungen an Hauswänden – könne aber nicht mit rechtstaatlichen Mitteln erzwungen werden.

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